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Quelle: dpa/Bradley Page

Gail-Halvorsen-Denkmal in Berlin

Zwei Streifen, ein Leben

Gail Halvorsen war der bekannteste der "Rosinenbomber"-Piloten. Während der Berliner Luftbrücke machte er Kindern eine Freude, obwohl er die Deutschen hätte verachten können. Von Sebastian Schneider

In der Nähe der "Hungerharke" soll es stehen, diesem eigenartigen Versuch, die Berliner Luftbrücke in ein Stück Beton zu gießen. Drei gewölbte Rippen wölben sich nach oben hin zu Zacken, symbolisieren die Luftkorridore, aus denen West-Berlin damals von der Bundesrepublik aus versorgt wurde.

Vielleicht wird Gail Seymour Halvorsen, ein Bauernjunge aus Utah, auf diesem Platz eine lebensgroße Statue bekommen. Wie genau sein Denkmal aussehen soll, ist noch nicht klar. Nur, dass es kommen wird. Bald will der Senat einen Wettbewerb ausschreiben.

Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hatte noch im Februar, kurz nach Halvorsens Tod, gesagt, ein Herausheben seiner Person mit einem Denkmal sei nicht in seinem Sinne. Woher sie das wusste, sagte sie nicht. Sie schrieb dann den Angehörigen, ob diese ein Denkmal unterstützen würden.

Es stellte sich heraus: "Abschließend möchte ich sagen, dass wir die Errichtung einer Gedenkstätte zu Ehren unseres Vaters voll und ganz unterstützen", das schrieb Halvorsens Tochter Denise Williams ans Rote Rathaus, zuerst gewusst hat es die "B.Z". "Ein solches Denkmal wäre eine sichtbare Erinnerung für alle Menschen, aus der Vergangenheit zu lernen und mit Hoffnung in die Zukunft zu blicken." Hoffnung ist das Größte, was vom Leben ihres Vaters bleibt.

Der Traum vom Fliegen

Dieses Leben beginnt am 10. Oktober 1920 in Salt Lake City. Die Halvorsens sind Mormonen und betreiben eine Farm. Bei der Arbeit auf den Zuckerrübenfeldern seines Vaters kann der junge Gail Flugzeuge beobachten. Der Traum vom Fliegen lässt ihn nicht mehr los. 1940 bewirbt er sich bei der Army, hofft darauf, als Bomberpilot noch Kampfeinsätze im Zweiten Weltkrieg fliegen zu dürfen. Doch dazu kommt es nie. Als er seine Ausbildung 1944 abgeschlossen hat, wird "Hal", wie ihn seine Kameraden und Freunde nennen, nur noch für Transportflüge eingesetzt. Dann ist der eine Krieg zu Ende. Der nächste zeichnet sich schon ab.

Im Juni 1948 schneiden die sowjetischen Streitkräfte den Landweg zur Insel West-Berlin ab, um ihre ehemaligen Verbündeten zu vertreiben. Die Stadt ist abgeriegelt, eine Hungerkatastrophe droht. Der Westen reagiert mit der Luftbrücke, elf Monate lang fliegen Piloten wie Gail Halvorsen Lebensmittel, Kohle und Medikamente nach West-Berlin und versorgen so die Bewohner mit dem Nötigsten. Für Halvorsen alleine sind 126 solcher Flüge notiert.

Im 90-Sekunden-Takt landeten die Maschinen damals in Tempelhof - beim Anflug ließen Halvorsen und die anderen "Candy Bomber" ihre süßen Geschenke fallen. | Quelle: dpa/US Air Force

Halvorsen wird berühmt, 28 Männer kommen ums Leben

28 Piloten und Besatzungsmitglieder kommen während der Luftbrücke ums Leben. Ihre Namen sind heute in den Fuß der Hungerharke graviert. Der Tag, der Gail Halvorsen berühmter machen wird als seine Kameraden, die nicht weniger Bemerkenswertes geleistet haben, kommt irgendwann Mitte Juli 1948. Die Legende besagt, dass er gerade wieder von Frankfurt am Main aus in Tempelhof gelandet ist, als er etwa 30 deutsche Kinder auf der anderen Seite des Flughafenzauns auf ihn zurennen sieht.

Er habe in seine Hosentasche gegriffen, eine Packung Wrigley’s Doublemint herausgeholt und die letzten beiden Kaugummistreifen durch den Zaun an die Kinder verteilt, erinnerte er sich später. "Am Ausdruck in ihren Augen konnte ich sehen, wie sehr sie etwas so Kleines wertschätzten. Ich wollte etwas mehr unternehmen, also erzählte ich ihnen, sie sollten später wiederkommen", sagte Halvorsen rückblickend. Er verspricht ihnen, bei seinem Flug am nächsten Tag Süßigkeiten aus dem Flieger zu werfen. "Sie fragten, woher sie wissen sollten, dass ich es bin", erzählte Halvorsen. "Ich sagte ihnen, ich werde mit den Flügeln wackeln."

In den Monaten danach lassen "Onkel Wackelflügel", wie man Halvorsen bald nennen wird, und die anderen US-Piloten insgesamt 23 Tonnen Bonbons, Schokolade und Kaugummi vom Himmel über Tempelhof segeln, gewickelt in kleine Fallschirme. Sie hätten keinen Grund dazu gehabt, in einem Land, dessen Armee halb Europa in Schutt und Asche gelegt hatte, bis sie endlich zur Kapitulation gezwungen wurde.

