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Audio: Antenne Brandenburg | 25.11.2022 | Oliver Meurers | Quelle: dpa/Frank May

Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

"Ich habe Grenzen überschritten, die nicht zu überschreiten sind"

Die Zahlen von häuslicher Gewalt sind noch immer erschreckend hoch. Insgesamt sieben Beratungsstellen in Berlin bieten Hilfe - nicht nur für die betroffenen Frauen, sondern teilweise auch für die Täter. Wolf Siebert hat zwei davon besucht.

"Schubsen, an den Haaren ziehen, schlagen, sexualisierte Gewalt und auch Vergewaltigung" – die Liste der Taten von häuslicher Gewalt, die Ev von Schönhueb aufführt, ist lang. Sie arbeitet seit zehn Jahren in der Beratungsstelle "Frauenraum" in Berlin-Mitte. Und erlebt, dass viele Frauen auch unter der psychischen Gewalt, die sie mit ihrem Partner erleben, leiden: "Tägliche Erniedrigungen und Demütigungen zum Beispiel. Manche Männer drohen auch: 'Wenn Du gehst, nehme ich Dir die Kinder weg, oder: Du verlierst Deinen Aufenthaltstitel'".

"Partnerschaftliche oder innerfamiliäre Gewalt" – so heißt dieser Tatbestand in der Kriminalstatistik. Zwar sind die Zahlen im vergangenen Jahr in Berlin (- 4,3 Prozent) und in Brandenburg -3,1 Prozent) leicht zurückgegangen. Dennoch sind sie noch immer erschreckend hoch: 10.693 Betroffene häuslicher Gewalt wurden im vergangenen Jahr in Berlin aktenkundig, 5.073 waren es in Brandenburg. In rund 70 Prozent der Fälle waren die Betroffenen weiblich. In Deutschland wird nach Angaben des Bundesfamilienministeriums jede vierte Frau in ihrem Leben mindestens einmal Opfer von Gewalt durch ihren aktuellen oder ehemaligen Lebenspartner.

Trotz leichtem Rückgang in 2021

Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt weiterhin auf hohem Niveau

Geht es um häusliche Gewalt sind meist Frauen die Opfer und Männer die Täter. Das unterstreichen auch die aktuellen Zahlen. In Brandenburg ist die Gefährdung laut Statistik bei weiblichen Personen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren besonders hoch.

Ratsuchende Frauen aus allen Schichten der Gesellschaft

Neben einer Telefon-Hotline, die fast rund um die Uhr besetzt ist, gibt es in Berlin insgesamt fünf Fachberatungsstellen für Betroffene von häuslicher Gewalt. "Frauenraum" ist eine von ihnen.

Die Frauen, die hier Rat suchen, kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten, die meisten sind zwischen 30 und 49 Jahren alt, sagt Ev von Schönhueb. Für rund 600 Frauen pro Jahr ist der "Frauenraum" die Erstanlaufstelle. Hier können sie ihre Situation schildern, bekommen juristischen Rat und Hilfe bei der Suche nach einem neuen Zuhause. "Wir geben auch Informationen zu "Paar-Beratungen" und vermitteln die Männer, die Gewalt ausüben, in Anti-Gewalt-Kurse", erzählt Ev von Schönhueb.

Infos im netz

Frauenraum

Sie betont, es sei besser, nicht von "Opfern" häuslicher Gewalt zu sprechen, sondern von "Betroffenen". Denn: "Der 'Opfer'-Status ist wie eine Stigmatisierung. Nachdem sich die Frauen aus der gewalttätigen Beziehung gelöst haben, fühlen sie sich auch nicht mehr als Opfer. Und wir wollen ihnen helfen, nach vorne zu schauen."

Kooperation mit Täter-Beratung

Ev von Schönhueb hat oft erlebt, dass seelische und körperliche Gewalt das Selbstwertgefühl der Frauen massiv beeinflussen. Viele schämen sich, andere haben Angst vor ihren Partnern – und wollen deshalb nicht öffentlich, auch nicht anonym, über ihre Geschichten sprechen. Das hat sich auch bei dieser Recherche gezeigt.

Der "Frauenraum" kooperiert mit der Täterberatung "Berliner Zentrum für Gewaltprävention". Dadurch können in manchen Fällen die betroffene Frau und ihr Partner gleichzeitig in den Blick genommen werden, die Beraterinnen können beurteilen, ob die Täter eine Entwicklung durchleben.

Was wurde aus ...? | Frauenhäuser in Berlin

"Es ist wichtig, dass wir auch die Täter in die Verantwortung nehmen"

Die Sozialarbeiterin Kristin Fischer erlebte im Frauenhaus aus nächster Nähe, was häusliche Gewalt bei Frauen und Kindern anrichtet. Zweieinhalb Jahre nach dem letzten Interview erzählt sie, wie sich die Corona-Krise auf Schutzsuchende ausgewirkt hat.

Täter-Beratungen im "Berliner Zentrum für Gewaltprävention"

Stefan [Name von der Redaktion geändert] bespielsweise besucht regelmäßig die Täter-Beratung "Berliner Zentrum für Gewaltprävention". Eigentlich heißt er anders, aber er möchte anonym bleiben. Doch er will er reden über das, was er seiner Frau angetan hat.

