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Quelle: rbb

Interview l Tag des Ehrenamts

"Dank dieser Arbeit habe ich wieder Boden unter den Füßen"

Kurz nach ihrer Ankunft in Berlin hat Natalia Kovalenko sich ehrenamtlich für Ukraine-Flüchtlinge engagiert. Ihr Projekt "Café Ukraine" ist eine Erfolgsgeschichte. Im Interview erklärt sie, warum sie diese Arbeit selbst so dringend braucht.

Als die Ukrainische Hafenstadt Mariupol von der russischen Armee angegriffen wird, flieht Natalia Kovalenko (42) mit ihrer 17-jährigen Tochter zu ihren Eltern in die 150 Kilometer entfernte Stadt Saporischschja. Gemeinsam mit einer Freundin reist sie weiter, vier Tage fahren sie in überfüllten Zügen durch die Ukraine und Polen, bis sie am 4. März in einem Hostel an der Warschauer Straße in Berlin-Friedrichshain ankommen.

Nur wenige Tage später nimmt Natalia Kovalenko Kontakt zur Berliner Stadtmission auf, um sich zu erkundigen, wie sie Flüchtlingen aus der Ukraine ehrenamtlich helfen kann. Aus dem Engagement ist innerhalb kurzer Zeit ein erfolgreiches Projekt geworden: Am 5. April fand das erste Treffen des "Café Ukraine" im Haus der Statistik am Alexanderplatz statt. Das Café ist ein internationales Begegnungsprojekt mit Menschen, die aus der Ukraine nach Berlin gekommen sind - es ist offen für alle Menschen, die sich für die ukrainische Kultur interessieren [youtube.com]. Die Veranstaltungen finden an unterschiedlichen Standorten der Stadtmission statt.

Eine Produktion der ARD

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rbbl24: Frau Kovalenko, zwischen ihrer Flucht nach Berlin und dem ersten ehrenamtlichen Projekt sind nur elf Tage vergangen. Entstanden ist ein Video, das ein Youtuber gedreht hat und in dem erklärt wird, was Flüchtlinge aus der Ukraine in den ersten Tagen in Berlin wissen müssen. Was hat Sie nach Ihrer Flucht nach Berlin zu diesem Projekt motiviert?

Natalia Kovalenko: Wenn ich anderen Menschen helfen kann, dann fühle ich wieder Boden unter den Füßen, weil ich das Gefühl habe, etwas zu bewirken und nicht ohnmächtig zu sein. Wir haben die Stadtmission kontaktiert und erklärt, dass wir dabei helfen wollen, anderen Ukrianern Orientierung in Berlin zu geben.

Über die Stadtmission kam der Kontakt zu einem Youtuber zustande, der unter dem Namen "Guy" den Kanal "Meet the Good Ones" [youtube.com] gestartet hat. Mit ihm haben wir ein Video produziert, in dem wir Antworten auf zehn Fragen geben, die viele Geflüchtete aus der Ukraine direkt nach der Ankunft beschäftigen. Wo kann ich mein Kind für die Schule anmelden? Wie komme ich an das Geld auf meinem Konto? Wo gibt es Essen? Wie kann ich mich für Deutschkurse anmelden? Was kann man in Berlin sonst noch machen?

Drei Wochen später waren Sie schon Projektkoordinatorin für das "Café Ukraine", innerhalb kürzester Zeit haben Sie einen Begegnungsraum geschaffen, der noch immer ein wichtiger Anlaufpunkt für viele Menschen ist.

Unsere Idee dabei war, dass Menschen aus der Ukraine anderen Ukrainern helfen können. Die Stadtmission hat uns dafür Räume im Haus der Statistik am Alexanderplatz zur Verfügung gestellt. Eine Mitarbeiterin der Stadtmission hat vorher mit Menschen aus Syrien gesprochen, die schon längere Zeit in Berlin leben, um herauszufinden, was den Menschen nach ihrer Ankunft geholfen hat, wo ihre Bedürfnisse liegen und welches für sie die wichtigsten Themen sind.

