Fort Groß Friedrichsburg in Ghana
Vor 340 Jahren erreicht eine Flotte aus Brandenburg die Küste Westafrikas. Der Große Kurfürst will eine Kolonie gründen. Tausende Afrikaner werden von hier in die Sklaverei verkauft. Die Ruine des Forts Groß Friedrichsburg erzählt davon. Aus Princess Town, Ghana, Oliver Noffke
5 Uhr morgens in Princess Town, das Dorf scheint von einer Art Alarm aus dem Schlaf gerissen zu werden. Eine zunehmend heiser werdende Männerstimme brüllt Jobangebote in die verfliegende Dunkelheit - Arbeit für Tagelöhner. Ghanas Western Region ist reich an Bodenschätzen. Gold, Bauxit, Eisenerz, Öl, Gas und auch Diamanten werden hier abgebaut. Die Bevölkerung hat davon kaum etwas.
Während sich Accra, die Hauptstadt des Landes, als moderne und internationale Metropole präsentiert, – ein afrikanischer Tech-Hub mit Mietpreisen teilweise auf dem Niveau von Berlin-Charlottenburg oder Potsdam – ist der Westen des Landes abgehängt. Für die knapp 55 Kilometer vom Flughafen in der Regionalhauptstadt Sekondi-Takoradi bis nach Princess Town braucht man auf der dauerverstopften Hauptstraße N1 gut zwei Stunden.
Auf einem Felsen, etwas außerhalb des Dorfes, steht eine Ruine. Die Reste einer Festung, vor 340 Jahren errichtet. Ein Sonnenhörnchen springt über Ziegel, die mehr als 5.500 Kilometer Luftlinie entfernt gebrannt wurden. In der Mark Brandenburg. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620-1688) ließ damals an der sogenannten afrikanischen "Goldküste" eine Kolonie errichten. Die Überreste des Forts Groß Friedrichsburg in Princess Town erzählen davon.
Wenn heute von der deutschen Kolonialzeit die Rede ist, wird meist die Zeit zwischen 1884 und dem Ende des Ersten Weltkriegs gemeint. Damals nahm das Deutsche Kaiserreich im Pazifik und Ostasien, vor allem aber in Afrika, Land in Besitz. Innerhalb weniger Jahre wurde von Berlin aus das drittgrößte Kolonialreich der Welt beherrscht, übertroffen nur von London und Paris. Doch schon weitaus früher beuteten deutsche Herrscher Gebiete in Übersee aus - und nahmen auch am Sklavenhandel teil.
Als erstes versuchten die Welser ein gewaltiges Stück des heutigen Venezuelas zu unterwerfen. Der König von Spanien hatte enorme Schulden bei der Patrizierfamilie aus Augsburg und Nürnberg. 1528 verpachtete er ihnen deshalb einen 900 Kilometer langen Küstenstreifen am Atlantik namens Klein-Venedig.
Während Spanien, Frankreich, Dänemark, vor allem aber die Niederlande, England und Portugal über genügend Schiffe, Kanonen und Soldaten verfügten, um große Landstriche auf der ganzen Welt zu besetzen, versank die Privatkolonie der Welser nach wenigen Jahren im Chaos. In den darauf folgenden Jahrzehnten verfügte keiner der Kleinstaaten im fragmentierten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation über die Mittel, ernsthaft mit Europas Seemächten aufschließen zu können.
Friedrich Wilhelm wollte das ändern. Als junger Mann hatte er viele Jahre in den Niederlanden verbracht und dabei aus erster Hand erfahren, wie die Oberschicht des Landes durch die Kolonien im Reichtum versank. Als Oberhaupt des Hauses Hohenzollern wollte er ebenfalls in den Transatlantikhandel einsteigen und ließ zu diesem Zweck in Havelberg eine Flotte zimmern.
Er hoffte Gewürze und Gold zu finden. Außerdem wollte er Menschen kaufen, um sie in die Karibik zu verschiffen. Im Sommer 1682 stach in Glücksstadt an der Elbe, damals ein Teil Dänemarks, eine Expedition in See. Ihr Auftrag: In Westafrika einen kolonialen Handelsposten errichten. Zu diesem Zeitpunkt verschleppten die Portugiesen und andere Europäer bereits seit fast 200 Jahren Menschen in die Versklavung.
