Interview | Musikjournalist Wolfgang Martin
Mitte der 1960er bricht weltweit die "Beatlemania" aus. Auch in der DDR hat die Band aus England treue Fans – trotz eines fünfjährigen Verbots. Der Musikjournalist Wolfgang Martin hat ein Buch über die Geschichte der Beatmusik in der DDR geschrieben.
rbb|24: Was bedeutete es, in der DDR Beatles-Fan zu sein?
Wolfgang Martin: Diese Explosion, die die Beatles losgetreten hatten mit ihrer Musik, die hat ja erst mal alle musikbegeisterten, jungen Menschen damals ergriffen, unabhängig von Staatsgrenzen. Zum Glück waren die Grenzen für den Radioempfang nicht so gezogen wie alles andere. Die Veränderung ist dadurch eingetreten, dass sich plötzlich der Staat die Kulturpolitik dieses neuen Phänomens bemächtigt hat und darin eine Gefahr gesehen hat.
Natürlich haben sich Menschen im Westen, vor allem die älteren Generationen, auch über diese Beatle-Mania aufgeregt, über diese Pilzköpfe und wie das alles beschimpft wurde. Die Beatles sind dort aber trotzdem im Radio gespielt worden, die Platten sind millionenfach weltweit verkauft worden und jeder konnte Fan sein, so wie es ihm beliebt. Und das sollte aber fünf Jahre lang in der DDR nicht möglich sein.
Worin bestand aus Sicht der SED-Funktionäre denn die Gefahr?
Es war die große Angst, vor allem – wie sie es immer ausgedrückt haben – Dekadenten. Vor allem, was da aus dem Westen herübergeschwappt kam, wo man doch eine Moralvorstellung davon hatte, wie die sozialistische Jugend zu ticken hat. Es war die ideologische Angst und politische Angst, dass – um es mal mit einem einfachen Wort zu sagen – die Jugend der DDR versaut werden könnte, nicht mehr an diese sozialistischen Ideale glaubt.
Die Reaktion der DDR auf die Beatmusik ist auch im Titel Ihres Buches zu finden: "Schluss mit dem Yeah, Yeah, Yeah"...
Diesen Ausspruch hat Walter Ulbricht auf einem Plenum vom Zentralkomitee der Staatspartei SED gemacht. Und das war in Folge mehrerer Ereignisse. Zunächst einmal ein Fremdereignis, nämlich das berühmte Rolling Stones-Konzert im September 1965 in der Westberliner Waldbühne, wo die Fans die Waldbühne verdroschen haben. Und das ist natürlich auch in den Osten herübergeschallt. Da waren die Funktionäre aber wirklich auf Achtung gestellt.
Und dann kam es im Oktober 1965 zu den berühmten Beat-Krawallen in Leipzig. Es gab damals in der gesamten DDR schon mehrere hundert Beat-Gruppen, einige davon sind sogar auch von Amiga [staatliches Plattenlabel der DDR, Anmerkung der Redaktion] offiziell produziert worden. Und die sind nach dieser Beat-Demonstration im Oktober 1965 alle von einem Tag auf den anderen verboten worden.
Welche Reaktionen gab es auf den Boykott aus der Beatmusik-Szene?
Eine Band, die davon besonders betroffen war, war die Gruppe "Renft" aus Leipzig. Der Bandleader Klaus Jentzsch hat die Gruppe zuerst mal unter dem Namen Renft gegründet, dann ist die verboten worden. Dann hat er daraus eine Gruppe mit dem Namen "die Butlers" gemacht, dann sind die wieder verboten worden – auch im Zuge dieser Krawalle im Jahr 1965. Jentzsch hat sich dann von einer Bandneugründung zur nächsten gehangelt. Die haben damals ja noch nicht so sehr mit Texten angeeckt, sondern das war wirklich das Nachspielen von Beatles- und Stones-Songs oder auch instrumentale Beatmusik. Die haben natürlich die Welt nicht verstanden. Was soll daran sein?
