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Quelle: imago images/J.Tack

Schul-Tablets mit freiem Zugang zum Internet

Die Digitalisierung frisst ihre Kinder

Kinder und Jugendliche vor nicht jugendfreien Inhalten im Netz zu schützen, ist kaum möglich. Insbesondere seit auch noch Schulen Tablets an Schüler verteilen. Diese lassen zum Teil offenbar sogar Pornokonsum zu. Ein Erfahrungsbericht. Von Annemarie Hoffmann

Dieser Text ist eine Art Hilferuf - und er ist auch eine Bankrotterklärung. Denn mein Sohn ist elf Jahre alt und ich schaffe es nicht, ihn vor nicht kindgerechten und sexualisierten Inhalten im Internet zu schützen. Und das nicht, weil ich nicht hinterher wäre. Ich bin Journalistin, ich arbeite digital – ich weiß um die Gefahren im Netz und die Optionen, mein Kind mithilfe von Sperren auf unseren heimischen Digitalgeräten zu schützen. Ich kann das also theoretisch reglementieren. Wären da nicht: die anderen.

Die anderen sind, wie sich herausstellt, nicht nur die anderen Eltern, an die man schnell denkt. Klar, die sind es auch. Viele haben weder Zeit, Interesse noch die nötigen Kenntnisse, die digitalen Gerätschaften ihrer Kinder in Sachen Nutzungsdauer und Jugendschutz zu sichern. Aber seit Corona und dem unbedingten Digitalisierungswillen sind die anderen auch: die Schulen.

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"Siri, wie macht man Sex?"

Noch besucht mein Kind eine Berliner Grundschule. Seit etwa einem Jahr gibt es dort, Corona und der Tatsache, dass es sich um eine Privatschule handelt sei Dank, Klassen-Tablets. Die werden nur vor Ort in der Schule genutzt. Damit ist die digitale Realität endlich auch ins schulische Leben meines Kindes eingezogen. Ein recht versierter Vater hat die Schul-Tablets eingerichtet, bestimmte Apps aufgespielt, andere verboten. Frei zugänglich, bis auf jugendgefährdende Inhalte, ist aber der Browser. Klar, die Kids sollen ja auch recherchieren können.

Wie mir mein Sohn neulich feixend erzählte, recherchieren sie aber vor allen Dingen ausgiebig auf einer Spiele-Website, auf der man online "zocken" kann, was das Schul-Wlan hergibt. Auf meine pädagogisch wertvolle Ansprache hin, die beinhaltete, dass ich das nicht lustig finde, sagte er, ich solle mich beruhigen, das machten doch alle. Genau wie alle das Wlan-Passwort der Schule hätten. Das würde eben auf dem Schulhof gehandelt.

Auf meine entsetzte Nachfrage hin stellte er klar, dass es sich bei der Währung (immerhin nur) um den Inhalt der Brotboxen handelt. Eine Weile seien es Fußballkarten gewesen. Ach, Fußballkarten. Ich sehne mich nach der Zeit zurück, als ich mich um dieses Thema kümmern musste. In der ersten und zweiten Klasse waren die nämlich Handelsware und somit Familienthema. Doch wenn ich mich richtig erinnere, hatten wir auch damals schon Begegnungen mit dem Thema unkontrollierte Internetinhalte.

Denn Luca, ein Mitspieler aus der Fußballmannschaft meines Kindes, den er mitunter zuhause besuchte, um Fußballkarten zu tauschen, hatte wohl - da waren die Jungs acht Jahre alt – während eines solchen Besuchs mit Siri über Sex reden wollen. "Siri, wie macht man Sex?" hatte er per Spracheingabe angefragt, hatte mein Sohn da noch irritiert erzählt. Die Eltern von Luca, die ich ansprach, wurden bleich und versprachen, einen Jugendschutzfilter zu installieren. Denn die Suchergebnisse waren schon damals leider nicht ganz so "Sendung mit der Maus"-mäßig wie die Frage.

Pornos auf dem Schul-Tablet

Doch das alles ist harmlos im Vergleich zu dem, was nun durch die Digitalisierung der Schulen losgetreten worden ist. Nach Schul-Tablets wurde überall gerufen, inzwischen sind sie vielerorts in Gebrauch. Vergangenen November wurde verkündet, dass Berlins Siebtklässler mit Tablets ausgestattet werden. Die Geräte sollen im kommenden Schuljahr an die Schülerinnen und Schüler ausgegeben werden. Oh, wie ich mich freue. Denn mein Sohn ist dann Oberschüler und hat wahrscheinlich endlich auch Zugang zu Enthauptungen, Pornos und Nazi-Content.

