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Video: rbb24 Abendschau | 20.12.2022 | Nachrichten | Quelle: dpa/P. Zinken

Schadenersatz nach "Artemis"-Razzia

Auch Bordellbetreiber haben "Recht auf guten Ruf"

900 Beamte hatten 2016 das Bordell "Artemis" in Halensee durchsucht, weil angeblich Prostituierte wie Sklavinnen gehalten wurden. Wegen haltloser Vorwürfe muss nun das Land Schmerzensgeld an die Betreiber zahlen. Von Ulf Morling

Das Kammergericht spricht ein hartes Urteil über die Berliner Staatsanwaltschaft und den damals leitenden Oberstaatsanwalt Berlins, Andreas Behm, der inzwischen Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg ist.

Der 9. Senat des Kammergerichts spricht in seinem Urteil am Dienstag von "vorverurteilenden, reißerischen Äußerungen", "amtspflichtverletzenden Informationen an die Öffentlichkeit, die in unzutreffender Weise reißerisch formuliert waren und von "falschen unzutreffenden Aussagen über angebliche Gewalt und ausgebeutete Prostituierte" in dem Großbordell "Artemis" der beiden Brüder S.

Die Brüder waren wegen der am 14. April 2016 getätigten Äußerungen der Ermittler in einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft vor Gericht gezogen, ihnen wurde jetzt "eine Geldentschädigung" zugesprochen.

100.000 Euro für "Artemis"-Betreiber

Berlin muss nach Razzia in Bordell Schadenersatz zahlen

Vorverurteilende Aussagen der Staatsanwaltschaft von 2016 kommen dem Land Berlin jetzt teuer zu stehen: Den Betreibern des Bordells "Artemis" wurden Verbindungen zur organisierten Kriminalität nachgesagt - nun erhalten sie Schadenersatz.

Berlin muss nach Razzia in "Artemis" Schadenersatz zahlen

Die Feststellungen des Kammergerichts im jetzigen Urteil sind seit langer Zeit rechtskräftig von Gerichten anerkannt worden. Wegen vorverurteilender und grundrechtsverletzender Äußerungen der Staatsanwaltschaft in der Presskonferenz einen Tag nach der Razzia, die die beiden Betreiber S. unter anderem in die Nähe organisierter Kriminalität rückten, muss deshalb das Land Berlin 100.000 Euro Schadenersatz an die beiden Brüder leisten.

Zuletzt hatte sich Justizsenatorin Lena Kreck (Die Linke) einem gütlichen Vergleich verweigert, obwohl das Gericht lange versuchte, eine Einigung herbeizuführen. Im Urteil wurde von der Verletzung des Artikel 2 des Grundgesetzes gesprochen (Verletzung der Persönlichkeitsrechte) und der Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die Berliner Staatsanwaltschaft. Einige Male erwähnte die vorsitzende Richterin konkret den damals "leitenden Oberstaatanwalt" Berlins, ohne den Namen Andreas Behm zu nennen.

Beide Eigentümer des "Artemis" waren zur Urteilsverkündung nicht im Kammergericht erschienen, ebenso nicht die Vertreter des Landes Berlin. Das Gericht hatte dem Land Berlin zuvor 25.000 Euro als gütlichen Vergleich vorgeschlagen. Das Geld wollten die beiden Kläger einem gemeinnützigen Projekt für Kind spenden und nicht als Schadenersatz behalten. Berlin hatte das Angebot trotz eindeutiger Worte des Gerichtes abgelehnt. "Uns ging es nie um Geld", ließen die beiden Eigentümer des "Artemis" nach dem Urteil über ihren Anwalt gegenüber der Presse erklären.

Sie hätten gewollt, "dass jemand anerkennt, dass das, was uns durch das unzulässige Vorgehen von Polizei und Ermittlungsbehörden widerfahren ist, nicht rechtens war".

Richterin: Bordellbetreiber haben "Recht auf guten Ruf"

Die Vorsitzende Richterin stellte im Urteil fest, dass selbst im späteren Zivilprozess noch die Ehre und die Persönlichkeitsrechte der beiden Brüder und Geschäftsführer des "Artemis" dadurch verletzt worden seien, weil ihnen ihr guter Ruf abgesprochen wurde. Doch die beiden Bordellbetreiber seien schon lange gänzlich frei von jedem Verdacht, deshalb genössen sie das Recht auf einen guten Ruf, wie jeder andere Bürger, hieß es im Urteil. Auch wenn sie - ohne sich etwas zu Schulden kommen zu lassen - ein Bordell führten.

Vorwurf der Vorverurteilung

Artemis-Betreiber gehen gegen Staatsanwaltschaft vor

13. April, früher Abend - rund 900 Beamte rücken im Bordell "Artemis" an: Polizisten, Steuerfahnder, Staatsanwälte. Mehrere Haftbefehle werden vollstreckt, die Ermittler sprechen von Verbindungen zur organisierten Kriminalität, Sozialabgaben sollen hinterzogen worden sein. Die Betreiber - selbst noch in Untersuchungshaft - wehren sich jetzt.

Die polizeilichen Erkenntnisse durch die Razzia seien vor der vorverurteilenden Pressekonferenz noch nicht einmal ausgewertet gewesen durch die Ermittler, stellte die Richterin im Urteil fest und qualifiziert das Verhalten einiger Staatsanwälte auf der Pressekonferenz mehrfach als grundgesetzwidrig und Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention. Durch den Staat selbst sei damals die Unschuldsvermutung missachtet worden, das wiege besonders schwer, führte sie aus.

Alle Vorwürfe inzwischen als haltlos erwiesen

Ende September 2005 hatte der "FKK-Sauna-Club Artemis" in Halensee eröffnet. Lange im Voraus hatten die Brüder S. Kontakt mit den Behörden bis zum Landeskriminalamt und den Steuerbehörden gesucht, so einer ihrer Rechtsanwälte, Silvin Bruns. Selbst die bei der Razzia 2016 federführende Staatsanwältin sei bei einer "Hausversammlung" im "Artemis" anwesend gewesen, bei der über die Belange des Hauses von den als Selbstständige tätigen Prostituierten diskutiert worden sei.

Bis heute sei ihm nicht klar, warum die fälschlich erhobenen Vorwürfe der engen Kontakte zur Organisierten Kriminalität, wie den Hells Angels und angeblich sklavenähnlichen Bedingungen für die Prostituierten, erhoben worden seien, zu der Razzia und falschen Vorwürfen bis zur millionenschweren Steuer- und Abgabenhinterziehung führten. Alle Vorwürfe haben sich inzwischen rechtskräftig als haltlos erwiesen.

Anwalt spricht von "extremem Tiefschlag für die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung"

Das gesamte Verfahren durch die Ermittler und Staatsanwaltschaft habe "rechtsstaatlichen Prinzipien absolut widersprochen", sagt Rechtsanwalt Bruns. Das zeige sich an der öffentlichen Vorverurteilung damals, der Razzia 2016 mit bis rund 900 Beamten und großem Presseaufgebot. Nicht tragbar sei auch die Berliner Verwaltung, die sich nicht nur nicht entschuldigt habe für "ihre Fehler, die die Gerichte rechtskräftig festgestellt haben, sondern auch immer wieder nachgetreten und behauptet hat, es gäbe noch Verdachtsmomente". Das sei "ein extremer Tiefschlag für die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung, aber nicht der Gerichte", wie Bruns im Gespräch mit dem rbb ausdrücklich betonte.

Das Urteil hat noch keine Rechtskraft. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 20.12.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

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