Aber das hat natürlich auch eine Protestbewegung ausgelöst. Und das hat sich dann so hochgeschaukelt, dass tatsächlich auch mit Polizeigewalt und mit Verhaftungen vorgegangen wurde. Dann gab es einen Beschluss, dass besonders gefährliche Personen vier Wochen in ein Arbeitslager, also in den Tagebau zum Beispiel, geschickt worden sind und sich dort in der sozialistischen Produktion bewähren mussten. Also die Frage war immer: Warum haben die so eine Angst vor diesem Phänomen, das ja eigentlich nur Freude und Unterhaltung bringen wollte?
In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass die Verbotspolitik ihre Wirkung jedoch verfehlt hat...
Jedes Interview, das ich mit Musikern für dieses Buch geführt habe, beginnt und endet mit dieser großen Bedeutung, die die Beatles für sie persönlich, aber eben auch für die gesamte Entwicklung der Populärkultur hatten und immer noch haben.
Toni Krahl, der Sänger von City, hat gesagt, dass genau dieser Ausspruch von Ulbricht für ihn der Grund war, jetzt erst richtig loszulegen. Er hat gesagt: "Das hat uns eigentlich nur noch schärfer gemacht und angetrieben, in diesem Rock'n'Roll-Dschungel weiterzumachen und durchzuhalten und besser zu werden und das bis zum Ende unserer Karriere durchzuziehen". Und das war ein ganz klares Statement von Toni dafür, dass auch für ihn natürlich die Beatles der allerwichtigste Anstoß und Einfluss in seiner musikalischen Karriere waren. Die Beatles waren nun mal die ersten und blieben immer das Wichtigste für die meisten.
Der Beatmusik-Boykott hielt etwa fünf Jahre an. Was veränderte sich in den 1970er Jahren?
Das war, als es auch in der DDR losging mit dieser eigenständigen Pop- und Rockmusik-Produktion und sich diese Szene weiterentwickelte. Irgendwann ging es dann auch los, dass Amiga immer mehr Lizenzplatten veröffentlicht hat. Und es sind dann auch in den 70er und 80er Jahren weitere Beatles-Platten veröffentlicht worden.
Ich war dann auch schon im Rundfunk und habe dort miterlebt, wie das Tauwetter einsetzte und wir in unseren Sendungen wieder Beatles-Songs spielen konnten und uns überhaupt sehr stark mit den Beatles beschäftigt haben. Ich glaube, es hat fast keine Sendung gegeben, in der ich nicht auch ein Beatles-Song gespielt habe. Das war dann also ab den 70er Jahren so gut wie gar kein Problem mehr. Das größere Problem hatten wir dann eigentlich mit den Rolling Stones oder mit Udo Lindenberg, die dann auf dem Index standen. Aber die Beatles hatten wir sozusagen freigekämpft.
Was verbindet Sie persönlich mit den Beatles?
Mitte der 60er Jahre war ich 14 oder 15, als dieser Beatles-Boom losging. Meine allererste Beatles Platte war ein Geschenk meines Vaters als Wiedergutmachung dafür, dass er mir mal in einer Überreaktion die Haare nachts abgeschnitten hatte. Am Anfang hatte diese Generation große Probleme mit dem, was da passierte. Die kam mit der Musik nicht klar, die kam mit der Mode nicht klar und die kam überhaupt nicht mit den langen Haaren klar. Das war diese sogenannte Pilzkopf-Frisur. Wenn man sich das heute anschaut, auf alten Fotos von den Beatles und all den anderen Bands, versteht man die Welt nicht mehr. Wieso das zu einem solchen Aufruhr führen konnte.
Ich gehöre schon wirklich mit zu den Hardcore-Fans und habe alles aufgesogen, was ich irgendwie von den Beatles bekommen konnte. Und das war unter den Bedingungen damals in der DDR gar nicht so einfach. Also die Musik konnten wir schon noch hören. In Ostberlin war das ein bisschen einfacher als in anderen Landstrichen. Man hat die Musikkassetten untereinander ausgetauscht und überspielt. Und dieses Fantum, das ist glaube ich nach dem Elvis-Kult dann noch mal eine Etage höher mit den Beatles passiert. Und das hat uns alle zusammengeschweißt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Max Burk für rbbKultur.
Sendung: rbbKultur – Das Magazin, 28.10.2023, 18:30 Uhr
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