20 Jahre EU-Osterweiterung - "Die polnischen Schüler sichern unsere Klassen"

Do 02.05.24 | 09:49 Uhr | Von Riccardo Wittig
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Grundschüler in Gartz (Bild: rbb)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 28.04.2024 | Riccardo Wittig | Bild: rbb

Kurz nach dem EU-Beitritt Polens wurde vor 20 Jahren im grenznahen Gartz eine Grundschule neu eröffnet, die von polnischen Kindern gut besucht wird. Brandenburger Schüler profitieren auch davon: Viele lernen nun Polnisch. Von Riccardo Wittig

"Wir schauen uns verschiedene Formen an", sagt die Lehrerin Marta Bures auf Polnisch, während ihre Schüler aufmerksam zuhören. Zehn Kinder sitzen im Kreis rund um die Lehrerin. In der Grundschule in Gartz (Uckermark) lernen die Schülerinnen und Schüler der ersten Klasse gerade Begriffe rund um das Wetter. Ihre Grundschule gehört zu den wenigen Schulen in Brandenburg, an denen Polnisch als Wahlfach auf dem Lehrplan steht.

"Wir versuchen in allen Jahrgangsstufen Polnisch anzubieten", sagt die Polnischlehrerin Bures. "Wir fangen spielerisch an, aber danach werden wir auch Grammatik beibringen, auch Lieder lernen, Geschichten und Gedichte."

Grundschule eröffnete 2005

Kurz nach der EU-Osterweiterung vor 20 Jahren – am 1. Mai 2004 – zog Bures mit ihrer Familie aus Polen nach Gartz. Den Schritt bereue sie nicht, sagt die Lehrerin. "Ich lebe hier, ich arbeite hier, meine Kinder sind hier zur Schule gegangen, die studieren hier auch in Deutschland."

Bereits 1994 gab es deutsch-polnische Klassen, Schülerinnen und Schüler, die in Garz ihr Abitur in der damals noch erweiterten Oberschule ablegten. Die Polen pendelten durch ein Nachbarschafts- Abkommen täglich über die noch geschlossene deutsch-polnische Grenze. Die Stadt an der Oder liegt 30 Kilometer südlich der polnischen Großstadt Stettin.

Mit der Osterweiterung zogen viele junge polnische Familien auf die deutsche Seite. Aktuell leben rund 1.000 polnische Bürger im Amtsbereich Gartz. Davon profitieren Kindertagesstätten und Schulen: So konnte 2005 nach der Schließung der Oberschule in Gartz eine Grundschule neu eröffnen. Die Grundschüler mussten zuvor die Schule in Tantow besuchen.

Schulleiterin Birgit Venzke. Bild: rbb
Schulleiterin Birgit Venzke | Bild: rbb

Ein Viertel der Schüler ist polnisch

Aktuell lernen an der Gartzer Grundschule nach Angaben der Schulleitung etwa 200 Schülerinnen und Schüler. Seit der Neugründung seien die Schülerzahlen bergauf gegangen, sagt Schulleiterin Birgit Venzke. Jedes vierte Kind an der Schule habe polnische Wurzeln. Nach der Neugründung seien zeitweise die Hälfte der Schüler polnisch gewesen. "Man merkt es im täglichen Leben bei uns überhaupt nicht, dass es verschiedene Nationalitäten bei uns an der Schule gibt."

Von der sprachlichen Vielfalt profitieren nicht nur die polnischen Kinder, die – so schildert es die Schulleiterin – mit hoher Motivation Deutsch lernen, um dem Unterricht folgen zu können. Seit etwa acht Jahren können auch deutsche Kinder Polnisch als Fach wählen. Das sei ein Wunsch vieler deutschen Eltern gewesen. Das Angebot werde gut angenommen, sagt Venzke.

Ohne die polnischen Kinder wäre die Schule nicht zweizügig, sagt die Schulleiterin. "Die polnischen Schüler sichern unsere Klassen." An der Schule arbeiten außerdem nach Angaben der Schulleiterin drei polnische Lehrkräfte und eine polnische Sozialarbeiterin.

