Berlinale-Filmkritik | "Black Tea" und "Who Do I Belong To"
Zwei rätselraunende Filme kurz vor Ende des Wettbewerbs: In "Who Do I Belong To" aus Tunesien geht es um die geheimnisvolle Heimkehr eines Sohnes. "Black Tea" phantasiert eine afrikanische Diaspora in einem bildschönen China herbei. Von Fabian Wallmeier
"Sie hat nein gesagt!" Ein entsetztes Raunen geht am Anfang von "Black Tea" durch die Hochzeitsgesellschaft. Aya (Nina Mélo) steht auf und geht. "Du bist nicht glücklich mit mir", hat sie ihrem Beinahe-Ehemann vorher noch gesagt. Jetzt läuft sie im weißen Brautkleid durch die Straßen ihrer Stadt in der Elfenbeinküste – und ist in der nächsten Szene auf einmal in Guangzhou. Oder vielleicht eher in einer idealisierten Version der südchinesischen Metropole.
Aya scheint schon eine Weile hier zu leben, in einer Stadt, die als paradiesischer Schmelztiegel afrikanischer und asiatischer Kulturen gezeichnet wird. Sie spricht fließend Chinesisch, kennt allerlei Menschen, hat Freund:innen inner- und außerhalb der großen afrikanischen Community.
Und sie hat einen Job: Sie arbeitet in einem Teeladen der edleren Art. Tee ist hier Kulturgut und Lebensphilosophie. Mit kleinen Kännchen und Tässchen und viel Zeit wird das Teetrinken hier zelebriert. Nach Feierabend bildet Ladenbesitzer Cai (Chang Han) Aya nach Feierabend in trauter und merklich knisternder Zweisamkeit weiter.
Das ist einigermaßen schön anzusehen - und überhaupt ist das Guangzhou im Wettbewerbsbeitrag des aus Mauretanien und Mali stammenden Abderrahmane Sissako mindestens so pittoresk und farbensatt gezeichnet wie das Hongkong in den großen Liebesfilmen von Wong Kar-wai. Das saftige Grün der Teeplantage, die edlen Stoffe der Kleider. Doch von der ästhetischen Meisterschaft und emotionalen Dringlichkeit Wongs zeigt sich Sissako hier meilenweit entfernt.
Vor allem aber gefällt sich Sissako im prätentiösen Rätselraunen und Andeuten. Abreißkalender-Lebensweisheiten werden ausgetauscht. Mehrmals kündigt jemand ein großes Geheimnis an – was dann aber erzählt wird, ist meist nichts wirklich Großes. Oder es zerfasert in Sissakos einschläferndem Erzählstil, dessen Langsamkeit kaum nachvollziehbar ist.
Eine Vielzahl von Figuren taucht auf – Menschen aus afrikanischen Ländern, die China als Sehnsuchtsort verstehen oder unglücklich sind und zurückkehren. Chines:innen, die sich wiederum nach Afrika träumen. Und, um in diesem in warmen Farben gemalten chinesischen Eldorado doch noch etwas Negatives zuzumuten, wird noch pflichtbewusst erzählt, dass manche auch rassistische Vorurteile haben.
Die Liebesgeschichte zwischen Aya und Cai mäandert genauso trübe vor sich hin. Ihren traurigen Höhepunkt hat sie in einer Szene, in der er das Gefühl, das sie ihm gibt, ausschweifend und bedeutungsschwanger mit Schwarztee vergleicht. Wohl bekommt's!
Ganz am Ende nimmt der Film dann noch mal eine Wendung. Die soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: Eine so faul gedachte Auswegmöglichkeit rettet das esoterische Schlamassel dann auch nicht mehr
Auch zu Beginn von "Who Do I Belong To", dem Wettbewerbsbeitrag der tunesisch-kanadischen Langfilmdebütantin Meryam Joobeur, gibt es eine Hochzeitsszene. Doch während sie in "Black Tea" der Ausgangspunkt des Folgenden ist, ist sie hier nur ein Beiwerk, ein kurzer Moment des Aufatmens. Die Protagonistin Aïcha (Salha Nasraoui) sehen wir hier kurz tanzen und lachen - in einem Film, der ansonsten wenig Freude für sie bereithält.
Aïchas Familie ist in einer tiefen Krise: Die zwei älteren ihrer drei Söhne sind verschwunden, offenbar um sich dem IS anzuschließen. Joobeur zeigt das aus den Fugen geratene Familienleben ganz nah, in klar komponierten 4:3-Aufnahmen. Zwischen Aïcha und ihrem Mann Brahim (Mohamed Hassine Grayaa) macht sich eine vorwurfsvolle Anspannung breit. Auch der jüngste Sohn Adam, sommersprossig und lodernd rothaarig wie seine Mutter, ist tief verunsichert. Mit ihm jedoch verbindet sie eine innige Körperlichkeit, eine sich in ständigem Streicheln und Berühren äußernde Zärtlichkeit.
Plötzlich ist der älteste Sohn Mehdi (Malek Mechergui) zurück. Amine, der andere Bruder, sei tot, berichtet er knapp. Doch begleitet wird er von Reem (Dea Liane), die er als seine Frau vorstellt. Diese geheimnisvolle Figur spricht nicht, trägt Niqab und zu sehen sind von ihr nur der ruhige Gang und die wachen, geschminkten grünen Augen. Die beiden verstecken sich nun zu Hause bei Mehdis Eltern, denn IS-Terroristen würden hier vor Gericht gestellt.
"Who Do I Belong To" ist ein Film voller gequälter Seelen. Mehdi leidet stumm und schafft es lange nicht zu erzählen, was eigentlich passiert ist mit Amine, Reem und ihm. Ibrahim sitzt allein mit einem Bier am Strand und stellt in Frage, wo er denn nun eigentlich hingehört, wenn seine Familie für ihn alles ist. Und Aïcha hat von einem tiefen Schnitt mit dem Kartoffelschälmesser eine Wunde, die immer wieder aufs Neue den Verband blutrot färbt.
Eine blutendende Wunde, die niemals heilt – das ist natürlich nicht gerade ein subtiles Bild für die Seelenqualen. Aber Joobeur kann auch eleganter. Als wesentliches Element durchziehen Aïchas Traumbilder den Film: Mal verweisen sie prophetisch auf das, was gleich passiert, mal sind sie schlicht rätselhaft. Aber immer sind sie traumschön inszeniert.
Am Ende gelingt es ihr, das Schicksal in voller Brutalität zuschlagen zu lassen, und trotzdem keine langweiligen Eindeutigkeiten herzustellen. "Who Do I Belong To" bleibt bis zum Schluss in Teilen ein Rätsel. Eines, dem zuzuschauen sich durchaus lohnt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 22.02.2024, 07:55 Uhr
Beitrag von Fabian Wallmeier
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