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Video: rbb24 Abendschau | 18.08.2022 | Norbert Siegmund | Quelle: Bildagentur-online

Interview | Angriffe auf Klinikpersonal

"Es ist sehr wichtig, dass wir 24 Stunden Security haben"

Ärzte, Pflegekräfte und Rettungssanitäter werden in oder vor Berliner Kliniken immer wieder angepöbelt, bedroht oder verletzt. Regelmäßig muss die Polizei anrücken. Der Leiter einer Rettungsstelle erzählt im Interview, wie sich das anfühlt.

rbb: Herr Dr. Kellner, wie oft haben Sie Übergriffe auf das Personal Ihrer Rettungsstelle erlebt?

Philipp Kellner: Wir erleben es in der Notaufnahme relativ häufig, dass sich Aggression anstaut. Wenn dann noch Alkohol, Drogen oder psychische Erkrankungen dazu kommen oder vielleicht auch die Patienten von uns etwas erwarten, was wir nicht leisten können - dann kann so eine Aggression und auch mal in körperliche Gewalt übergehen. Und das sind schon Erlebnisse, die wir regelmäßig bei uns sehen.

Das passiert aber auch außerhalb der Klinik, im Rettungsdienst, wo wir als Notärzte teilnehmen. Da kommt es regelmäßig vor, dass man an Einsatzstellen nicht in Ruhe arbeiten kann. Dort stehen unbeteiligte Menschen um einen herum, fangen an, mit ihren Handykameras zu filmen, Fotos zu machen, geben Ratschläge, sind laut oder ähnliches. Ich erinnere mich an ein Ereignis, als wir auf dem U-Bahnsteig eine Frau reanimieren mussten und unter Polizeischutz dann tatsächlich dort die Einsatzstelle verlassen mussten, weil wir unser Handwerk nicht erledigen konnten. Weil wir durch Neugierige und Besserwisser tatsächlich bedrängt wurden.

In der Notaufnahme dagegen trifft es hauptsächlich die Pflegekräfte. Die sind näher dran am Patienten, und die sind dann leider häufig der Blitzableiter für angestaute Aggressivität.

Zur Person

Was geht Ihnen in solchen Situationen wie auf dem U-Bahnhof durch den Kopf?

Man ist erstmal verdattert und denkt sich: Ich will hier meine Arbeit machen und den Patienten ordentlich versorgen, ihm die bestmöglichen Chancen geben. Und dann kommen irgendwelche Leute daher, die überhaupt nicht den Ernst der Lage begreifen und einen daran hindern wollen. Das finde ich erschreckend und auch zutiefst beschämend, dass man teilweise mit solchen Mitmenschen zu tun hat.

Wie genau sehen Übergriffe in der Notaufnahme auf das Personal aus?

Es geht los mit verbaler Gewalt, mit Beleidigungen und Bedrohungen. Das geht dann aber auch tatsächlich bis hin zu körperlicher Gewalt, die dazu führt, dass die Mitarbeiter Verletzungen davontragen. Sei es eine Gehirnerschütterung, weil man einen Schlag an den Kopf bekommen hat. Oder sei es, dass einem ins Gesicht gespuckt wird. Da sind viele Facetten dabei.

Weil uns dieses Problem bei Vivantes bewusst ist, haben wir eine Art Meldesystem etabliert. Das heißt, dass alle Aggressions-Ereignisse standardisiert erfasst werden. Und wir machen auch regelmäßige Deeskalations-Trainings und Schulungen für die Mitarbeiter, um aus solchen Situationen wieder rauszukommen.

Durch Gefährdungs- und Belastungsanalysen in den Rettungsstellen gucken wir, wie man noch mehr Sicherheit schaffen kann - durch Schutzräume oder Alarm-Taster in der Rettungsstelle. Ein sehr wichtiger Baustein in unserem Sicherheitskonzept ist, dass wir 24 Stunden Security haben, die an der Vordertür stehen und in der Rettungsstelle patrouillieren - und so zum einen Aggression vermeiden, und zum anderen dann auch schnell helfen können, wenn es zu eskalieren droht.

Wer verübt denn diese Übergriffe, und warum?

