Interview | Berliner Ensemble feiert seinen Gründer
Am 10. Februar wäre der große Theatermacher Bertolt Brecht 125 Jahre alt geworden. Und natürlich feiert das Berliner Ensemble seinen Gründer. Warum Brecht gerade jetzt wieder relevant ist, erklärt Intendant Oliver Reese im Interview.
Vor 125 Jahren, am 10. Februar 1898, wurde Bertolt Brecht als Eugen Berthold Friedrich in Augsburg geboren. Sein Gesamtwerk umfasst mehr als 30 Theaterstücke, 2.500 Gedichte und Lieder sowie ein umfangreiches Prosawerk. Brecht schrieb und dichtete aber nicht nur, er machte sich auch viele Gedanken über Medien und die Gesellschaft, über das Wesen des Radios zum Beispiel. Und er gründete das bis heute bestehende Berliner Ensemble.
rbb24: Herr Reese, wäre Ihnen Brecht eigentlich nah und wichtig, wenn sie nicht Intendant ausgerechnet der Bühne wären, die er gegründet hat?
Oliver Reese: Man muss es andersherum sagen: Wenn man zu Brecht kein Verhältnis hat, dann soll man nicht Intendant am Berliner Ensemble werden. Und als mich die Politik angerufen hat und gefragt hat, ob wir über dieses Theater reden wollen, habe ich als Erstes gesagt, ich werde auf jeden Fall an dem Haus weiter Brecht spielen wollen und Brecht auf den Spielplan setzen. Ich habe eine Beziehung zu Brecht.
Ich habe auch oft erlebt, dass Regisseure Brecht nicht unbedingt inszenieren wollen. Schon als wir in Frankfurt [Schauspiel Frankfurt, Anm. der Redaktion] Brecht gespielt haben, gab es einige, die das nicht wollten. Und am Berliner Ensemble versuchen wir, spannende Aufführungen hinzukriegen.
Was hat uns Brecht, ein Mann der Ende des 19. Jahrhunderts geboren wurde, im Jahr 2023 noch zu sagen?
Er hat uns in dieser Zeit, fürchte ich, mehr zu sagen als vielleicht in den Jahren, in denen es uns allen besser ging, vor zehn oder 20 Jahren. Brecht ist ein Autor der Krise. Brecht hat die zentralen Schaffensjahre seines Lebens im Exil verbringen müssen. Er hatte einen Welterfolg geschrieben, als junger Mann mit 30 – die Dreigroschenoper, die am Berliner Ensemble rauskam, als es noch nicht so hieß.
Kurz danach musste er vor den Nazis fliehen und ist ab 1949 im Exil geblieben. Er wurde nur 58 Jahre alt. Die zentralen 15 Jahre seines Lebens hat er "on the road" im Exil unter schweren Bedingungen ohne Theater, ohne große Erfolge verbringen müssen. Und deswegen hat er gerade für unsere Zeit sehr viel zu sagen.
Ihr Haus zeigt an diesem Wochenende nicht nur Brecht-Stücke. Es wird auch Vorträge und Diskussionen geben, zum Beispiel mit einem Soziologen und einer Sozialwissenschaftlerin. Was haben die denn über Brecht zu sagen?
Ich glaube, das wäre Brecht recht gewesen, dass man nicht nur mit Aspekten aus der Theaterblase über seine Arbeit redet, sondern dass man seine Themen ernst nimmt. Brecht hat in den Stücken tatsächlich wesentliche Entscheidungen fürs Leben verhandelt, für ein politisches Engagement. Er hat sich zum Beispiel in "Die Maßnahme" mit dem Thema befasst: Ist ein Tyrannenmord in Ordnung? Kann das sein, dass man zu diesem Mittel greifen muss? Ein Thema, das wir auch heute besprechen.
Er hat in "Der Jasager. Der Neinsager" diskutiert, ob es einen Moment geben kann, in dem ich mein eigenes Leben dafür gebe, dass die Gemeinschaft weiterkommt. Das ist etwas, was wir im Moment in Kriegsgebieten erleben. Und deswegen ist es richtig, dass wir Brecht in drei Panels ernst nehmen und diskutieren.
Brechts Werke werden natürlich auch zu sehen sein. Was haben Sie geplant, was können Sie uns empfehlen?
Wir spielen gleich drei verschiedene Aufführungen mehrfach an diesem Wochenende, die sich mit Brecht auseinandersetzen. Wir haben eine kleine Uraufführung: "Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner". Es gibt Brechts sehr politisches, teilweise auch problematisches Stück "Die Mutter" – tief kommunistisch durchdrungen von dem Glauben an eine Welt, die man mit dem Kommunismus verbessern kann. Die junge Regisseurin Christina Tscharyiski hat das Stück inszeniert, mit fetziger Musik von Paul Dessau, neu interpretiert von einem der Musiker der Band Wanda.
Und dann gibt es noch einen verrückten Abend, der heißt "Brechts Gespenster". Da spielt die Puppenspielerin Suse Wächter – nicht nur Brecht, sondern auch Gott, Sigmund Freud und Lenin. Ein Puppenspiel aus der Welt von Brecht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Kerstin Lehmstedt für radioeins. Der Text ist eine redigierte Version des Interviews.
Sendung: radioeins, 07.02.2023, 10:40 Uhr
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