Fototermin zu Demonstrationszwecken: Hier wickelt Halvorsen Schokoriegel und Kaugummipäckchen in die selbstgebastelten Mini-Fallschirme. | Quelle: dpa/US Air Force

"Es ging damals gar nicht so sehr um Süßigkeiten"

Halvorsen hätte an den fanatischen Hass denken können, den das Nazi-Regime und seine willigen Helfer amerikanischen Soldaten wie ihm entgegengebracht hatten. An die mehr als sechs Millionen Menschen, die die Nazis systematisch ermordet hatten. Er hätte mit Hass reagieren können.

Aber Halvorsen sieht damals nur magere Kinder, die sich dankbar auf die Schokolade stürzen. Er hat Mitleid. "Es ging damals gar nicht so sehr um Süßigkeiten. Wichtiger war, dass es da jemanden in Amerika gab, der wusste, dass es den Kindern schlecht ging und dem das nicht egal war", sagte er später.

Wie sehr er damit zum Bild der US-Amerikaner im Nachkriegsdeutschland beigetragen hat, welche Symbolkraft der Begriff "Rosinenbomber" entwickelt, wird ihm erst später bewusst. Mehr als 2,1 Millionen Tonnen lebenswichtiger Dinge haben die Alliierten nach West-Berlin geflogen, was viel entscheidender war. Aber diese 23 Tonnen, diese kleine Geste, überstrahlen alles.

Im Sommer 2013 besucht der US-Präsident Barack Obama Berlin, auch der 92-jährige Halvorsen kommt in Uniform. Obama stellt den Veteranen als lebenden Beweis deutsch-amerikanischer Freundschaft vor. Halvorsen bekommt Standing Ovations.

Fünf Kinder, 24 Enkel, 69 Urenkel

Nach dem Ende der Blockade studiert Gail Halvorsen in seiner Heimat Luftfahrttechnik, kehrt später wieder als Kommandant der Tempelhof Air Base nach Berlin zurück. 1974 geht er als Colonel in den Ruhestand, erhält im gleichen Jahr das Bundesverdienstkreuz. Danach engagiert sich der Mormone in der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage", der drittgrößten christlichen Glaubensgemeinschaft in den USA. Er reist als Missionar in die Sowjetunion und nach England, arbeitet an der Uni.

Abseits der Kirche beteiligt er sich an Hilfsaktionen in Bosnien, Albanien, Kosovo, Japan, Guam, Irak und auf den Mikronesischen Inseln. All das schreibt er "diesen zwei Kaugummis" in Tempelhof zu.

Berlin besucht er noch Dutzende Male, weiht eine Schule ein, die nach ihm benannt ist. Mit mehreren der damaligen Kinder vom Flughafen Tempelhof hält er den Rest seines Lebens Kontakt. Zuletzt kommt er 2019, da wird der Baseballplatz auf dem Tempelhofer Feld auf seinen Namen getauft. Auf den Erinnerungsfotos sieht Halvorsen glücklich aus. Eine Covid-Erkrankung überlebt er noch, am 16. Februar 2022 aber stirbt Gail Halvorsen im Alter von 101 Jahren an einer Lungenentzündung. Er hinterlässt fünf Kinder, 24 Enkel und 69 Urenkel.

Sein letzter Besuch in Berlin. Da ist Halvorsen 98 Jahre alt. | Quelle: dpa/Christoph Soeder

Er sang schief und liebte es trotzdem

Sie erinnern sich weniger an den Piloten in Uniform, sondern mehr an einen fröhlichen Mann, der Menschen am liebsten mit den Worten "Hello Sunshine!" begrüßte. Einen der gerne sang, obwohl er es überhaupt nicht konnte (und das auch wusste).

Einen, der im Alter von 81 Jahren von einem Boot in einen kalten See hüpfte, um seinen fünfjährigen Enkel zu ermutigen, der sich nicht traute. Einen, der dann mit 84 zum Spaß einen Baum hochkletterte, herunterfiel, sich nichts tat und auf die Frage, was das sollte, antwortete: "Was soll ich machen? Mich unter dem Bett verstecken und hoffen, dass nichts Schlimmes passiert?" So erzählen es Freunde und Angehörige auf seiner persönlichen Kondolenzseite [gather.app]. Zur Trauerfeier kommen 600 Menschen. In die Nähe seines Sarges legen sie Schokoriegel.

Halvorsen hat zum 40. Jubiläum der Luftbrücke gesagt, sie habe ihn daran erinnert, dass der einzige Weg zu wirklicher Erfüllung darin bestehe, anderen zu helfen. "Als ich Tag und Nacht flog, um einem ehemaligen Feind zu dienen, stellte ich fest, dass mein Gefühl der Erfüllung und Wertschätzung das stärkste war, das ich jemals gefühlt habe", erzählte er.

Am Donnerstag wurde bekannt, dass er in seiner Stadt der Versöhnung mit einem Denkmal geehrt werden wird. Auf den Tag genau 73 Jahre nach dem Ende der Berlin-Blockade.

Sendung: Abendschau, 12.05.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Sebastian Schneider

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