Aus Steglitzer Kreisel wird "ÜBerlin"
Der Steglitzer Kreisel ist ein Koloss aus Stahl und Beton und über 40 Jahre alt. Nun soll er zu "ÜBerlin" werden, dem höchsten Berliner Wohnhaus - mit 330 Eigentumswohnungen. Zu Preisen jenseits von Gut und Böse. Von Daniel Marschke
Seit über 40 Jahren schon ragt er in den Himmel über Berlin - ein Koloss aus Stahl und Beton: Der Steglitzer Kreisel ist 120 Meter hoch, hat 30 Stockwerke, und allein der Rohbau ist einige zehntausend Tonnen schwer. Für viele Berlinerinnen und Berliner im Südwesten ist er zu einer Art Wahrzeichen geworden - direkt am S- und U-Bahnhof Rathaus Steglitz gelegen und am südlichen Ende der Schloßstraße, einer der wichtigsten Einkaufsmeilen der Stadt. Und auch die Auffahrt zum Autobahnzubringer A103 ist in unmittelbarer Nähe.
Nun wollen der Bauunternehmer Christoph Gröner und die nach ihm benannte CG-Gruppe den Steglitzer Kreisel neu gestalten und aus dem früheren Skandalbau das höchste Wohnhaus der Stadt machen, das "ÜBerlin". Deutliche Fortschritte sind bereits zu erkennen: Das frühere Bürohochhaus ist bis auf sein Stahlgerüst entkernt. Hoch auf dem Dach steht ein Kran. Noch vor Weihnachten soll das Gebäude eingerüstet werden.
Für das Land Berlin geht damit eine Jahrzehnte lange Hängepartie zu Ende - denn seit den 70er-Jahren steht der Kreisel für einen der größten Bauskandale der Berliner Nachkriegsgeschichte, für eine teure Insolvenz und für einen jahrelangen Leerstand, der das Land und damit den Steuerzahler seit 2007 jedes Jahr rund 700.000 Euro kostete - einschließlich Strom und Heizung.
Grund für den Leerstand war eine zu hohe Asbestbelastung. Ein 2004 erstelltes Gutachten legte dem Bezirksamt Steglitz nahe, spätestens 2007 auszuziehen. Außerdem, so hieß es, müsse der krebserregende Stoff entsorgt werden - sonst sei eine spätere Nutzung ausgeschlossen.
Also gab die Stadt noch einmal 18,5 Millionen Euro für die Asbestsanierung aus und verkaufte den Turm dann an die Gröner-Gruppe, besenrein sozusagen. Medienberichte sprechen von einem Verkaufspreis von etwa 21 Millionen Euro. Laut Senatsfinanzverwaltung wurde auf diese Weise ein "Nettoerlös von über einer Million Euro" erzielt. Nicht erwähnt wurde dabei, dass das Land Berlin schon in den 70er-Jahren Millionen für den Kreisel aufwenden musste.
Allein die Pleite der Bauträgergesellschaft Avalon kostete den Senat 1974 rund 42 Millionen D-Mark - denn für diese Summe hatte das Land gebürgt. Die Bauarbeiten, die 1968 begonnen hatten, wurden für drei Jahre unterbrochen. Der damalige Finanzsenator Heinz Striek (SPD) trat wegen der Kreisel-Affäre sogar zurück.
Immerhin ist das Land den Kreisel nun los, doch auch heute, 45 Jahre später, bleibt das Hochhaus umstritten. Mietwohnungen wird es keine geben, stattdessen plant Gröner Eigentumswohnungen im obersten Preissegment. Vor allem linke Politiker fürchten, dass das "ÜBerlin" damit ein sehr wohlhabendes Klientel anzieht, das den Kiez durch seine hohe Kaufkraft nachhaltig verändern könnte.
Mitte November treffen wir den Bauunternehmer und wollen mehr über seine hochfliegenden Pläne wissen und über die Herausforderungen, die ein Hochhaus-Umbau mit sich bringt. Doch ziemlich schnell kommt die Rede auch auf die Lage am Berliner Wohnungsmarkt. Dabei übt Gröner scharfe Kritik an der "investorenfeindlichen Politik" des Berliner Senats.
Zum Termin im Vertriebsbüro am Fuß des Kreisels erscheint der 51-Jährige mit perfekt sitzendem Anzug und offenem Kragen. Obwohl er an diesem Morgen schon den ersten Flug hinter sich hat, wirkt er hellwach und aufgeräumt. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begrüßt er per Handschlag.