Das sind zum einen Menschen, die mit der Versorgung unzufrieden sind. Dann gibt es die Fälle von Alkohol, Drogen und psychischen Erkrankungen, wo man auch sagen kann: Der Mensch ist jetzt nicht Herr seiner Sinne. Da kann man keine böse Absicht unterstellen.

Aber es gibt dann tatsächlich auch eine Gruppe von Menschen, die mit Absicht Unruhe stiften. Und dann entwickelt sich schon eine gewisse Wut bei uns, weil man einfach nicht in der Lage ist, seinen Job zu machen. Weil meine Mitarbeiter täglich zur Arbeit kommen, um Menschen zu helfen. Und wenn sie dann dabei noch beschimpft oder daran gehindert werden, dann ist es natürlich total unzufriedenstellend.

Es aber kein Phänomen, was bei uns in der Notaufnahme nur auftritt, sondern das sehen wir in allen Notaufnahmen in Deutschland. Wir haben hier im Vivantes-Klinikum im Friedrichshain wahrscheinlich die größte Notaufnahme von Berlin. Das bedeutet, dass bei uns natürlich auch viele Fälle auftreten - und es auch in Bezug auf die Polizeieinsätze nicht verwunderlich ist, dass bei uns die meisten registrierten Einsätze sind.

Hat sich hierbei etwas verändert im Laufe der Jahre?

Ich habe schon den Eindruck, dass die Gewalt zunimmt. Zum einen fallen Hemmungen, und es ist die Bereitschaft auch nicht mehr da, aufeinander Rücksicht zu nehmen.

Und zum anderen werden die Menschen auch, was die Notfallversorgung anbelangt, so ein bisschen alleingelassen und wissen nicht: Wo sollen sie eigentlich hingehen in der Stadt? Es gibt keine niedergelassenen Ärzte, die in ausreichendem Umfang Notfallversorgung anbieten, die in Pflegeheime gehen, die auch außerhalb der Regelarbeitszeit zur Verfügung stehen. Und dementsprechend trifft sich dann diese Patientenklientel bei uns. Und dann ist es vorprogrammiert, dass sie bei uns nicht das bekommen, was sie sich erhoffen und das frustriert. Das können wir natürlich nachvollziehen.

Würde mehr Personal in der Rettungsstelle helfen?

Das Geschehen hat viele Ursachen. Der Fachkräftemangel ist zwar auch auf den Rettungsstellen angekommen. Aber das Geschäft in der Notaufnahme ist durch das schwankende Patientenaufkommen ja nicht wirklich vorhersehbar. Das heißt, es gibt immer unplanbare Spitzenzeiten, wo viele Patienten neu eintreten. Das kann man in der Personalplanung nicht so berücksichtigen.

Das heißt, es wird immer Situationen geben, wo die Anzahl an Patienten so hoch ist, dass die vorhandenen Mitarbeiter sich nicht in dem Umfang um die Menschen kümmern können, um vielleicht schon früh Aggression zu erkennen und deeskalierend eingreifen zu können. Es wäre eine viel zu einfache Rechnung zu sagen: mehr Personal, weniger Gewalt in Notaufnahmen.

Die Rettungsstelle im Vivantes-Klinikum. | Quelle: rbb

Aber wie kann das System verbessert werden?

Das ist eine komplexe Frage. Man muss sich die Frage stellen, ob die Notfallversorgung in den Notaufnahmen überhaupt richtig finanziert ist. Dazu gehört auch die Security. Die Kosten dafür tragen wir als Krankenhaus allein. Und es scheint in Berlin nicht die ausreichenden Strukturen und auch nicht den zeitlichen Rahmen zu geben, dass die Menschen sich woanders behandeln lassen können. Sondern sie strömen in die Notaufnahmen. Das muss geändert werden. Es muss eine bessere Abstimmung geben zwischen den niedergelassenen Ärzten und den Krankenhäusern, und die Politik muss die Strukturen, die die Krankenhäuser vorhalten, refinanzieren.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Norbert Siegmund und Sylvia Tiegs, rbb24 Abendschau und rbb24 Inforadio

Sendung: rbb24 Abendschau, 18.08.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Sylvia Tiegs

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