Warum ich das denke? Mein Sohn hat Freunde, die bereits in der Oberschule sind und längst Schul-Tablets besitzen, die sie auch mit nachhause nehmen – weil sämtliches Lernen dort stattfindet und stattfinden soll. Was ich theoretisch ausgesprochen gut finde. Doch wie sich jetzt für mich herausstellt, wird nicht nur gelernt.

Ein Freund, nennen wir ihn Samuel, der seit dem laufenden Schuljahr eine Integrierte Sekundarschule in Berlin besucht, hat meinem Sohn nämlich neulich ganz unverkrampft erzählt, dass er auf seinem Schul-Tablet nun abends Pornos schaue – während die Eltern dächten, er lerne fleißig für die Schule. Ob mein Sohn mal mitgucken wolle. Wir reden von einem Zwölfjährigen mit engagierten und gebildeten Eltern.

Ob das so stimmt? Anfrage an die Eltern ist raus, sie hoffen, ihr Sohn habe einfach nur geprahlt. Das Schul-Tablet sei komplett von der Schule eingerichtet und dem Kind von dieser überreicht worden – sie seien bislang davon ausgegangen, dass keine jugendgefährdenden Inhalte erreichbar sind. Überprüft haben sie das nicht. Ihr Sohn besitzt ein Smartphone und ein älteres Tablet. Diese Geräte und die des älteren Bruders regelmäßig zu checken, laste sie – beide sind voll berufstätig in anspruchsvollen Jobs – annähernd aus.

Eltern müssen ständig hinterher sein

Auch der Vater eines weiteren Siebtklässlerfreundes meines Sohnes berichtet auf meine Nachfrage hin, der Junge habe seit etwa drei Wochen ein Schul-iPad. Das Gerät, es musste ein ganz bestimmtes der Firma Apple von allen Eltern angeschafft werden, lasse es zwar nicht zu, eigene Apps downzuloaden, der Browser aber sei frei zugänglich, der Sohn "zocke" damit. Deshalb konfisziere er das Gerät jetzt zu bestimmten Zeiten. Er habe bei der Schule nachgefragt, ob es denn Reglementierungen von deren Seiten gebe, aber keine Antwort erhalten. Die anderen Eltern scheine das auch nicht zu interessieren.

Ich verstehe das ja fast. Ich habe nur ein Kind und muss ständig hinterher sein. Das Netz entwickelt sich laufend weiter. Die Einstellungen, die gestern noch Sicherheit boten, können morgen schon Inhalte zulassen, die wir nicht für unser Kind wollen.

Ein Beispiel: Mein Sohn hört viel Musik. Über Spotify durfte er das bis vor kurzem über unseren Familienaccount fast unbegrenzt. Doch seit kurzem gibt es da auch Video-Podcasts. Statt also seine Lieblingssongs zu hören, hat mein Kind eine Weile lang über Stunden hinweg Videoschrott wie TikTok-Zusammenschnitte (er darf die App nicht auf seinen Geräten nutzen) geschaut, während ich dachte, er ist mit etwas ganz anderem beschäftigt. Wieder muss eine neue Lösung her. Und sie wird nicht durch pädagogische Appelle und aufklärende Gespräche, derer ich trotz allem nicht müde werde, herbeizuführen sein.

Kinder und Jugendliche interessieren sich für Sex und Videospiele

Dass die Kinder in dem Alter ein großes Interesse an Videospielen oder sexuellen Inhalten haben, ist keine Überraschung. Fast alle Eltern, mit denen ich spreche, berichten das so oder sehr ähnlich.

Ich werde meinen Sohn, auch wenn es anstrengend ist, schon irgendwie durch die nächsten Jahre begleiten, ohne dass er verroht. Wir als Familie bleiben da dran. Auch wenn er gelegentlich Schlupflöcher finden wird. Ich frage mich jedoch, wie das in Familien läuft, wo die Eltern da nicht hinterher sind, nicht hinterher sein können.

Vermutlich gibt es eine ganze Menge Grundschüler, die vor ungesicherten Geräten sitzen und sich nicht kindgerechte Inhalte reinziehen. Wenn aber Oberschüler tatsächlich von Schulen ausgegebene Tablets nutzen, die zulassen, dass sie sich volldröhnen mit allem, was das Netz im Angebot hat, ist das nicht weniger als ein Skandal.

* Der Name der Autorin wurde zum Schutz der Privatsphäre ihres Sohnes auf ihren Wunsch hin geändert. Die wirklichen Namen sind der Redaktion bekannt.

Tablets an Schulen in Berlin

Beitrag von Annemarie Hoffmann*

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