Größere Kinder in Berlin
Pankow gilt als familienfreundlicher Bezirk. Dabei ist es eigentlich einfach nur proppenvoll überall. Das gilt auch und insbesondere für die viel zu wenigen Spielplätze. Zu spüren bekommen das vor allem die über Sechsjährigen. Von S. Krüger
Dass Pankow von Familien chronisch überlaufen ist, ist kein Geheimnis. Das gilt auch für den Ortsteil Alt-Pankow, unweit des S-Bahnhofes Wollankstraße und mittendrin im beliebten Florakiez.
Ben*, mein Sohn, ist inzwischen fast neun Jahre alt. Der selbstbewusste Junge hat viele Freunde im Kiez und mit denen will er längst für ein bis zwei Stunden alleine los am Nachmittag. Zum "Chillen". Ohne Mama, Papa und kleine Geschwister. Dafür aber mit den Kumpels und möglichst umsonst und draußen.
Was die Sache dann aber schwierig macht ist, dass die Kinder nicht wissen, wohin sie gehen sollen. Denn die öffentlichen Spielplätze sind am Nachmittag restlos überfüllt mit Kleinkindern samt Eltern oder Großeltern. Das ist aber offenbar nicht nur in Pankow so. Marcus Behrendt ist Horterzieher an einer Grundschule in Tempelhof. Seiner Meinung nach ist die Situation für die etwas älteren Kinder vor allem deshalb schwierig, weil es in der Stadt an Platz für sie mangelt. "Es kommt dabei gar nicht so sehr auf die Ausstattung der Spielplätze an. Wenn die Kinder sich frei bewegen und rennen können, fallen ihnen auch tolle Spiele ein", so der 40-Jährige. Doch kleine, zwischen Häusern geklemmte Spielplätze könnten das nicht wirklich erfüllen. Es geht auch anders: "In der Buschkrugallee in Neukölln zum Beispiel ist ein riesiger Spielplatz mit einem Motorikpark und riesigen Flächen", schwärmt Behrendt. Aber solche Spielplätze gebe es viel zu wenige.
Die Parks, wie zum Beispiel der Bürgerpark in Pankow, sind verhältnismäßig anreizlos. In die Panke dürfen die Burschen nicht rein. Es liegen Scherben darin und zudem zertrampeln sie das Ufer. Auch vor der Wasserqualität wird immer wieder gewarnt. Der kleine Skatepark ist im Regelfall übersäht mit Scherben und zudem besetzt von Kindern deutlich über 12 Jahren (für die ist er auch gedacht), die es richtig bescheiden finden, wenn sich da deutlich Jüngere einfinden.
Ben zieht - mit seiner Armbanduhr und genauen Instruktionen, wo er nicht hindarf, versehen - mitunter inzwischen leider recht ziellos mit seinen Freunden durch den Bezirk. Wenn einer Geld dabei hat, entern sie den Supermarkt. Angenehme Kunden sind sie nicht. Sie sind gelangweilt, krakeelen laut und pieken mit Vorliebe sehr viele Löcher in die mit Plastikfolien umspannten Behälter mit frischen Waren. Nach spätestens zehn Minuten werden sie zu Recht ermahnt und mehr oder weniger freundlich zum Bezahlen und Gehen geleitet.
Bleibt dann doch wieder nur der Spielplatz. Doch in Berlin ist die durchschnittliche Spielfläche je Einwohner in den letzten 20 Jahren von 0,8 auf 0,6 Quadratmeter gesunken (Laut Gesetz soll es mindestens ein Quadratmeter sein). Trotzdem gibt es insgesamt 1.785 Spielplätze. Davon sind nach Angaben der Senatsverwaltung 1.273 für Kinder und Jugendliche zugleich gedacht. Also auch für Ben und seine Kumpels.
Doch dort ist es für über Sechsjährige mitunter nicht nur ganz schön eng, sondern auch ziemlich langweilig. Das hat sogar System. Denn, so schreibt es die Senatsverwaltung, die auf den Spielplätzen aufgestellten Spielgeräte sollen unattraktiv für andere Altersklassen sein. Definitiv kaum vorhanden sind in Alt-Pankow Spielplätze, die über komplexere Klettermöglichkeiten, Balance-Optionen, Wasseranreize, längere und steilere Rutschen oder für etwas ältere Kinder geeignete Rückzugsräume bieten. "Mehr Fußballkäfige wären auch ganz gut", sagt Hort-Erzieher Behrendt. "Da kann der Ball dann auch keinem Kind, das im Sandkasten sitzt, an den Kopf geknallt werden."
Für größere Kinder fehlt es also definitiv an kreativem und gleichzeitig geschütztem Raum zum Spielen. Um die Sache dann etwas aufregender zu gestalten, rutschen Ben und seine Freunde auf dem proppenvollen Spielplatz für alle jeweils mit einer riesigen Ladung Sand und Kies, die sie zuvor in ihre T-Shirts gepackt die Leiter hinauf balanciert haben. Wird ihnen das verboten, hängen sich bei vollem Tempo an das Drehkarussell und reißen im schlimmsten Fall mit ihren langen Beinen sämtliche sich im Radius befindlichen Kleinkinder um. Danach klettern sie von außen auf das große Holztipi und drohen das Teil umzukippen. Je nach Randale-Grad dauert es da maximal eine halbe Stunde, bis sie – auch hier zu Recht – von den Eltern der Kleinkinder erst ausgeschimpft und dann weggeschickt werden.
Dann also doch wieder auf die Straße. Denn auf dem Fußballplatz ist Vereinstraining und das Geld für ein Eis im Park hatten sie zuvor schon im Supermarkt für eine Tüte Chips und Limo investiert.
Schade, dass sich die Stadt Berlin offensichtlich nicht so recht zuständig fühlt, auch größere Kinder adäquat zu bespielen. Die anteilig meisten Spielplätze in Pankow ständen ja genau den 8 bis 12-Jährigen zur Verfügung, so das Bezirksamt Pankow auf Nachfrage von rbb|24. Die tatsächliche Qualität der Orte oder zum Beispiel der Platz, der zur Verfügung steht, spielen kaum eine Rolle. Anders geht das offenbar in anderen Städten.
In Potsdam gibt es derzeit ein Beteiligungsverfahren für die Bürger, weil zu einer lebenswerten Stadt auch "attraktive und nutzerorientierte Spielplätze, Skate- und Bolzplätze und Aktionsflächen für Kinder und Jugendliche" gehörten. Hier sollen nicht nur die Bedürfnisse abgefragt werden, sondern es sollen auch die bestehenden Spielplätze erhalten und weiterentwickelt werden. Die Zielgruppe der 6 bis 12-Jährigen ist hier eigens als Zielgruppe erfasst. Chapeau! Leider kommt ein Umzug für unsere Familie nicht in Frage.
Die einfachste Lösung für das Nachmittagsproblem sei doch ein Verein, mag man da denken. Schön wär's. Erstens kann man da dann auch nicht jeden Nachmittag hin und zweitens sind die Wartelisten der Pankower Vereine endlos. Mitunter wollen so viele Kinder kommen, dass nicht mal mehr eine geführt wird. Im Schulhort zu bleiben, bis der schließt, ist übrigens auch nicht jeden Tag die Lösung für die Unabhängigkeitsbestrebungen des Nachwuchses. Denn dort ist, genau wie in den Vereinen, ja pädagogisches Personal allgegenwärtig und es geht den Kindern ja durchaus auch darum, sich genau ohne für sie zuständige Erwachsene auszuprobieren.
*Der Name des Kindes ist geändert.
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