Männliche Prostituierte im Tiergarten - "Es gibt Menschen, die gezielt nach Minderjährigen Ausschau halten"
Wie viele es sind, weiß niemand so genau. Doch klar ist: Im Berliner Tiergarten bieten auch minderjährige Jungs Sex gegen Geld an. Die Jugendlichen können in den Räumen der NGO Subway essen, schlafen - und manchmal sogar den Ausstieg schaffen. Von Anna Bordel
- Dem LKA zufolge bieten derzeit auch Minderjährige im Tiergarten Sex gegen Geld an
- Die meisten von ihnen sind Jungen, die aus demselben Ort in Rumänien kommen
- Eine Hilfsorganisation bietet ihnen sichere Schlafplätze und etwas zu essen an, auch die Jugendämter sind involviert
- Eine Lösung des Problems ist jedoch laut Polizei schwierig, da weiter Personen im Tiergarten gezielt nach Minderjährigen suchen würden
Sie müssen Geld verdienen - für ihre Familien: Junge Männer, noch keine 18, häufig aus Rumänien, kommen dafür extra nach Berlin. Sie musizieren auf der Straße, ernten Äpfel auf Plantagen oder bieten ihren Körper für Geld an. Letzteres meist im Tiergarten in Berlin-Mitte oder in einigen Kneipen in Nord-Schöneberg.
"Diese Menschen würden nie von sich sagen, dass sie Sexarbeiter sind. Sie wollen einfach über die Runden kommen", sagt Lukas Weber von Subway, einer Anlaufstelle für männliche Prostituierte bis 27 Jahre. Das verdiente Geld müssen sie oft an die Familienoberhäupter weitergeben. "Kein 16-Jähriger sagt von sich aus: Ich möchte hier im Tiergarten stehen".
Und doch stehen manche da. Wie viele es sind, sei schwer festzustellen, meint Weber und auch das Landeskriminalamt (LKA) bestätigt das. Manchmal seien es zwischen zehn und 20. Momentan laut Subway eher eine Hand voll.
Natürlich hat nicht jeder männliche Minderjährige, der im Tiergarten Sex gegen Geld anbietet, die gleiche Geschichte. Dennoch ist da ein Trend zu erkennen, wenn man Lukas Weber, das LKA und das Jugendamt Mitte dazu befragt. Die allermeisten der Jungs stammen demnach aus Rumänien. Viele von ihnen sogar aus einem bestimmten Ort.
Hinter ihnen stehen meist starke Familienstrukturen, in denen eben jede:r ab einem bestimmten Alter mit dazu verdienen muss. Viele der Jugendlichen haben in Berlin keinen festen Wohnsitz, schlafen in Zelten oder abgestellten Autos.
Lka hat mit Plakaten über Thema aufgeklärt
Neu ist das Phänomen nicht. Seit Jahren versucht das LKA Hintermänner ausfindig zu machen, die Strukturen hinter den Jugendlichen aufzudecken. 2017 gelang ein Coup, acht Männer konnten zu teils lebenslangen Haftstrafen verurteilt werden. Verschwunden sind die minderjährigen Prostituierten deswegen nicht. Das liegt auch daran, dass ein Interesse an ihnen besteht. "Es gibt offenbar Menschen, die gezielt nach Minderjährigen Ausschau halten", meint Weber.
Um diese und vor allem auch Anwohner und Passanten darüber aufzuklären, dass unter den Männern, die Sex gegen Geld anbieten, auch Minderjährige sein können, die Opfer von sexueller Ausbeutung sind, hat das LKA im letzten Sommer mit Plakaten darauf hingewiesen.
"Es gab viele Rückmeldungen, das freut uns", sagt Sylke van Offern, Dezernatsleiterin bei der Bekämpfung von Menschenhandel und Schleusungskriminalität. Vielen sei der Umstand neu gewesen. Ein paar Hinweise seien darunter gewesen, denen man nachgegangen sei, aus denen allerdings keine Ermittlungsverfahren hervorgegangen seien, so van Offern.
Bei Subway können die Jugendlichen schlafen, essen und chillen
Weber und seine Mitarbeiter versuchen, den jungen männlichen Prostituierten zu helfen. Teils sind auch Trans-Menschen dabei. Häufig gehe es um ganz grundlegende Bedürfnisse wie essen, schlafen, Wäsche waschen.
Sie können unter der Woche fast täglich in die Räume von Subway kommen und diese Dinge dort tun. Es gibt einen Raum mit ein paar Etagenbetten, Schließfächer, ein Zimmer mit Sofas und Sesseln zum Rumhängen, eine Küche und ein paar Duschen. Wer mehr möchte, kann Hilfe bekommen, einen festen Wohnsitz zu finden, vielleicht sogar eine andere Arbeit.
Die Stimmung sei oft locker, erzählt Weber. "Sie finden hier einen Schutzraum, in dem sie sich fallen lassen können. Sie können ins Internet gehen, ein bisschen Mucke hören. Es ist niemand da, der salopp gesagt, sehen möchte, wie groß ihr Schwanz ist".
Entspannt geht es aber nicht immer zu. Manchmal gehe es nur darum, wer zuerst auf einem Stuhl gesessen hätte. Immer mal wieder würde es aber auch gewalttätig, häufig wenn jemand viele Drogen genommen hat.
Mehrmals wöchentlich gehen Weber und seine Mitarbeiter:innen durch Treffpunkte der Szene. Sie verteilen Kondome und Gleitgel, kommen mit den Leuten ins Gespräch und machen auf das Hilfsangebot von Subway aufmerksam.
Wenn sie mitbekommen, dass jemand Minderjähriges dabei ist, dann verfassen sie immer eine Kinderschutzmeldung ans Jugendamt. Leicht sei das nicht. "Die meisten der Minderjährigen sind ohne festen Wohnsitz, wir können dem Jugendamt also keine genaue Adresse liefern", so Weber. "Außerdem kontrollieren wir keine Ausweise. Wenn uns jemand sagt, mein Szene-Name ist Micky Maus, dann ist das für uns so".
Hilfe für Jugendliche oft schwierig
Das Jugendamt Mitte dagegen versucht, den Jugendlichen einen Austieg aus der Szene zu ermöglichen. Sie können sie zum Beispiel auf Wunsch anonym unterbringen und vor Menschen schützen, die diesen Ausstieg verhindern wollen. Oftmals scheitere es aber letzten Endes vor allem an zwei Dingen, sagt Keller. "Es gibt leider nicht ausreichend Einrichtungen und Träger, die eine anonyme Unterbringung ermöglichen können." Deshalb würden die Jugendlichen häufig sofort von Familienmitgliedern aus den Unterkünften abgeholt, sobald diese davon erfahren.
Wenn sie da überhaupt hin kommen. Und das sei der andere Grund: Manche wollten gar nicht in Unterkünfte. "In diesem Fall kann ihnen zwar immer wieder Unterstützung angeboten werden, aber ein Agieren im Zwangskontext ist in diesen Fällen nicht möglich", so Keller.
Manchmal gelingt aber auch einen Schritt nach vorne: Ein Mitarbeiter von Subway konnte jedoch kürzlich auch nach langem Suchen für jemanden eine Wohnung finden. Hin und wieder würden zum Beispiel auch Jobs auf dem Bau oder in Plantagen vermittelt, erzählt Weber. "Wir finden aber auch immer wieder mal jemanden, der gern eine Ausbildung machen möchte und den wir unterstützen, einen Platz zum Beispiel als Automechaniker oder Schlosser zu finden."