Sieben Jahre sei es nun her, dass er den Steglitzer Kreisel zum ersten Mal wahrgenommen habe, erzählt Gröner - nach einem Besuch im Schlosspark-Theater von Didi Hallervorden, schräg gegenüber. Als er den schwach erleuchteten Turm in dieser Juni-Nacht gesehen habe, sei ihm der Gedanke gekommen, "aus einem ganz hässlichen Objekt etwas Wunderbares, Schönes zu machen".
Sofort habe er seinen Vorstandskollegen angerufen und gefragt, ob sich das Gebäude kaufen lasse. "Ein Projektentwickler, wie wir es einer sind, der wartet nicht, dass Angebote von Maklern kommen, sondern der läuft durch eine Stadt, der fährt mit dem Fahrrad durch eine Stadt, der versucht, eine Stadt zu verstehen und dann dabei herauszufinden, wo es Potenziale gibt, die entwickelt werden können."
Christoph Gröner, Jahrgang 1968, gehört zu den erfolgreichsten, aber auch umstrittensten Bauunternehmern in Deutschland. Schon 1991 gründet er sein erstes Unternehmen. 1995 geht er nach Leipzig, im Jahr 2000 folgt dann der Sprung nach Berlin, wo heute die Firmenzentrale der CG-Gruppe sitzt. "Niemand hat so viele Altbauten, niemand hat so viele Büros, niemand hat so viele bestehende Gebäude umgenutzt oder saniert. Darauf sind wir stolz, das ist unsere Geschichte", sagt Gröner und lässt uns ahnen, was es heißt, ein Baulöwe zu sein - einer, der neuerdings im Fernsehen auftritt, um sich offen zu seinem Reichtum zu bekennen.
"Wir müssen aufklären, dass Reichtum keine Sünde ist, und auch nichts Schlechtes ist, und wir müssen die Neiddebatte beenden", sagte Gröner 2018 bei "Hart aber fair". Reiche Menschen würden in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen, unter anderem, weil sie Arbeitsplätze schaffen und etwas bewegen würden - so wie mit dem Kreisel.
Der aus Karlsruhe stammende Projektentwickler gilt als Luxussanierer, als Spezialist für "added value", jemand, der billig aufgekaufte Bestandsbauten aufwändig saniert und für ein Vielfaches ihres ursprünglichen Wertes weiterverkauft - so wie damals, als er Mitte der 90er-Jahre in Leipzig alles sanierte, was der Markt hergab. Heute rekonstruiert der vierfache Vater das Palais Hoym in Dresden, im Frankfurter Westend hat er die Oberpostdirektion erworben, in Leipzig den Alten Postbahnhof, in Berlin-Kreuzberg das Postscheckamt und in Steglitz den Kreisel.
Bis Ende 2021 soll das "ÜBerlin" fertig sein, das höchste Wohnhaus der Hauptstadt - ein Mammutprojekt, das nicht nur den Bauherren, sondern auch Ingenieure und Bauleitung vor scheinbar unlösbare Aufgaben stellt. Denn die Konstruktion der Berliner Architektin Sigrid Kressmann-Zschach stammt aus den 60er-Jahren - sie war nie fürs Wohnen gedacht, und auch die Statik passt nicht zu dem, was nun entstehen soll.
"Es war von Anfang an klar, dass wir es hier mit einem Objekt zu tun haben, das der Idee der Wohnnutzung nicht so ohne Weiteres gerecht wird", sagt CG-Chef Gröner. Zwar habe sich herausgestellt, dass sich der Kreisel "ertüchtigen" lasse, dass über die "überdimensionierten Fundamente" zusätzliche Lasten abgeleitet werden könnten - doch all das nur mit einem großen baulichen Aufwand. Das sei "in jeder Hinsicht Neuland", sagt der Bauherr, "dass man tatsächlich aus altem Büro modernes Wohnen macht".
Auch die Statik habe völlig neu berechnet werden müssen, denn die Fassade von "ÜBerlin", mit Innenbelüftung und Dreifachverglasung, wird deutlich schwerer sein als die des Kreisels, noch zumal jede der geplanten Wohnungen einen Balkon oder eine Loggia erhalten soll. Um diese an der Fassade zu verankern, "müssen wir von außen fünf bis acht Meter lange Stahlträger in die Konstruktion einbringen", sagt Marcel Mäurer, der verantwortliche Bauleiter.