Die Geschichte, die er erzählt, ist schwer auszuhalten: eine Geschichte über Unachtsamkeit, Sprachlosigkeit und einen Mangel an Empfindungsfähigkeit – und auch eine Geschichte von sexueller Gewalt. Über mehrere Ehejahre ging das so: "Wir waren zwei verletzte Seelen, die nicht über ihre Gefühle und wahren Bedürfnisse sprechen konnten."

Infos im netz

Berliner Zentrum für Gewaltprävention (BZfG) e.V.

Mit Gewalt Machtverhältnisse wiederherstellen

Fehlende Kommunikation sei bei häuslicher Gewalt ein häufiges Problem, sagt Beraterin Isabella Spiesberger. "Oft gibt es in Beziehungen etwas zu klären. Die eine Person zieht sich aber zurück. Der andere respektiert das nicht, und dann eskaliert die Situation, es kommt zu Gewalt, manchmal sogar durch beide." Doch nicht immer gehe es um einen Konflikt, der gelöst werden müsste. "Die Gewalt dient dann vielmehr dazu, die Machtverhältnisse in einer Beziehung wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten", erzählt die Beraterin.

Dynamiken, die in Partnerschaften zu gewalttätigem Verhalten führen können

Dass Stefan heute über seine eigenen Defizite sprechen kann, verdankt er der Täter-Beratung und einer Therapie. Er hat gelernt, dass er sich gefühlsmäßig immer dann von seiner Frau isoliert hat, wenn es Eheprobleme gab. Brauchte er Nähe, suchte er sie im Sex. Und spürte nicht, wenn seine Frau mit ihm keinen Sex haben wollte. Bis zu dem Tag, an dem er sie vergewaltigte: "Ich will nicht verschweigen, dass es in einer Situation auch ein klares NEIN gab. Ich habe aber darauf nicht reagiert und habe dann Grenzen überschritten, die ganz eindeutig nicht zu überschreiten sind." Eine Weile waren Stefan und seine Frau dann noch zusammen, inzwischen sind sie getrennt. Mittlerweile hat seine Frau den Kontakt abgebrochen.

In der Täter-Beratung hat Stefan viel über sein Verhalten in der Ehe und über die Dynamiken, die in Partnerschaften zu gewalttätigem Verhalten führen können, gelernt. In den Gruppensitzungen musste er sich auch mit seinen Taten konfrontieren. Und akzeptieren, dass er ein Gewalttäter ist: "Dieses Feedback bedeutete: 'Schau, was hast Du gemacht? Das ist Gewalt, damit musst Du Dich auseinandersetzen.' Es ist verdammt hart, aber es ist absolut notwendig", sagt er.

Beraterin Isabella Spiesberger im Gespräch | Quelle: rbb/Marcel Trocoli Castro

Gewalt gegen Mütter ist auch immer Gewalt gegen Kinder

Neun Monate war er in der Täter-Beratung, und noch ein anderer Satz hat sich ihm dort eingeprägt: "Gewalt gegen Mütter ist auch immer Gewalt gegen Kinder." Das bestätigt auch Beraterin Isabella Spiesberger: "Ob seelische oder körperliche Gewalt: Kinder haben ganz feine Antennen, selbst wenn die Eltern glauben, dass ihre Kinder das gar nicht mitbekommen haben. Die Anspannung in der Familie und die Angst, die spüren sie sehr deutlich. Und dann beziehen sie das Erlebte auf sich und fühlen sich schuldig.“

Im "Berliner Zentrum für Gewaltprävention" wird deshalb auch mit den Kindern gearbeitet. "Wir sprechen mit ihnen über ihre Gefühle und wollen sie von dieser Schuld befreien, sie entlasten. Wir sagen ihnen, dass die Eltern die Verantwortung für ihr Handeln tragen."

Nicht immer gelingt das. Manche Kinder kopieren die Verhaltensmuster, die sie bei den Eltern erlebt und erlernt haben.

Stefan sagt, er habe in der "Täter-Beratung" gelernt, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. "Es hat mir sehr geholfen, achtsamer zu werden, Beziehungen anders zu führen." Und die Gewalt? "Momentan gelingt es mir gut, aber mein Weg ist nicht zu Ende."

Was fehlt?

Fast 16.000 Fälle von häuslicher Gewalt in Berlin im vergangenen Jahr – und längst nicht jede Tat wird bekannt oder angezeigt. Isabella Spiesberger wünscht sich deshalb mehr Beratungsstellen – für die betroffenen Frauen aber auch für Täter. Und Ev von Schönhueb von "Frauenraum" hofft auf mehr Sensibilität bei Gerichten beim Thema "seelische Gewalt". Die sei vor Gericht schwer nachzuweisen. Seelische Gewalt müsse aber ernst genommen werden, zum Beispiel in Gewaltschutzverfahren oder wenn es um das Umgangsrecht mit den eigenen Kindern gehe.

Natürlich, bilanziert Ev von Schönhueb, brauche es "mehr Plätze in den Frauenhäusern. Allzu oft müssen wir Anfragen ablehnen." Aber noch ein weiterer Aspekt sei wichtig: "ein kontinuierliches Interesse der Gesellschaft am Thema häusliche Gewalt".

Sendung: rbb24 Inforadio, 24.11.2022, 06:55 Uhr

Beitrag von Wolf Siebert

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