"Die, die später einstiegen, hatten es einfacher", sagt William Gmayi Nsuiban über die Absichten des Großen Kurfürsten. Er ist Historiker am Nationalmuseum in Accra, das mehr als zwei Dutzend ehemalige Sklavenfestungen im Land verwaltet. "Sie wussten, was sie taten, und sie konnten auf den Erfahrungen anderer Europäer aufbauen, etwa im Umgang mit den Gemeinden vor Ort." Die Ruine sei von unschätzbarer Bedeutung, sagt er. "Sie ist der Beweis dafür, dass Deutsche eine Rolle in der Versklavung von Afrikanern gespielt haben." Seit 1979 gehört Groß Friedrichsburg zum Unesco-Welterbe.
Nach fast einem halben Jahr auf See erreichten die Fregatten "Chur Prinz" und "Morian" ihr Ziel: das Kap der drei Spitzen. Fünf Männer überlebten die Überfahrt nicht. Ein drittes Schiff wurde unterwegs von der französischen Marine abgefangen und festgesetzt, sagt Ulrich van der Heyden.
Der Kolonialhistoriker ist Professor an der Berliner Humbold-Universität. Mehrfach hat er Groß Friedrichsburg in den vergangenen Jahrzehnten aufgesucht, 1993 ein Buch über die Geschichte des Ortes geschrieben. Entlang der Küste habe es einen enormen Konkurrenzkampf gegeben, sagt er. "Von Flächenkolonien und Eindringen ins Landesinnere war damals überhaupt noch nicht die Rede. Das hatte noch keine europäische Macht gemacht, die in Afrika präsent war."
Am 27. Dezember 1682 findet die Zweierflotte am Golf von Guinea jene Bucht, an der im Jahr zuvor eine brandenburgische Delegation Verträge über einen Festungsbau abgeschlossen hatte. Doch niemand erinnert sich an diese Abmachung. Dabei hatte der Große Kurfürst extra ein Gemälde von sich für die Partner mitgeschickt. "Man muss sich das mal vorstellen." Van der Heyden kichert amüsiert in seinem Berliner Büro. "Wahrscheinlich ist es unter Deck zerlaufen. Ein Ölgemälde am Äquator."
Dass den Ahanta-Häuptlingen klar gewesen war, was sie da genau unterschrieben, erscheint aus heutiger Sicht unmöglich. Schließlich waren die Verträge in Berlin auf Deutsch vorgefertigt worden. Als auch noch niederländische Schiffe die Gegend patrouillierten, zogen die Brandenburger weiter. Wenige Tage darauf erspähten sie einen schroffen Felsen, der zwei langgezogene Sandbuchten deutlich überblickt.
Es ist der ideale Ort, um zu ankern und mit den Ruderbooten überzusetzen. Die Spitze des Felsen übertrifft alles. Hier wollen sie eine Festung bauen.
Im nahegelegenen Dorf Poqueso willigten die Anführer ein, den Brandenburgern beim Bau einer Festung zu helfen und mit ihnen Handel zu treiben. Wieder waren die Verträge auf Deutsch. Am 1. Januar 1683 wurden der Fels und seine Umgebung im Namen Friedrich Wilhelms in Beschlag genommen. Brandenburg war von nun an eine Kolonialmacht. So wollte man es in der Heimat glauben.
Zeitgenössische Künstler inspirierte dieser Moment zu monumentalen Darstellungen: Auf einem Gemälde aus dieser Zeit betritt Kommandant Otto Friedrich von der Groeben, ein erst 27 Jahre alter Marine-Major, das Ufer in schicker Ausgehuniform. Erhaben reißt er den Arm in die Luft, während sich vor ihm halbnackte Afrikaner in den Sand werfen.
Tatsächlich ließ es von der Groeben zur Feier des Augenblicks richtig knallen. Soldaten schossen am Strand aus ihren Gewehren, die Kanonen der Schiffe schossen zur Antwort zurück. Jubeldonner und Drohgebärde. Anschließend wurde mit dem Bau einer Festung begonnen. Ihr Grundriss erinnert an einen vierzackigen Stern. In jede Himmelsrichtung zeigt eine spitz zulaufende Bastion. An der Küste Ghanas steht eine Miniatur der Zitadelle Spandau.
Als die Wolken aufreißen, dauert es nur wenige Augenblicke, bis die Sonne mit voller Kraft brennt. Der Rasen im Innenhof dampft. Das Grün ist akkurat geschnitten. In den Gebäuden ist jeder Raum sauber gefegt. Caretaker John Quarm, eine Art Hausmeister der Festung, nimmt seine Arbeit offensichtlich ernst. Dennoch ist auf den ersten Blick sichtbar: Groß Friedrichsburg befindet sich in keinem guten Zustand.