Amtsdirektor: Grenzöffnung war ein "Glücksfall"

"Wir haben viele polnische Lehrkräfte, die hier in Deutschland den Stundenplan absichern" sagt der parteilose Amtsdirektor Frank Gotzmann. In den Wendejahren habe er gesehen, wie es immer weniger Kinder und Einwohner in Gartz gab. Nach der Grenzöffnung habe sich die Lage stabilisiert. Er beschreibt die Grenzöffnung als einen "Glücksfall" für die Schulen im ganzen Amtsbereich.

Doch nicht nur die Schulen hätten vom Zuzug polnischer Bürger profitiert, so der Amtsdirektor: "Wir haben polnische Arbeitnehmer bei den Verkehrsbetrieben, in der Apotheke, im Imbiss, im Einkaufsmarkt", sagt Gotzmann. "Die Deutschen und Polen, die hier leben, gestalten gemeinsam die Grenzregion und das ist eine gute Sache."

Die EU-Osterweiterung vor 20 Jahren hat die Grundschule in Gartz offenbar gutgetan. Das soll auch so weitergehen: Gerade wird die Schule für etwa acht Millionen Euro saniert. Trotz offener Grenzen wird es weiterhin aber eine Barriere geben, sagt die Polnischlehrerin Marta Bures: "Immer noch ist es die Sprache, aber die werden wir noch so gut wie möglich in der Gartzer Schule unterrichten."

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 29.04.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Riccardo Wittig

16 Kommentare

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  1. 16.

    Viel wäre gewonnen, grenzübergreifend von Einzugsräumen zu sprechen. Selbstverständlich geht der Großraum Szczecin / Stettin weit über die polnisch-deutsche Grenze hinaus und die Gartzer Schule ist dabei nur ein Beispiel. Viel wäre zudem gewonnen, einen anstrebbaren Verkehrs- und Tarifverbund für Szczecin / Stettin überlappend zum VBB bis nach Angermünde, Pasewalk, Uckermünde, via Swinoujscie / Swinemünde bspw. bis zum Seebad Bansin gelten zu lassen.

    Ob der Großraum Strasbourg / Straßburg oder Basel mit dem Schwerpunkt jenseits der deutschen Grenze, Frankfurt/Oder / Slubice oder Flensburg mit dem Schwerpunkt diesseits der Grenze - vieles Verdienstvolles ist schon gemacht worden und noch weit mehr gäbe es zu tun. Wenn es gewollt würde ...

  2. 14.

    Der Artikel wird meinen Ansprüchen nicht gerecht. Wieviel Schüler lernen Polnisch? GANZ Brandenburg profitiert davon? Wo liegt der „Profit“ genau? Und, die Sprache des Nachbarn verstehen ist immer von Vorteil. Wichtig dabei, die Bedeutung. Nochmal, wieviel lernen Polnisch? Wieviel lernen Französisch im Vergleich? Sind das wirklich viele? Sollte der Artikel über ein „Festeller:innen-Artikel“ hinausgehen wollen, dafür werben wollen Sprachen zu lernen, dann gehört mehr dazu. Ist meine Meinung.

  3. 13.

    ich muss das eine wie das andere hier nicht verstehen, oder?? Mal weitergedacht was bedeutet eigentlich sich zu integrieren, was bedeutet Deutsch als Amtssprache und bei weiterer Betrachtung handelt es sich nicht um eine Stattliche, sondern um eine pseudo Private Schule, Das erinnert irgendwie an die Sorben, werden als nächstes wieder uralte Sprachen in die Schulen Einzug halten und was / wird sich dies auf Pisa auswirken den andere Fächer werden wohl darunter leiden

  4. 12.

    Why not...
    Eine der besten Ideen in der Region. .... Den anderen kennen lernen
    Miteinander reden und spielen.... Glückwunsch zu dem Projekt ...

  5. 11.

    Fürwahr, erst gehaßt, ist immer noch einiges im Kopf. Dobri Wedscher?

  6. 10.

    Was haben Sie denn dagegen ? Gartz ist eine kleine Stadt direkt an der Oder. Ob die Kinder das in der Schule erlernte Polnisch für ihren späteren Lebensweg mal brauchen weiß man nicht. Ich hatte selbst in meiner Ausbildung 6 Jahre russisch Unterricht, auch englisch , und brauchte es nie. Jedoch verstehe ich noch vieles.

