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20 Jahre Berghain
Draußen ist die Warteschlange länger als die Nacht, innen wummern Technobeats durch ein kompromissloses Soundsystem: Das Berghain feiert seinen 20. Geburtstag. Untergrund oder schon Mainstream? Weder noch, sagen die Gäste. Von Jule Lippick
Für Unwissende ist es ein rätselhaftes Bild: Hunderte Menschen in schwarzer Kleidung warten aufgereiht in der Kälte. Eine gewisse Anspannung liegt in der Luft, die Leute reden wenig. Hier und da ertönen Stimmfetzen: Englisch, Spanisch, weniger Deutsch. Ein Späti dudelt leise elektronische Musik in die Nacht.
Freitagabend, kurz vor Mitternacht. Die Bars und Kneipen an der Warschauer Straße in Berlin-Friedrichshain sind rappelvoll. Es ist kalt, niemand möchte wohl im Dezember zu lange draußen rumhängen. Doch etwas weiter in Richtung Berlin Ostbahnhof, vorbei an Metro und Baumarkt, in Richtung Pariser Kommune, hat sich in der Kälte eine Schlange gebildet. Eine Schlange, die selbst die härtesten Clubgänger frösteln lässt. An diesem Wochenende feiert einer der berühmtesten Clubs der Welt zwanzigjähriges Bestehen: das Berghain.
Eine Gruppe junger Menschen steht bereits auf Höhe des Bauzauns vor dem Club - von hier ist es nicht mehr weit bis zum Türsteher. Sie haben die schwarzen Jacken bis unter die Nase gezogen. Einer nimmt einen Schluck Glühwein, eine andere dreht sich mit zitternden Händen eine Zigarette. Zwei Stunden stehen sie hier schon, mit einer weiteren rechnen sie noch. "Das ist halt der Hain-Geburtstag." Sie schätzen, dass in der Schlange bereits 1.000 Menschen auf Einlass warten. "Freitagabend sind das aber fast nur Touris", sagt einer.
Hervorgegangen aus dem Ostgut, einem kleineren, etwas rauerem Vorgänger, öffnete das Berghain 2004 seine Tore. Schnell war klar: Dieser Club ist anders. Die riesige Halle des früheren Heizkraftwerks, das kompromisslose Soundsystem und die strenge Türpolitik erobern schnell die Herzen der Berliner Nachtschwärmer. Das Berghain oder auch Hain genannt, entwickelte sich schnell zu dem Geheimtipp für Techno-Fans und einem beliebten Ort in der Schwulenszene.
Geheimnisse haben bekanntlich in einer vernetzten Welt nur eine begrenzte Halbwertszeit. Heute ist das Berghain ein globales Phänomen. Touristen aus allen Ecken der Welt pilgern nach Berlin, um es in den Club zu schaffen - oder wenigstens abgewiesen zu werden. In der Schlange sagt ein Gast aus der Schweiz: "Das Warten hier ist schon die halbe Experience. Wenn ich nicht reinkomme, hatte ich wenigstens eine gute Zeit in der Schlange. Das ist auch schön."
Für einige Menschen ist die Faszination schwer nachvollziehbar: Warum stundenlang anstehen, wenn Berlin doch so viele Clubs zu bieten hat? Stammgäste wie Karsten sehen das anders. Noch vor Geburt des Berghains besuchte Karsten regelmäßig das Ostgut, damals noch am jetzigen Standort der Uber-Arena, nur wenige Meter vom heutigen Berghain entfernt. Zufällig erfährt er vor zwanzig Jahren über die Neueröffnung des Clubs: "Da wurde es noch nicht Berghain genannt, sondern neues Ostgut. Mein Freund und ich sind nachts, am Eröffnungsabend, dort hingegangen. Die Schlange war uns aber zu lang. Das Wochenende darauf sind wir dann rein."
Anfangs sei Karsten skeptisch gewesen, der erste Besuch in dem Berliner Club überzeugte ihn dann aber: "Wenn du da die Treppe das erste Mal hoch gehst und diese Musik einhämmert, dich vollkommen in den Bann zieht. Das ist eine ganz besonders aufgeladene Atmosphäre." Er wünsche sich, dass der Club so weitermache wie bisher. Auch wenn die Verbesserung von Soundsystem und die Professionalisierung des Betriebs Gutes bringt, hofft Karsten auf das Ausbleiben weiterer Kommerzialisierung. Das Berghain sei zwar kein Untergrund mehr, aber auch noch kein Mainstream.
Auch die 39-jährige Mareike kann sich an ihr erstes Mal Berghain noch erinnern. Die Psychotherapeutin kommt ursprünglich aus Hamburg und besucht den Club seit 2012 regelmäßig. "Wie ich da damals die Treppe hochgegangen bin und diesen Raum gesehen habe mit den Lichtern, mit den Leuten und diese Anlage gehört habe. Die hat sich einfach direkt in mein Herz gespielt. Es klingt pathetisch, aber es war ein bisschen wie nach Hause kommen."
In Mareikes Stimme schwingt Sehnsucht. Das Hain sei ein Ort, wo sich Menschen über Musik, Spaß, Genuss, und Tanzen mit anderen verbinden. "Es ist ein Raum, in dem du wertfrei sein kannst, und es ein bisschen egal ist, wie du aussiehst, wo du herkommst oder welche Sprache du sprichst." Das Publikum hat sich verändert, meint Mareike. Es sei diverser und internationaler geworden. Inwzwischen wird der Floor im Berghain allerdings auch immer öfter zum Mittel der Selbstdarstellung. Zeitgeist und Soziale Medien spielen hier keine geringe Rolle: Techno ist Trend.
Doch auch wenn der Wandel die ursprüngliche Ungezwungenheit zu bedrohen scheint, gebe es positive Veränderungen. Mareike freut sich über die feministischen Einflüsse: "Es gibt mittlerweile eine Flinta-Toilette. Nicht nur ein richtiges Klo, sondern einfach so Flinta-Urinale. Das ist einfach eine wahnsinnige Verbesserung der Lebensqualität."
Sendung: rbb24 Abendschau, 14.12.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Jule Lippick
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