Wir haben uns das zum Vorbild genommen und Ukrainer gefunden, die mitmachen wollten. Wir haben uns erstmal auf die gemeinsamen Werte verständigt, die in dem Café gelten sollen. Wichtig sind uns vor allem Offenheit und Hilfsbereitschaft, die haben wir auch gegenüber Menschen aus Russland oder Weißrussland, solange sie dieselben Werte teilen.

Wie sieht das Programm im Café Ukraine aus?

Das Café ist eine Art Safe Space, an dem wir die eigene Kultur leben können. Wir veranstalten Workshops, manchmal wird Kleidung geschneidert, manchmal werden Spiele gespielt, dabei lernen sich die Leute kennen. Wir sprechen miteinander über die Dinge, die wir in Berlin nach unserer Ankunft gelernt haben. Danach gibt es immer etwas zu Essen und Musik. Von dem Geld, was wir dadurch eingenommen haben, haben wir immer wieder Hilfsgüter gekauft, die wir in die Ukraine geschickt haben.

Inzwischen kommen aber nicht nur Menschen aus der Ukraine zu uns, sondern auch aus anderen Ländern. Jeder ist willkommen, kann sich bei uns melden und wir suchen nach einer Möglichkeit, wie sich die Menschen selbst verwirklichen können.

Seit Anfang April gibt es das "Café Ukraine", wie viele Menschen kommen bei den Treffen zusammen?

Wir merken, dass es einen Bedarf gibt und die Menschen unsere Arbeit anerkennen. Wir hatten bisher 26 Veranstaltungen, dabei sind mehr als 3.300 Leute gekommen. Das ist für uns ein riesiger Erfolg, auch wenn wir das alle ehrenamtlich machen. Bei unserem ersten Treffen kamen 60 Menschen, wir hatten einmal aber auch 350 Gäste bei uns. Wir merken, dass es für die Menschen wichtig ist, und uns selbst tut es wahnsinnig gut, auf diese Art gebraucht zu werden.

Wie gelingt es Ihnen, jetzt aus der eigenen schwierigen Situation heraus so ein Projekt zu stemmen?

Wenn du die Nachrichten guckst, oder wenn du darüber nachdenkst, wie du eine Wohnung oder Arbeit finden kannst, dann erdrücken dich diese Themen irgendwann. Da ist es wichtig, einen Ort zu finden, wo du willkommen bist. Das allein gibt uns schon viel Kraft.

Für mich ist es aber tatsächlich nicht immer leicht, immer die Zeit für das Projekt zu finden. Ich bin mit meiner Tochter im September aus dem Hostel an der Warschauer Straße ausgezogen und wir wohnen seitdem in einer Obdachlosenunterkunft in der Köthener Straße in Mitte. Meine Tochter geht in der Nähe auf eine Schule in die elfte Klasse und ich verbringe viel Zeit mit der Wohnungssuche und nehme an Sprachkursen teil. Trotzdem ist es mir wichtig, das Café Ukraine fortzusetzen.

Was haben Sie durch diese Arbeit in den vergangenen Monaten über sich selbst gelernt?

Meine eigene Weltsicht hat sich verändert, genauso wie die Weltsicht vieler Ukrainer, die jetzt in Berlin leben. Jeder hat sich vorher auf sein eigenes Leben konzentriert, ich habe dabei zum Beispiel auch den Job im Blick gehabt, ich habe Unternehmen in der Metallindustrie beraten und wollte berurflich weiterkommen. Dieses Ziel ist jetzt in den Hintergrund gerückt und etwas Ähnliches stelle ich bei anderen Ukrainern fest.

Viele Menschen wurden aus ihren Familien gerissen, kamen nach Berlin und sind jetzt auf sich allein gestellt. Was wir jetzt entdecken ist, wie wichtig es ist, dass wir einander unterstützen. Die Gemeinschaft mit anderen Menschen ist das, was mir und anderen gerade einen besonderen Halt gibt. Ich glaube, das wichtigste Gefühl, was wir mit unserem Café geben, ist das Gefühl, zu Hause zu sein.

Frau Kovalenko, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Roberto Jurkschat

Die nächste Veranstaltung des "Café Ukraine" findet am 17. Dezember statt. Weitere Informationen zum Projekt gibt es auf der Website der Berliner Stadtmission.

Sendung: Radioeins, 05.12.2022, 14:00 Uhr

Beitrag von Roberto Jurkschat

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