Die Nordseite ist nahezu komplett eingefallen. Dort, wo vor mehr als 300 Jahren die Offiziersunterkünfte waren, wachsen heute Bananenpalmen zwischen wackeligen Mauerresten. Im hinteren Teil, wo das Gestrüpp am dichtesten ist, verbrennt Quarm hin und wieder Gartenabfälle. Die Bastion neben der Auffahrt ist nur noch zur Hälfte erhalten. Eine Seite ist eingefallen. Die östliche Festungsspitze existiert hingegen nur noch auf Zeichnungen. Genau wie der kleine Wirtschaftshof, der dahinter einst anschloss.
Alle Ziegel, die man hier sieht, sind auf Schiffen mitgebracht worden, erklärt Quarm. Sie waren nicht nur als Baumaterial wichtig, um schnell einen Hauptsitz zu errichten; ihr Gewicht ließ die Schiffe stabiler durch die See gleiten. Historiker Nsuiban vermutet, die Ziegel könnten aus der Nähe von Königsberg, heute Kaliningrad, stammen – über Jahrhunderte einer der wichtigsten Häfen Brandenburgs und Preußens. Sicher ist das jedoch nicht.
Nur den richtigen Mörtel hatte die Expedition nicht geladen. "Also haben sie jede Menge Muscheln gesammelt und zu Staub zerstoßen. Dieser Kalk wurde mit Tonerde, Palmöl und Wasser verrührt", erklärt Caretaker Quarm. Diese improvisierte Zementmischung rieselt an jeder Ecke aus dem Mauerwerk. Überall hat der Wind Muschelreste zwischen den Steinen freigepustet. Experten in Accra und Berlin sind sich sicher, wenn nicht bald ein besseres Bindemittel zwischen die Steine gebracht wird, sind die Tage der Festung gezählt.
Immerhin das Hauptgebäude sieht auf den ersten Blick ganz passabel aus. Allerdings nur im direkten Vergleich mit dem desolaten Seitentrakt, dem nicht nur sämtliche Türen und Fensterrahmen fehlen, sondern auch so gut wie jede Innenwand. Auffällig ist, dass sich die Seite der Festung, die dem Meer zugewandt ist, im besten Zustand befindet. Also eben jene Mauern, die ständig Wind und Wetter ausgesetzt sind.
Der Wunsch, unermessliche Mengen Gold anzuhäufen, erfüllte sich für die Brandenburger nicht. Doch was sofort gelang, war der Ankauf von Sklaven. Beschafft wurden sie mithilfe der Awohner. "Nach allem, was wir wissen, gab es keine Anfeindungen", sagt Historiker William Gmayi Nsuiban. Die Brandenburger seien akzeptiert worden, man habe co-existiert und miteinander Geschäfte gemacht.
Bereits auf einem der ersten beiden Schiffe wurden afrikanische Menschen über den Atlantik verschifft und in die Sklaverei verkauft. Erst danach kehrte die "Chur Prinz" in ihre Heimat zurück. Laut Professor Ulrich van der Heyden sind die entführten Menschen schlechter behandelt worden als Ware. "Die Brandenburger waren nicht viel besser im Umgang mit den Sklaven als die berüchtigten Portugiesen." Wer sich gewehrt habe, sei an Haie verfüttert oder kielgeholt worden - also an Tauen unter dem Schiff durchgezogen worden.
Heute geht die Wissenschaft davon aus, dass bis zu ein Sechstel der Versklavten gar nicht erst in den Internierungslagern der Karibik ankam, sondern bereits auf den Überfahrten ums Leben kam.
Friedrich Wilhelm orientierte sich beim Aufbau seiner Handelsrouten penibel am Vorbild anderer Europäer. Die Festung an der Goldküste diente dazu, Menschen festzuhalten, die zur Ware degradiert wurden. Schiffe der kurbrandenburgischen Marine brachten diese Männer, Frauen und Kinder in Ketten über den Atlantik zur Karibikinsel St. Thomas. Dort hatte Brandenburg von Dänemark für 30 Jahre einen Flecken Land gepachtet, der zu einem Sklavenmarkt ausgebaut werden sollte.
Auf dem Rückweg aus der "Neuen Welt", wie die Eroberer, beschwipst von ihrer Selbstherrlichkeit, Amerika nannten, wurden Zuckerrohr und andere Produkte der großen Sklavenplantagen nach Europa gebracht.
Von dort begann der Dreieckshandel wieder von vorn. Die Schiffe fuhren beladen mit Feuerwaffen, Munition, Eisenwerkzeugen oder Rubinglas an die afrikanische Goldküste. Während einige mit Gewürzen, Elfenbein und auch Gold nach Brandenburg zurückkehrten, brachte ein anderer Teil der Flotte entführte Afrikaner:innen über den Atlantik.
