Analyse Teil 1 | Trockenheit in Brandenburg
Am Parsteiner See lagen im Sommer Boote auf dem Trockenen, Kinder bauten ihre Sandburgen auf ausgetrocknetem Seeboden. Eine rbb|24-Datenanalyse zeigt: Nicht nur hier lässt Grundwassermangel die Wasserstände von Brandenburgs Seen sinken. Von Friederike Steinberg und Götz Gringmuth-Dallmer
"Im letzten Sommer war es schon außergewöhnlich", sagt Ronny Baaske. "Die Leute haben ihre Decken auf Sandflächen ausgebreitet, die sonst immer klar unter Wasser sind. Boote, die sonst in der Flachwasserzone angebunden sind, lagen auf dem Trockenen." Dass der Parsteiner See in Barnim ein Wasserproblem hat, ist für Baaske, Leiter des Umweltamtes im Kreis, deutlich sichtbar.
Und es ist messbar: Der Wasserstand des Parsteiner Sees fiel nach Daten des Landesamtes für Umwelt (LfU) zwischen 1968, also dem Beginn der Pegelmessungen, und 2020 um etwa 20 Zentimeter. Dabei handelt es sich um den Mittelwert bei gleichzeitig starken Schwankungen. Was die Daten außerdem zeigen: In den Jahren seit 2015 unterschritt der mittlere Wasserstand - mit einer Ausnahme - immer den langjährigen Mittelwert von 53 Zentimetern über dem Pegelnullpunkt.
Teil 2 dieser Analyse: Warum Seen in Brandenburg das Wasser ausgeht
Der Wasserstand eines Sees wird an einem Pegel gemessen. Dessen Nullpunkt ist allerdings nicht mit dem Gewässerboden identisch. Stattdessen wird der Nullpunkt in der Regel auf ein Niveau gesetzt, von dem angenommen wird, dass auch bei niedrigen Wasserständen der Wasserstand nicht darunter fällt und negative Werte auftreten. (s. Infobox unten)
In den beiden vergangenen Jahren wurde am Parsteiner See der langjährige Mittelwert schließlich so stark unterschritten, wie zu keinem Mess-Zeitpunkt zuvor: 2019 lag der Wasserstand zeitweise nur noch neun Zentimeter über dem Pegelnullpunkt. Im September 2020 fiel der Pegel schließlich unter den Nullpunkt - mit einem derartigen Tiefstand war beim Aufstellen des Pegels offensichtlich nicht gerechnet worden.
"Wenn die Wasserstände fallen, dann sieht man das gerade beim Parsteiner See extrem stark, weil er sehr flach ist", schildert Baaske das Problem. Wenn der Wasserspiegel im Jahresverlauf mal um ein halben Meter sinke, würden gleich zehn bis 15 Meter Ufer trockenfallen. "Da melden sich natürlich die Anlieger, die Nutzer, die Touristen und sagen: Mensch, was ist denn da los?"
Sinkt der Wasserstand eines Sees, bringt dies verschiedene Probleme mit sich, wie Baaske erklärt. Zum einen am Ufer, wo Brutgebiete für Vögel oder Laichgebiete für Fische verlorengehen. In einem kleineren Wasserkörper könnten sich aber auch bestimmte Stoffe konzentrieren, wie Stickstoff oder Phosphor. Der See erhitzt sich zudem schneller. Beides befördert das Wachstum von Algen. "Noch" habe es im Parsteiner See kein Fischsterben gegeben, sagt der Umweltamts-Leiter, "aber das kann dann natürlich auch noch eine Folge sein".
Eine ähnliche Entwicklung zeigen LfU-Daten für den Peetschsee in Oberhavel. Im Mess-Zeitraum von 1958 bis 2020 sank der Wasserstand im Gesamtschnitt um rund 90 Zentimeter. Aus rbb|24 vorliegenden Daten errechnet sich ein mittlerer Wasserstand von 138 Zentimetern über dem Pegelnullpunkt. Bis zur Jahrtausendwende bewegte sich der Wasserstand meist um diesen Wert oder lag teils deutlich darüber (Juni 1983: 242 cm). Seitdem wurde dieser Wert nur noch in wenigen Jahren knapp erreicht - meist lag er darunter. Besonders niedrige Werte erreichte der Wasserstand im Herbst/Winter 2006, 2009 und 2020.
Wasserverluste werden auch von anderen Seen gemeldet. Bekannte Beispiele: Seddiner See (Potsdam-Mittelmark), Straussee (Märkisch-Oderland) oder der Pastlingsee (Spree-Neiße). Der Fresdorfer See trocknete 2020 sogar ganz aus. "Das sind keine Einzelfälle", stellt Knut Kaiser vom Deutschen Geoforschungszentrum des Helmholtz-Zentrums (GfZ) in Potsdam fest. "In Brandenburg pressiert das Problem", betont der Wissenschaftler, der als Physischer Geograph die Geschichte des Wassers in der Landschaft erforscht.
Dies zeigen auch Daten des Landesamtes für Umwelt für 79 Seen, die größer als 50 Hektar sind und bei denen Wasserstände gemessen werden. Laut LfU weisen 15 dieser 79 Seen "außergewöhnlich hohe Rückgänge" auf - also etwa jeder fünfte dieser Seen. Ihr Wasserstand sank in den vergangenen zehn Jahren im Mittel um mehr als zwei Zentimeter pro Jahr.
