Interview | Verkehrsexperte der HTW - "Autofahrer zu ärgern ist keine sinnvolle Politik"
Ab Januar dürfen in Berlin Fahrräder kostenlos auf Autoparkplätzen abgestellt werden. Ziel sei eine Umverteilung des öffentlichen Raums, heißt es von der Verkehrsverwaltung. Der Berliner Verkehrsexperte Christian Böttger hält das für einen Schnellschuss.
Ab dem 1. Januar 2023 können in Berlin Fahrräder, E-Roller, Lastenräder und Motorräder kostenlos auf kostenpflichtigen Autoparkplätzen abgestellt werden. Diese Neuregelung gab die Senatsverkehrsverwaltung am Mittwoch bekannt. Sie begründet den Schritt damit, dass so mehr Sicherheit auf Fußwegen geschaffen werde. Außerdem verbrauchten Autos schlicht zu viel Platz "in so einer dichten Stadt", so Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne). Gleichzeitig wurde angekündigt, dass die Parkgebühren für Autos erhöht werden.
Im Interview äußert sich dazu Christian Böttger, Professor für Wirtschaftsingenieurswesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW).
rbb|24: Herr Böttger, was halten Sie von der Neuregelung?
Christian Böttger: Für mich ist das ein wenig durchdachter Schnellschuss. Kostenlose Parkplätze für Fahrräder, das klingt für mich eher nach Wahlkampfgetöse, das ist nicht Teil einer durchdachten Verkehrspolitik. Die Senatskanzlei ist ja auch auf Twitter schon wieder zurückgerudert [siehe eingebetteter Tweet unten, Anm.d.Red.]. So wie es zunächst von der Verkehrsverwaltung formuliert war, klang es ja quasi wie eine Aufforderung für Radfahrer, Parkplätze zu blockieren. Wir erleben leider häufiger, dass wenig durchdachte Ideen und Vorschläge zum Thema Mobilität kommen, die aber nicht Teil eines vernünftigen Konzepts sind.
Warum handelt es sich Ihrer Meinung nach um einen Schnellschuss?
Böttger: Also zuerst einmal wird das dazu führen, dass Radfahrende vorsätzlich Parkplätze blockieren, das wird also letztendlich nochmal den Zorn zwischen den Verkehrsteilnehmern erhöhen. Aber nur damit, dass man sagt, man ärgert Autofahrer, hat man noch keine vernünftige Verkehrspolitik.
Es ist ein vorgeschobenes Argument, man wolle damit die Fußwege entlasten, wo heute die Radfahrer parken. Das ist ja eigentlich die Ausnahme. Wir haben heute eine Belastungssituation an einigen wenigen Ecken, aber das sind nicht die, wo es heute auch die Parkplätze gibt. Von daher hängt das diagnostizierte Problem mit der vorgeschlagenen Lösung auch nicht besonders gut zusammen. Das ist keine sinnvolle Politik.
Was wäre dann eine sinnvolle Politik, um den Verkehr nachhaltiger zu gestalten?
Wir müssen über die Verteilung des öffentlichen Raums nachdenken, ja. Und natürlich ist es auch richtig, das Auto zurückzudrängen. Allerdings kommen aus der Verkehrsverwaltung seit Jahren praktisch gar keine Impulse für den öffentlichen Verkehr. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrsnetzes wird seit Jahren vom Senat verschleppt. Die Krise der BVG, das Thema Busspuren, die Beschleunigung des Straßenbahnverkehrs - all diese Dinge werden seit Jahren liegengelassen. Und jetzt kurz vor der Wahl kommt man dann mit dem Thema Fahrradparken auf Autostellplätzen, mit dem man in die Medien kommt...
Was würden Sie sich vom Senat wünschen, was weniger aktionistisch wäre?
Ich glaube, es ist schon richtig, die Parkgebühren zu erhöhen. Dazu gehört aber auch eine vernünftige Kontrolle und Durchsetzung der Regeln - sowohl konsequenteres Kontrollieren der Autos, aber auch der falsch geparkten Scooter und Räder. Das wird überhaupt nicht kontrolliert.
Ich denke aber auch, dass das Thema Verknappung gar nicht der zielführende Punkt ist. Wir sollten stattdessen vielleicht nochmal überlegen, ob und wie wir den öffentlichen Nahverkehr weiter privilegieren können. Nur mit einem Konzept können wir das Auto weiter zurückdrängen. Da kommen, wie gesagt, kaum Impulse.
Warum kümmert sich die Senatsverkehrsverwaltung Ihrer Meinung nach nicht um die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs?
Sicherlich ist das Thema Öffentlichkeit und die mediale Berichterstattung ein Teil des Problems. Die BVG besser zu machen, wäre ein relativ dickes Brett - man sieht aber, dass man mehr mediale Aufmerksamkeit bekommt mit irgendwelchen Schnellschüssen. Zuletzt zum Beispiel auch die Idee, die Strafbarkeit von Schwarzfahrten abzuschaffen - da bekommt man immer tolle mediale Aufmerksamkeit.
Was sind Ihre konkreten Vorschläge?
Der Ausbau des Straßenbahnnetzes, der seit Jahren verschleppt wird, müsste letztlich zur Chefsache werden. Die Termine werden Jahrzehnt um Jahrzehnt verschoben, gleiches gilt für die Ausschreibungen für den S-Bahn-Verkehr. Gestern kam ja gerade die Ankündigung, dass sich wieder mal die S-Bahn-Ausschreibungen und damit die neuen Züge um zweieinhalb Jahre verzögern. Das bedeutet, dass wir weiterhin zu wenige und veraltete Züge haben bei der S-Bahn.
Seit Jahren werden zudem keine neuen Busspuren eingerichtet, und jetzt stellt man fest, obwohl es dafür eigene Abteilungen gibt, dass man da offenbar ein Problem hat mit der Gesetzeslage und mit dem Regelwerk.
Wir haben eine neue Straßenbahnstrecke eingeweiht, Berlin hat es aber nicht geschafft, da irgendwie eine Ampel-Vorrangschaltung zu machen, mit der Folge, dass die Straßenbahn jetzt langsamer ist als der Bus, der da vorher gefahren ist.
Das sind Dinge, die in der Verkehrsverwaltung liegen und mit der sie sich intensiv und kontinuierlich drum kümmern müsste.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jenny Barke. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.
Sendung: rbb24 Abendschau, 30.11.2022, 19:30 Uhr
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