Theaterkritik | "Die Friedensstifterin" im Palais Podewil
"Die Friedensstifterin" entstand vor den aktuellen Ereignissen in Israel. Und ist doch hochaktuell. Eine schwarzhumorige Reise nach Gaza und Israel und an die Grenzen unserer Moral. Von Hendrik Schröder
Am Ende tanzen ein paar der Schauspieler mit Perücken auf dem Kopf und Sonnenbrillen auf der Nase über die Bühne, friedensbewegte Sänger spielen sie, irgendwo zwischen Peter Maffay und Konstantin Wecker. "Natürlich, der Holocaust war schlimm", singen sie, "aber für irgendwas muss er doch gut gewesen sein" und dann: "Oh Israel und Palästina, vertragt euch doch".
Das ist so witzig, so beißend komisch. Und trotzdem so niederschmetternd, sagt Besucherin Annabel nach dem Stück: "Manchmal lacht man ja auch als Übersprungshandlung, weil es eigentlich so sehr weh tut". Ja, die Friedensstifterin tut auch weh.
Denn hoffnungslos und vor allem völlig selbstbezogen ist der dem gesungenen Finale vorhergehende 90-minütige Versuch der Protagonistin Ali (eigentlich Alice), gespielt von der fantastischen Emilia Reichenbach, mit ihrem Cello und viel Engagement und einem Konzert in Gaza doch endlich Frieden über die Region zu bringen.
Ali kommt aus einer westdeutschen Kleinstadt, ihre Großeltern waren vielleicht Nazis. Früh hat sie gelernt, dass die Musik ihr Perspektiven, Freiheit und Ruhe bietet. All das will sie jetzt nach Gaza importieren, trifft einen palästinensischen Fischer am Strand und fragt ihn: "Do you never travel?" [zu Deutsch: "Reist du denn nie?"; Anm. d. Red.]
Es bleibt einem das Lachen im Halse stecken.
Ali wird dann im Laufe des Stücks erst von ihrem Ensemble aus Husum, mit dem sie doch angereist war, zurückgelassen, dann entführt, zwischendurch bombardiert. Dann rettet sie einem israelischen Soldaten aus Versehen das Leben mit ihrem Cello. Und ständig ändert sich ihr Weltbild. Je nachdem, auf wessen Schicksal sie gerade schaut. Das der Israelis, das der Palästinenser. Dabei ist sie so beflissen und verklemmt zugleich, dass sie nicht mal Jude sagen kann. Immer wieder drängt der gerettete Soldat sie dazu, dann schreibt sie irgendwann ein brüllendes "Jude" heraus. "Na siehst Du, geschrien geht es", sagt der Soldat.
Fein beobachtet das Stück anderthalb vorbeifliegende Stunden lang, wie man sich von außen allzuschnell eine Meinung bildet über diesen unendlich komplexen Konflikt. Und das alles, was man meint, immer nur unvollständig sein kann.
Viele der Besucher stehen nach der Vorstellung noch in Grüppchen im Foyer, reden leise, bewegt, nachdenklich. "Die Friedensstifterin" ist eigentlich eine Produktion des Staatstheater Kassel in Kooperation mit dem Beit-Lessin-Theater Tel Aviv. Geschrieben hat es der israelische Dramaturg Avishai Milstein, der lange in München gelebt hat und diesen oft leicht naiven deutschen Blick auf den Konflikt in Nahost pointiert und klug abbildet.
Im Podewil lief das Stück am Montag Abend als Abschluss des "Reclaim the Kunstfreiheit"-Festivals. Hoffentlich kommt es noch mal zurück in die Hauptstadt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.10.2023, 7:00 Uhr
Beitrag von Hendrik Schröder
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