Exakte Zahlen, wie sich die Wasserstände aller Brandenburger Seen zuletzt entwickelt haben, gibt es nicht. An längst nicht allen Seen stehen Messlatten für die Pegel - oder erst seit so kurzer Zeit, dass aus den Daten keine validen Trends herausgelesen werden können.
Dafür beobachten die Landesbehörden schon länger - und mit inzwischen mindestens 2.100 Messstellen den Grundwasserspiegel. Da die Seen in Brandenburg "fast ausnahmslos" aus Grundwasser gespeist würden, ließen sich aus den Daten oft Aussagen für die Seen ableiten, heißt es vom Landesamt für Umwelt. "Mit sinkendem Grundwasserspiegel sinkt der Seespiegel - das ist eine naturgesetzliche Verknüpfung", erklärt auch Wissenschaftler Kaiser vom Potsdamer Geoforschungszentrum.
Grundwasser lässt sich grob zusammenfassen als Wasser, das im Boden versickert, durch die Schwerkraft in immer tiefere Erdschichten fließt und dort unterirdische Ströme und Speicher bildet. Auf dem Weg kann das Wasser Schadstoffe "abstreifen" und so eine besondere Reinheit gewinnen.
Die oberen Bodenschichten in Brandenburg bestehen zu rund 95 Prozent aus lockeren Teilchen wie Sand oder Kies. Durch solche Schichten kann das Wasser gut fließen - an einem Tag bis zu mehrere Meter. Es gibt aber auch Schichten, beispielweise aus Ton oder Granit, die das Wasser nur schwer oder gar nicht durchdringen kann. Bei solchen Barrieren sucht sich das Wasser einen anderen Weg, fließt sozusagen zur Seite. Gibt es Senken in der Erde, kann hier das bisher unterirdisch fließende Wasser sichtbar werden: als See. Grundwasser, erklärt Wissenschaftler Kaiser, "das sind die Seen selber".
Weil von oberhalb nachfließendes Niederschlagswasser meist denselben Weg nimmt, wird ein See laufend aus einem bestimmten Gebiet gespeist - seinem Einzugsgebiet. Verluste durch Verdunstung, Abfluss oder Versickerung in tiefere Erdschichten werden immer wieder ausgeglichen. Läuft weniger oder kein Wasser nach, wird der See sauerstoffarm, Nährstoffe reichern sich an, Algen wachsen. Gleichzeitig können Wasserverluste nicht mehr ausgeglichen werden. Der Wasserstand sinkt.
Auch der Parsteiner See und Peetschsee gehören zu den grundwassergespeisten Seen in Brandenburg. Vergleicht man die Daten ihres Wasserstandes mit den dortigen Grundwasserspiegels, zeigen sich dort ähnliche Kurven und Verluste: beim Parsteiner See etwa ein Minus von 30 Zentimetern, beim Peetschsee minus 80 Zentimeter.
Das Landesamt für Umwelt hat Daten seit 1976 ausgewertet und in Karten, die rbb|24 vorliegen, den Grundwasser-Trend dargestellt. Demnach fiel in den höheren Grundwasser-Schichten der Spiegel auf etwa einem Drittel der Landesfläche. Überwiegend waren es ein bis zwei Zentimeter pro Jahr, so in weiten Teilen des südlichen Fläming und der Barnim-Hochfläche. Rund um Potsdam, in den Gegend des Stechlinsees (Oberhavel) und im Nordosten des Barnim fiel der Spiegel aber auch um bis zu drei Zentimeter pro Jahr.
In tieferen Grundwasser-Schichten fielen die Grundwasserstände seit 1976 sogar auf rund der Hälfte des Landes. Vielerorts um ein bis zwei Zentimeter pro Jahr - in sechs Regionen aber auch um drei bis vier Zentimeter.
Auch Wissenschaftler Kaiser vom Potsdamer Geoforschungszentrum bestätigt, dass es von den 1970er Jahren bis zur Gegenwart im Durchschnitt "auf der überwiegenden Fläche von Brandenburg eine Grundwasserabsenkung zwischen ein und drei Zentimetern pro Jahr" gab. Auf 50 Jahre gerechnet sei das lokal ein Minus von bis zu 1,5 Metern.
Nicht alle Gebiete seien gleichmäßig von sinkenden Grundwasserspiegeln betroffen, bestätigt Kaiser die LfU-Berechnungen. An einigen Orten steige der Grundwasserspiegel auch, zum Beispiel in der Lausitz, wo mit der Schließung von Tagebauen kein Grundwasser mehr abgepumpt werde.
Einen Anstieg gibt es allerdings sehr vereinzelt. "In der Tendenz ist es so, dass der größte Teil Brandenburgs eine Abnahme des Grundwasserspiegels verzeichnet", bilanziert Kaiser. Nach seiner Ansicht sei der Mangel an Wasser "das größte Umweltproblem, das Brandenburg bereits sichtbar hat - und das sich in Zukunft drastisch verstärken wird."
Weiter zu Teil 2 - Wie Trockenheit, Tagebaue und Kiefern am Wasser zehren
Beitrag von Friederike Steinberg, Grafiken: Götz Grungmuth-Dallmer, Erklärgrafik: Sophia Bernert
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