Allein im vierten Stockwerk, dem sogenannten Abfanggeschoss, waren in den vergangenen Monaten umfangreiche Baumaßnahmen erforderlich. Es trägt nicht nur den gesamten Turm, es verzweigt die vier Gebäudeflügel auch in entgegengesetzte Himmelsrichtungen. "Da wir durch die Balkone, Erker und Loggien ein neues Lastverhältnis bekommen, mussten wir die 4,80 Meter hohen Träger verstärken", erläutert Mäurer. Dazu habe man in das vorhandene Tragwerk tonnenschwere Stahlplatten eingeschweißt.
Zuvor war das Gebäude komplett entkernt worden. Die alten Glasfassaden sind entfernt, die alten Fahrstühle durch Baufahrstühle ersetzt worden, bis hoch aufs Dach. Seit dem Sommer 2019 ist der Kreisel nur noch ein stählernes Gerippe, das während der Nachtstunden in unterschiedlichen Farben erstrahlt, angeregt durch das Lichterfestival "Berlin leuchtet". Seit dem ersten Advent nun leuchten 24 Weihnachtssterne am Hochhausgerüst - der Kreisel, oder vielmehr, was von ihm übrig blieb, als riesiger Adventskalender.
Nach eigenen Angaben wird die CG-Gruppe rund 190 Millionen Euro in das neue Hochhaus investieren und 330 Eigentumswohnungen bauen, das sind - grob gerechnet - zehn Wohnungen pro Etage. Sie reichen vom 50 Quadratmeter großen Einzimmer-Appartment bis hin zu zwei Penthouses mit 150 und 300 Quadratmetern oben auf dem Dach - Objekte für besonders wohlhabende Menschen, denen im Verkaufsprojekt ein "Wohnen auf völlig neuem Niveau" versprochen wird. Dafür verlangt die CG-Gruppe aber auch schwindelerregende Preise: Sie sind so hoch, dass sie noch einmal toppen, was in guten Lagen inzwischen auch in Berlin üblich ist. Dabei werden die Preise von Stockwerk zu Stockwerk immer höher.
Zwei Zimmer mit 61 Quadratmetern in der 13. Etage, Südwest-Seite, kosten 470.000 Euro, und für eine 2,5-Zimmer-Wohnung mit 81 Quadratmetern im 22. Stock sind es 780.000 Euro. Die beiden Penthouses werden derzeit noch nicht zum Kauf angeboten. Das größere, so hört man, soll über drei Millionen kosten.
Ende November 2019 waren laut CG-Gruppe bereits 120 Einheiten verkauft - in einem Stahlgerippe ohne Türen und Fenster. Gröners Talent scheint darin zu bestehen, eine Vision zu verkaufen - etwas, was man nicht sieht und das doch so wertvoll ist, dass man es gerne haben möchte.
Abgesehen von den Baukosten, glaubt die CG-Gruppe, dass die Quadratmeterpreise im "ÜBerlin" durchaus gerechtfertigt seien, zum Beispiel durch die Verkehrsanbindung. "Wir sind hier in 25 Minuten am Flughafen Schönefeld. Wir haben alle öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung, Bus, U-Bahn, S-Bahn, hier im Objekt, ich brauche nur im Aufzug nach unten zu fahren. Ich bin in 15 Minuten auf dem Kurfürstendamm. Ich bin auch in 20 Minuten am alten Flughafen, wenn er auch nicht mehr lange geht", sagt CG-Chef Gröner. "Das heißt, wir sind extrem gut angebunden."
Zudem dürfen sich die wohlhabenden Käuferinnen und Käufer auf "modernste Technik" freuen, auf eine "schlanke Silhouette aus Glas, Stahl und Aluminium" sowie auf eine "magische Aussicht" - die im Westen bis zum Teufelsberg und im Norden bis zum Fernsehturm reicht. Das alles biete der Entwurf der Adlon-Architekten Fuchshuber, heißt es auf der Website von "ÜBerlin".
Überhaupt sei der auf diese Weise ertüchtigte Kreisel mit keiner anderen Immobilie vergleichbar. "Für diese Wohnungen, die wir hier erstellen, gibt es keinen Preisvergleich, denn es gibt diese Wohnungen nun an dieser Stelle und in dieser Höhe. Und es wird diese Wohnungen auch nie wieder geben", betont Gröner.
