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Quelle: dpa/Fotostand

Zwischen Gabentisch und Konsumschlacht

"Schenken ist der Kitt, aus dem unsere sozialen Beziehungen entstehen"

Weihnachten gleicht für viele einer regelrechten Konsumschlacht. Unter dem Eindruck von Krisen und Geldsorgen fragen sich etliche: Wozu machen wir das alles? Können wir drauf verzichten? Nicht unbedingt, meint Wirtschaftssoziologe Sascha Münnich.

rbb|24: Herr Münnich, warum schenken wir Menschen eigentlich etwas?

Sascha Münnich: Wir schenken und helfen uns gegenseitig immer im Rahmen von sozialen Beziehungen – im Freundeskreis, in der Familie oder in Liebesbeziehungen. Wenn ich jemandem geholfen habe, erwarte ich auch, dass er mir zurückhilft. Das ist der Kitt aus dem unsere sozialen Beziehungen entstehen. Wir achten dabei sehr darauf, dass das nicht ökonomisch wird, also nicht: "Du hast mir drei Stunden geholfen, jetzt helfe ich dir auch drei Stunden." Stattdessen bleibt man gerne beieinander verschuldet, denn so wird die Beziehung aufrechterhalten. Das ist der sogenannte reziproke Tausch: Tausch, der nicht als Äquivalententausch stattfindet, also Geld gegen Ware. Sondern ein Tausch, bei dem die Gabe mit Zeitverzögerung irgendwann als Gefallen zurückgegeben wird. Das sind die ältesten Formen von Wirtschaft – traditionelle Gemeinschaften, die sich gegenseitig Geschenke machen, häufig weit über das hinaus, was sie sich leisten können.

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Sascha Münnich

Geschenke sind also Ausdruck von Beziehungen?

Ja, Geschenke sind genau auch dafür da, dass sie eben nicht sofort erwidert werden und eine Beziehung aufrechterhalten. Das machen wir das ganze Jahr über, und an Weihnachten machen wir das hochgradig ritualisiert. Das ist älter als die Marktwirtschaft und da kommt man nur schwer raus, indem man sagt: Wir schenken uns nichts.

An Weihnachten wird sozusagen sozial "abgerechnet". (lacht) Da definiert man auch: Wer sind denn "die Lieben"? Bei einem engen Freund fällt mir ein Geschenk nicht schwer. Der als unangenehm empfundene Weihnachtsstress hat damit zu tun, dass man auch Leuten was schenken soll, mit denen man sich gar nicht verbunden fühlt. Da bedient man Erwartungshaltungen oder schenkt nur deshalb was, damit andere nicht schlecht von einem denken. Beim Schenken wird somit signalisiert, wie es um die Beziehung steht.

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Was löst denn das Schenken bei mir als Schenkender aus?

Wir fühlen uns integriert, empfinden soziale Anerkennung. Die Erwartungen sind erfüllt, vielleicht sogar übererfüllt, es wird dann kommunikativ durch die Freude, die Umarmung, den Dank. Es wird bestätigt, dass man zu dieser Beziehung gehört und sie aufrechterhält. Darin liegt auch das besondere Problem für jene, die an Weihnachten Einsamkeit und Isolation erfahren. Alle anderen signalisieren sich gegenseitig Anerkennung und Zugehörigkeit. Es ist dann besonders schwierig, wenn man das nicht erleben kann.

Ist das Geschenk auch ein Marker des soziales Status'?

Absolut. Zum Schenken gehören drei: Derjenige, der schenkt, der Empfänger und derjenige, der zuschaut. Wenn bei der Bescherung alle auf dem Sofa sitzen und dann kommt: "Mensch, ist das ein schönes Geschenk!" Dadurch kriegt das Schenken dann noch einmal Bestätigung.

Diese Art von demonstrativem Konsum nennt man "conspicuous consumption" (deutsch: Geltungskonsum). Es ist ein wichtiger Aspekt der meisten unserer alltäglichen Konsumentscheidungen, und das umso stärker, wenn es wie an Weihnachten in Gruppenrituale eingebettet ist.

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Es gibt in der Weihnachtszeit die Beobachtung – und damit oft auch den Vorwurf – dass besonders ärmere Menschen über ihre Kosten konsumieren und schenken. Was steckt dahinter?

Es gibt hier ein großes gesellschaftliches Missverständnis. Nämlich, dass wir alle primär ökonomisch denken würden. Das stimmt so nicht: Soziale Beziehungen triumphieren immer über die ökonomische Situation. Wir sind durchaus bereit, uns für die soziale Integration in eine für uns relevante soziale Gruppe ökonomisch zu ruinieren - für eine Hochzeit oder für die Zukunftschancen unserer Kinder beispielsweise.

Ein zentrales Thema der Armut ist die soziale Exklusion. Wer arm ist, hat zu vielen Dingen keinen Zugang. Schenken oder ein Exzess, den man sich eigentlich nicht leisten kann, geben einem aber das Gefühl, sozial integriert zu sein, das ist in gewisser Weise eine Ermächtigung. Wer von Armut betroffen oder bedroht ist, macht zudem Ohnmachtserfahrungen – dass man an seiner Lebenssituation nicht viel ändern kann und abhängig von anderen ist. Dagegen tut es gut, wenn man Geld hat, um sich handlungsfähig zu fühlen.

Die Deutschen schenken an Weihnachten am liebsten Geld und Gutscheine. Entwertet das nicht das Schenken?

Wenn es entwertet wäre, würden die Leute es nicht machen. Natürlich kann man das persönlich so empfinden. Geschenktes Geld von meiner Oma würde ich wahrscheinlich nicht für die Stromrechnung verwenden, sondern würde überlegen, was ich Schönes davon kaufe. Das ist dann sozial markiertes Geld auf einer Art gedanklichem Extra-Konto, und da mache ich große Unterschiede, wie ich das verwende.

Man kann auch nicht einfach unterm Weihnachtsbaum das Portemonnaie zücken: "Hier haste 100 Euro." Man macht ein Schleifchen dran und signalisiert so: "Das ist nicht einfach nur Geld. Das ist jetzt ein Geschenk." Dasselbe gilt für Gutscheine, die auch zuletzt immer beliebter wurden. Das hat genauso viel Bedeutung für unsere sozialen Beziehungen, denn auch damit wird gesagt: "Das ist jetzt nicht einfach Geld."

Entlastet man sich in Krisenzeiten, indem man sagt: Lass uns dieses Jahr nichts schenken?

Es kommt drauf an. Eine Beziehung, die sagt: "Wir wollen uns nichts schenken", funktioniert wunderbar, wenn sie andere Praktiken hat, um sich aufrechtzuerhalten. Es darf aber nicht der Verdacht aufkommen, dass man sich nicht richtig um die Beziehung kümmern will. Stattdessen sollte man überlegen, ob man zum Beispiel etwas gemeinsam unternimmt. Verbringt man ohnehin viel Zeit miteinander, dann braucht man das vielleicht nicht. Der generelle Trend ist, dass man ab einem bestimmten Lebensstandard eher Geld als Zeit hat. Da wird auch was anderes als Wertschätzung verlangt. Ich glaube, das ist absolut äquivalent und wahrscheinlich auch sogar nachhaltiger als sich was zu schenken. Aber man sollte nicht unterschätzen, dass man etwas tun muss. Auch wenn man auf Geschenke verzichtet, bleibt die Aufgabe bestehen, die soziale Beziehung aufrechtzuerhalten. Das ist dann aber das ganze Jahr über der Fall, nicht nur an Weihnachten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sylvia Lundschien für rbb|24

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 24.12.2022.

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