Interview | Frauenhäuser in Berlin
Täglich muss Kristin Fischer, Sozialarbeiterin am 2. Autonomen Frauenhaus Berlin, Frauen abweisen, die Schutz vor gewalttätigen Männern suchen. Frei werdende Zimmer sind innerhalb von Stunden wieder belegt. Sie fordert doppelt so viele Plätze.
Kristin Fischer: Wir sind ein Zufluchtsort für Frauen, die von Gewalt betroffen sind. Wir sind da für jede Frau, die Schutz sucht, und auch für ihre Kinder. Und das trifft mehr Frauen, als man vielleicht denkt: Laut einer Studie aus dem Jahr 2012 erlebt jede vierte Frau in Deutschland Gewalt. Eine aktuellere Studie auf europäischer Ebene besagt, dass sogar jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben körperliche Gewalt erfährt - unabhängig von Alter, Herkunft, Bildungsgrad oder Einkommen.
Wir haben 25 Zimmer. Weil bei uns zurzeit jede Frau – gegebenenfalls mit ihren Kindern – ein eigenes Zimmer bekommt, ist das leider unsere Aufnahmegrenze.
Definitiv! Nicht nur bei uns, in ganz Berlin bräuchten wir mehr Plätze in den Frauenhäusern. Doppelt so viele wie bisher – das ist unsere Mindestforderung.
Das passiert jeden Tag. Heute Morgen ist bei uns ein Zimmer freigeworden - das war innerhalb von einer halben Stunde wieder vergeben. Danach rief eine Frau an, die schon vor einer Woche nach einem Platz gefragt hat - und wir mussten ihr wieder sagen: Wir haben nichts mehr frei.
Wir verweisen an die Hotline unserer Kolleginnen von der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen und den Fachberatungs- und Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt, die telefonische Beratung anbieten und auch einen Überblick haben, in welchem anderen Frauenhaus möglicherweise ein Platz frei ist. Aber oft gibt es nirgendwo ein Zimmer. Das ist schwer auszuhalten, wenn eine Frau offenbar in Not ist und man trotzdem nicht helfen kann. Ich hoffe dann immer wieder, dass am nächsten Morgen nichts über eine ermordete Frau in der Zeitung steht. Sobald so etwas berichtet wird, frage ich mich: Oh Gott, könnte das diejenige sein, die ich gestern abgewiesen habe?
Tatsächlich wurde auch eine Frau, die ich beraten habe, an ihrem neuen Arbeitsplatz von ihrem gewalttätigen Ex umgebracht. Es ist immer wieder erschütternd, was Menschen anderen Menschen antun können. Ein Frauenhaus kann da leider nur vorübergehend Sicherheit bieten. Deshalb ist es umso wichtiger, dass unsere Adresse geheim gehalten wird.
Es ist ganz wichtig, dass auch wir als Beraterinnen selbst beraten werden: dass wir Kolleginnen haben, mit denen wir über unsere Arbeit sprechen - auch über solche schlimmen Erlebnisse wie diesen Mord. Wir sind als Team füreinander da. Und gleichzeitig ist ein Frauenhaus nicht nur ein trauriger Ort, wo Frauen mit Gewalterfahrungen sich aufhalten, sondern auch ein Ort, wo sie sich wieder frei entwickeln können, wo sie das Lachen wiederentdecken. Ich habe wirklich Hochachtung vor den Frauen, die den Schritt in eine zuerst ungewisse, aber selbstbestimmte Zukunft wagen!
Wir wollen, dass die Frauen wieder ein gewaltfreies Leben führen können. Bei uns sind sie an einem geschützten Ort, wo sie Beratung und Unterstützung bekommen. Wir helfen zum Beispiel beim Umgang mit den Behörden, beim Ausfüllen von Anträgen – sei es fürs Jobcenter oder die Ausländerbehörde. Aber das Frauenhaus ist auch der Ort, an dem die Frauen die Gewalt aufarbeiten können, die sie erlebt haben. Auch dafür sind wir als Beraterinnen da.
Aktuell bin ich für zehn Frauen gleichzeitig die Ansprechpartnerin, es sind aber oft auch noch mehr. Ich habe häufig das Gefühl, für die Einzelne nicht genug Zeit zu haben. Wir bräuchten also mehr Personal. Andererseits haben wir schon jetzt Probleme, Stellen zu besetzen, die frei werden. Die Arbeitsbedingungen bei uns im Frauenhaus sind für viele nicht attraktiv genug: Die Belastung ist hoch – wir haben zum Beispiel an Wochenenden oder nachts Rufbereitschaft – das entsprechende Gehalt aber nicht.
Als Erstes mache ich ein Aufnahmegespräch. Als Beraterin will ich mir ein Bild machen: Aus was für einer Situation kommt die Frau? Ist sie akut in Gefahr? Müssen wir schnell familienrechtliche Fragen klären wegen der Kinder? Längerfristig geht es in den Gesprächen, die ich mit den Frauen führe, darum herauszufinden, was sie in ihrem Leben verändern wollen. Eine entscheidende Frage ist dabei: Will sie sich von ihrem gewalttätigen Partner trennen?
Da gibt es keinen typischen Fall: Manche Frauen kommen erst nach 20 Jahren Martyrium mit einem schlagenden Mann. Und dann gibt es welche, die kommen zu uns, weil er einmal Prügel angedroht hat - und sie gleich gesagt haben: So auf keinen Fall! Im Durchschnitt bleiben die Frauen drei Monate bei uns – viele länger, andere kürzer. Bestenfalls gelingt es in dieser Zeit, dass sie sich neu orientieren, eine eigene Wohnung finden und in Zukunft ohne Gewalt leben.
Leider gibt es auch Frauen, die zurückgehen zu ihrem gewalttätigen Partner. Ich hatte es bisher zweimal, dass ich dachte: Diese Frau möchte ich jetzt nicht gehen lassen, weil ich wirklich Angst um sie habe. Aber wir müssen auch solche Entscheidungen akzeptieren. Ich hoffe dann, dass die Frau ihren Weg findet. Vielleicht hat sie nach dem dritten, vierten, fünften Aufenthalt im Frauenhaus die Kraft, sich zu trennen.
Historisch sind Frauenhäuser als Ort von Frauen für Frauen entstanden - heutzutage spricht man von Empowerment – als Schutzräume vor Männergewalt. Wir wollen Frauen dazu bringen, ihre Geschlechterrolle zu hinterfragen und dafür sind wir Mitarbeiterinnen auch Vorbilder. Das fängt mit solchen Kleinigkeiten an, dass wir die Bohrmaschine in die Hand nehmen und wirklich alle Tätigkeiten im Frauenhaus selbst erledigen. Damit wollen wir die Frauen ermuntern, ihr Leben in die Hand zu nehmen.
Richtig. Manche Frauen haben Dinge wie Behördengänge und offiziellen Papierkram nie selbst erledigt – das hat immer der Mann gemacht. Und dann ist es spannend zu beobachten, was für eine Wandlung und Entwicklung viele hier im Frauenhaus machen. Für mich ist das der Grund, diese Arbeit mit Begeisterung zu machen.
Das Interview führte Anne Kohlick.
Artikel im mobilen Angebot lesen