  7. 9.

    Zitat: "Polnische Schüler lernen in ihren Schulen Englisch und nicht Deutsch, wozu auch."

    Viele Polen haben auch deshalb Englisch gelernt, weil GB nach dem EU-Beitritt Polens stark um polnische Arbeitskräfte geworben hat, die nach dem Brexit aber weit weniger erwünscht sind. Und da die PiS nicht mehr an der Macht ist, die die Fördermittel für den Deutschunterricht aus ideologischen Gründen sehr stark zurückgefahren hat, dürften bald wieder mehr polnische Kinder die Sprache des wichtigsten Nachbarn erlernen können.

    Dass man sich als Deutscher mit der Polnischen Sprache schwer tut, kann ich allerdings nachvollziehen. Denn diese ist teilw. doch schon ziemlich 'zungenbrecherisch'.

  8. 8.

    Stellen Sie sich absichtlich etwas unbedarft? Diese deutschen Kinder lernen polnisch, weil sie zum Teil jetzt auf der polnischenSeite leben und umgekehrt. Waren Sie mal ,,drüben''? Empfehle ich Ihnen unbedingt, damit Sie Ihre Hemmungen abbauen können.

  9. 7.

    Die Sprache der Nachbarn wenigstens ansatzweise im Alltag zu können, sollte selbstverständlich sein. Schließlich sind die Nationalstaatsgebiete und die Nationalsprachen erst seit rund 250 Jahren so abgegrenzt worden, vorher gab es immer Austausch und fließende Sprachräume. Unsere Polenradtour 1998 (vor dem EU-Beitritt!) lief bestens dank gelernten polnischen Begrüßungssätzen und Bitten um Trinkwasser auf den Dörfern. Mit Englisch wären wir da nicht weit gekommen.

  10. 6.

    Warum nicht?
    Englisch bleibt wohl bei allen erste Fremdsprache, polnisch ist dann (wie es auch im ersten Absatz steht) WAHLfach, also zweite Fremdsprache.

    Und mMn ist gerade in der Region Polnisch statt Französisch, Spanisch oder Russisch durchaus sinnvoll.

  11. 5.

    Machen Sie mal Urlaub an der polnischen Ostsee. Viele Polen sprechen gut deutsch. Die haben es eben gelernt. Die Sprache des Nachbarn zu verstehen ist immer ein Vorteil. Unsere Bekannte ist Spätaussiedlerin aus Polen; sie spricht polnisch besser als deutsch.

  12. 4.

    Eben, eine Meinung, Sprachen lernen ist nie falsch.
    Nur welche Sprache wäre wirklich sinnvoll?
    Selbst mit meinen kudimentären Englischkenntnissen bin ich überall gut gefahren, mit Polnisch wäre absolut kein Kontakt möglich gewesen.
    Vielleicht sollten die Kinder lieber auf die absehbare Zukunft eingehen und Chinesisch bzw Russisch auf dem Lehrplan suchen.
    Ironie off

  13. 3.

    Stimmt nicht! I In Polen lernen viele Kinder deutsch in der Schule ! Fahren Sie mal weiter ins Land hinein, mit vielen aus der jungen Generation kann man sich sehr gut auf Deutsch verständigen. Die wiederum freuen sich darüber wenn man selbst ein paar Brocken in Polnisch spricht. Es ist nie verkehrt Sprachen zu lernen.

  14. 2.

    Finde ich sehr gut, dass in dieser Schule die Sprache unseres Nachbarlandes gelehrt wird.
    Das sollte m.E. an allen grenznahen Schulen angeboten werden, dann hat man noch weniger Barrieren zwischen Deutschen und Polen.
    Wäre das zu meinen Schulzeiten in Berlin angeboten worden, hätte ich davon regen Gebrauch gemacht; heute im Rentenalter lernt sich polnisch doch sehr schwer, muss ich sagen.

  15. 1.

    In einer deutschen Schule:
    "Viele lernen nun Polnisch"

    Warum und wozu?

    Polnische Schüler lernen in ihren Schulen Englisch und nicht Deutsch, wozu auch.

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