ICC Berlin
Die einen beschimpfen es als hässlich und Millionen-Grab, die anderen sprechen von Blickfang und Bau-Ikone: das ICC in Berlin-Charlottenburg. Zwei Meinungen, die es schon bei der Eröffnung gab und die bis heute überdauert haben. Von Kira Pieper
Das Internationale Congress Centrum (ICC) im Berliner Westend hat viele Spitznamen: "Raumschiff", "Arche Noah", "Panzerkreuzer Charlottenburg", "Alu-Monster" oder "Ufo". Alle Kosenamen eint: Sie thematisieren außergewöhnliche Größe, unbekannte Welt und vielleicht auch: streitbarerer Koloss.
Mit einer Grundfläche von rund 27.900 Quadratmetern ist das ICC das größte Kongresszentrum Europas, das am Autobahndreieck Funkturm gelegene Bauwerk ist unübersehbar. Mitte der 70er-Jahre erhielt der Entwurf des Berliner Architektenpaars Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte den Zuschlag für die Realisierung des Kongresszentrums.
Der Berliner Senat hatte damals eine entscheidende Vorgabe: Man wollte einen Saal in West-Berlin, der mindestens 5.000 Leute fasst. Vielleicht schielten die Politiker damals auch Richtung Ost-Berlin, wo mit dem Palast der Republik ebenfalls in den 70er-Jahren bereits ein ähnlich genutztes Bauwerk entstanden war.
Einen dermaßen großen Saal gab es seinerzeit nur im Kreml-Palast. Also machte sich das Architekenpaar auf den Weg nach Moskau und schaute sich den Kongresssaal im Kreml an. Das Resultat: West-Berlin bekam seinen riesigen Saal mit 5.000 Plätzen und noch 81 weitere Säle, alles in einem Gebäude.
Für fast eine Milliarde D-Mark kreierten Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte den teuersten Bau in West-Berlin und gleichzeitig eines der bedeutendsten Gebäude der Nachkriegszeit. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Dietrich Stobbe (SPD), formulierte den neuen Stolz West-Berlins in seiner ICC-Eröffnungsrede am 2. April 1979 so: Das ICC demonstriere Weltoffenheit in einer Stadt, die von Mauern umgeben sei.
Die Dimension des Gebäudes gefiel allerdings nicht jedem. Kritiker fanden, das ICC sei ein Ausdruck der West-Berliner Großkotzigkeit. Bundespräsident Walter Scheel sagte in seiner ICC-Eröffnungsrede 1979 – wenn auch ironisch – über das neue Kongresszentrum: "Ein Gebäude, hinter dem selbst der gute alte Funkturm wie eine mittlere Hausantenne erscheint."
Und er sagte auch: "Beton ist extrem haltbar, und so hat dieses Kongresszentrum gute Chancen, hier noch zu stehen, wenn die Cheops-Pyramide möglicherweise schon verwittert ist. Die Berliner haben also genügend Zeit, sich mit ihrem Kongresszentrum zu befreunden."
Seinen silbrigen Glanz hat das Gebäude mittlerweile verloren. Die Fassade ist von Autoabgasen verdreckt, im Inneren des Gebäudes wurden 2010 in einem Gutachten 6.000 Asbest-Fundstellen dokumentiert. Der sanierungsbedürftige Bau wurde 2014 geschlossen. Zwischenzeitlich wurde er als Notunterkunft für Geflüchtete und für ein Corona-Impfzentrum genutzt. Seit 2019 steht das Gebäude unter Denkmalschutz.
Diskussionsgrundlage bietet der Koloss also immer noch. Weil die Sanierung aufwendig ist und die Kosten mittlerweile im dreistelligen Millionenbereich liegen, stand zwischenzeitlich auch schon mal das Thema Abriss im Raum. Diese Idee ist zwar vom Tisch, geblieben sind die Fragen: Wie soll das ICC künftig genutzt werden - und wer soll die aufwendige Sanierung bezahlen?
Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos) schlug zuletzt vor, aus dem in die Jahre gekommenen Kongresszentrum ein Kunst- und Kulturzentrum zu machen. Das ICC könne ein regelrechter Magnet werden, wie es das Centre Pompidou in Paris seit den 1970er Jahren sehr erfolgreich vorlebe, argumentierte er.
Gesucht wird nun ein Investor, der mit seinem Nutzungskonzept überzeugt und die Sanierungskosten trägt. Schwarz sagte zu der Vorgehensweise: "Was bringt es, Millionen für eine Sanierung in die Hand zu nehmen, ohne zu wissen, wie das Gebäude künftig genutzt wird."
In der kreativen Szene der Stadt ist man auf der einen Seite begeistert von der Pompidou-Idee, aber auch skeptisch. Kulturmanager Thomas Oberender, der 2021 in dem Gebäude das Kunst-Festival "The Sun Machine is Coming down" durchführte, sagte im Gespräch mit dem rbb: Er habe sich über die Worte des Wirtschaftssenator gefreut, denn er habe die Bauikone 2021 als Instagram-Ort erlebt. "Unsere Erfahrungen waren überwältigend, wir hatten auch den Eindruck, dass die Berliner froh waren, mal wieder in das Gebäude zu kommen. Es ist einzigartig." Gleichzeitig sagt er aber auch: Das ICC sollte kein privates Investment sein. "Das Land Berlin sollte sich an den Kosten beteiligen."
Ähnlich äußert sich die Präsidentin der Berliner Architektenkammer, Theresa Keilhacker. Wie das Pompidou, habe das ICC Potenzial über Berlin hinaus zu strahlen, sagte sie im Gespräch mit dem rbb. Das Gebäude und auch die Innenarchitektur seien architektonisch "extrem wertvoll". "Es ist ein aus einem Guss entstandenes Gebäude mit einer Innenarchitektur, die es so einfach sonst nicht gibt. Man sieht da zum Beispiel noch den original Aschenbecher am Stuhl."
Den Architektur-Kritiker und -Historiker Falk Jaeger schmerzt es, wenn Menschen das Kongresszentrum als hässlich und gar abrisswürdig bezeichnen. Das Gebäude sei schließlich ein Höhepunkt der High-Tech-Architektur-Bewegung, sagt er auf Nachfrage von rbb|24.
Eine Besonderheit aus den 70er-Jahren, die es sich zum Ziel gesetzt habe, konstruktive Elemente wie zum Beispiel Leitungen nicht zu verstecken. Dies mache die Schönheit des Bauwerks aus. "Man müsste das Gebäude einfach mal ordentlich kärchern und pflegen und nicht verkommen lassen." Dann würden es noch viel mehr Menschen als schön empfinden.
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.01.2023, 15:55 Uhr
Beitrag von Kira Pieper
Artikel im mobilen Angebot lesen