Organisiert wurde alles von der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie – einem Handelsunternehmen, das extra für den Betrieb der Kolonie gegründet worden war und sich klar an ausbeuterischen Organisationen wie der Niederländischen Westindien-Kompanie orientierte.
Ein modriger Gestank durchzieht den feuchten Kerker. So muss ein sterbendes Aquarium riechen. Es dauert einen Moment, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Der Raum ist vielleicht so groß wie eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, durch die Gewölbebögen entsteht eine ungeheure Enge. Drei schmale Öffnungen lassen Frischluft erahnen. Das Sonnenlicht bricht sich am Rost der Gitterstäbe. Pelziges Moos von unbestimmter Farbe klebt wie Schimmel in den Ecken.
Als John Quarm den Raum betritt, wirkt es, als streife er ein Stück seines Selbstbewusstseins ab. Wie viele im Dorf glaubt auch er, dass hier die letzte Unterkunft der Sklaven gewesen sein muss, bevor sie auf die Schiffe getrieben wurden. Historiker sind sich da nicht so sicher. Möglicherweise war dies schlicht eine Gefängniszelle. Auch am Dorfrand von Princess Town wurden die Reste von Mauern gefunden, die mit Steinen aus Brandenburg gebaut wurden. Es könnten Lager gewesen sein.
Nervös wippt der Caretaker von einem Bein aufs andere. "Wenn ich hierherkomme, denke ich daran, was hier passiert ist", sagt er. Der Moder kriecht tief in die Nase und setzt sich als Kopfschmerz hinter der Stirn fest.
Im Mai 1688 stirbt der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm im Potsdamer Stadtschloss. Mit ihm verschwindet in der Mark das Interesse an der Kolonie. Sein Sohn und Nachfolger, der spätere König von Preußen Friedrich I., der wegen seiner Skoliose im Volksmund "schiefer Fritz" genannt wurde, hielt die Festung noch mit abnehmendem Interesse am Leben. Dessen Sohn wiederum, "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I., beendete schließlich das koloniale Abenteuer seines Großvaters endgültig.
Für relativ mickrige 7.200 Dukaten sowie zwölf afrikanische Menschen, die nach Berlin geschickt wurden, verkaufte er Fort Groß Friedrichsburg an die Niederländische Westindien-Kompanie. Auf St. Thomas war zu diesem Zeitpunkt schon lange kein Schiff der kurbrandenburgischen Flotte mehr angelandet. Genervt vom fehlenden Eifer der Brandenburger hatten die Dänen nach wenigen Jahren den Pachtvertrag einseitig gekündigt.
Bis zur Aufgabe der Kolonie wurden etwa 19.000 Menschen unter der Flagge des roten Adlers in die Karibik verschleppt. Das geht aus zeitgenössischen Schiffslisten hervor, die von Wissenschaftlern ausgewertet wurden. Das entspricht etwa einem Drittel der Bevölkerung des damaligen Berlins.
An der Meerseite führt ein schmales Tor durch die Mauerreste. Bananenstauden wuchern wie Unkraut, ihre Blätter klappern im Wind. Ein Pfad weist den Weg hinunter zur Brandung. "Das war der Weg ohne Wiederkehr", sagt John Quarm. "Das Letzte, was die Versklavten von ihrer Heimat gesehen haben." Er will jetzt nicht durchs Dickicht, sagt er, im Haupthaus gebe es noch einiges aufzuräumen.
Der Untergrund ist steil und glitschig. Die Festung ist nahezu vollständig hinter den Baumkronen verschwunden. Nur die Spitze der Südbastion ist zu erkennen. Aus einem dreieckigen Gemäuer, von der Größe eines Kleinwagens, ragen Kokospalmen. Dahinter schlagen die Wellen gegen Stein. Felsen, die große Schiffe auf Abstand halten. Am Strand nebenan müssen die Ruderboote zu den großen Schiffen abgelegt haben.
Glaubt man dem Gästebuch, begrüßt John Quarm etwa einmal die Woche Besucher. Meist sind es Deutsche oder Niederländer, manchmal Amerikaner. Ab und zu scheint es zweimal in einer Woche Führungen gegeben zu haben. Dann kam wochenlang wieder niemand. "Es wäre schön, wenn ihr Deutschen öfter vorbeikommen würdet", sagt er. "Hier ist auch eure Geschichte passiert."
Sendung: Radioeins, 29.12.2022, 18.40 Uhr
Beitrag von Oliver Noffke
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