Von Luxus will er dabei nicht sprechen. "Luxus ist, wenn sie goldene Wasserhähne haben, wenn sie Dinge einbauen, die kein Mensch braucht" - aber das finde im Kreisel nicht statt. "Wir sind hier hochwertig", sagt der Selfmade-Millionär und verweist auf Austattungsmerkmale und Qualität: vom Concierge-Service unten in der riesenhaften Lobby, über edle Küchen, Bäder und Bodenbeläge, bis hin zu Klima- und Wärmeschutz. Unter dem Strich heißt das: "Wir sind in der Hochwertigkeit ganz, ganz oben angelangt."
Doch wen will die CG-Gruppe mit Quadrameterpreisen, die bis in den fünfstelligen Bereich reichen, überhaupt ansprechen? Und wie werden sich diese superteuren Wohnungen auf den Kiez und seine soziale Strukturen auswirken?
Für Gröner ist klar, dass die Menschen, die sich im "ÜBerlin" eine Wohnung kaufen werden, "jenseits des normalen Bürgers unterwegs sind". Es müsse auch nicht jeder überall wohnen können, sagt er. Eine gewisse Gentrifizierung, also die Verdrängung sozial schwächerer Schichten, werde man in großen Städten ohnehin immer haben. "Die Innenstädte der Welt haben nun mal in den Zentren mehr gut verdienende Menschen als mittel und schlecht verdienende Menschen." Die Frage sei nur, wie man die Gentrifizierung begleite und ob gleichzeitig genug bezahlbarer Wohnraum entstehe.
In dieser Frage sieht er das Land Berlin in der Pflicht - denn der einzige Hebel, um einen weiteren Anstieg der Mieten wirksam zu bekämpfen, ist laut Gröner nicht der Mietendeckel des rot-rot-grünen Senats, sondern "viel mehr Mietwohnungsbau".
Scharfe Kritik übt Gröner vor allem an Katrin Lompscher, der linken Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen - denn seit über Mietendeckel und Enteignung debattiert werde, hätten Investoren jedes Vertrauen in den Senat verloren. "Jetzt hat quasi der Kommunismus gesiegt. Die armen Leute bleiben in der Stadt. Neue mit mehr Einkommen kommen nicht dazu."
Die wohnungs- und baupolitischen Konzepte der rot-rot-grünen Landesregierung, einschließlich der Nichtbebauung des Tempelhofer Feldes, nennt er eine "total verfehlte, ideologische Politik, die nicht wirklich einem einzigen Berliner in irgendeiner Art und Weise helfen wird". Aus Branchenkreisen wisse er von etwa fünf bis zehn Milliarden Euro, die wegen der linksgerichteten Politik nun nicht nach Berlin fließen würden. "Das sind 5.000 bis 10.000 Millionen", rechnet Gröner vor. Unter Lompscher sei die Entwicklung "nicht mehr berechenbar" und "deswegen sind eben alle Investoren auf der Flucht".
Lompschers Pressestelle weist Gröners Vorwürfe zurück. Äußerungen, dass der Kommunismus gesiegt habe, werde man nicht kommentieren, sagt Petra Rohland, stellvertretende Sprecherin der Senatorin. Und auch die Prognose von Berlin als "Stadt der armen Leute" disqualifiziere sich von selbst.
Dass Gröner im Kreisel sehr teure Eigentumswohnungen baue, werde das Wohnungsproblem jedenfalls nicht lösen, sagt Rohland im Gespräch mit rbb|24. Überhaupt halte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen "ÜBerlin" für keine besonders gute Idee.
Eine solche Ansammlung wohlhabender Eigentümer mitten im Steglitzer Kiez sei "aus sozialen Gründen nicht günstig", noch zumal ein so hochpreisiges Angebot zu einer allgemeinen Aufwertung des Quartiers führen werde, zu einer "Konzentration von Besserverdienenden" - was wiederum einen allgemeinen Anstieg von Mieten und Preisen und langfristig auch Verdrängung nach sich ziehen könne.
Als der Kreisel unter der rot-schwarzen Vorgänger-Regierung an die CG-Gruppe verkauft wurde, sei man froh gewesen, eine Lösung für das leerstehende Gebäude gefunden zu haben, sagt Rohland. Dabei seien "Entscheidungen getroffen worden, die man nicht mehr rückgängig machen kann". Heute, drei Jahre später und unter einem rot-rot-grünen Senat, gehe das Land mit dem Verkauf von Immobilien und Grundstücken anders um.
Beitrag von Daniel Marschke (Text) und Götz Gringmuth-Dallmer (Fotos)
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