Vor 90 Jahren übernahmen die Nazis die Macht in Deutschland. Aus diesem Anlass hat ein Bündnis in Brandenburg acht Audio-Spaziergänge herausgegeben, mit denen Interessierte den Anfängen des Nationalsozialismus buchstäblich nachgehen können. Von Lisa Steger
Den Audiowalk für den Selbstversuch auf mein Handy herunterzuladen, ist kein Problem. Die Rundgänge dauern 30 bis 60 Minuten, mit Stöpseln im Ohr laufe ich los.
Die erste der acht Neuruppiner Stationen ist der Bernhard-Brasch-Platz, Schauplatz eines Fackelzugs. "Am Abend des 31. Januar 1933 marschieren 450 SA-Leute und 350 Mitglieder des Stahlhelms mit Fackeln und Fahnen durch Neuruppin", tönt es aus den Kopfhörern. Rund 1.000 Menschen seien mitgelaufen und hätten das Deutschland-Lied gesungen – nur einen Tag nach der Machtübernahme.
Weiter geht es zum Rathaus, in dem die NSDAP bereits in den ersten Monaten ihrer Herrschaft unliebsame Kommunalpolitiker austauschte, über den damals in Adolf-Hitler-Platz umbenannten Schulplatz zu einem unscheinbaren Haus in der Virchowstraße. Es ist das ehemalige Kreisarbeitsamt. "Am 9. März meldete die 'Märkische Zeitung', dass 20 SA-Männer und 20 Stahlhelm-Anhänger zum Amt marschiert seien und verlangt hätten, die Nazi-Fahne zu hissen", informiert der Audiowalk. Sie setzten sich durch. Angefeuert worden seien die Männer von einer begeisterten Menschenmenge.
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Viele Neuruppiner unterstützten die Nationalsozialisten
Die heutige Karl-Marx-Straße in Neuruppin war schon in den 1930er Jahren eine Einkaufsstraße. Und weil es dort viele jüdische Geschäfte gab, führt der Audiowalk hier entlang. "Große Mengen Neugieriger verfolgten die Aufstellung der Boykottposten", wird die Lokalzeitung aus dem April 1933 zitiert. "Die Boykottbewegung setzt um Punkt 10 Uhr ein." Doch die meisten Geschäfte seien bereits geschlossen gewesen. Die von den Nationalsozialisten ausgegebene Parole "Deutsche, wehrt Euch. Kauft nicht bei Juden." hatte offenbar verfangen. Diskussionen habe es nicht gegeben, hieß es seinerzeit in der Lokalzeitung.
Die letzte Station der kleinen Wanderung ist eine ehemalige Brauerei in der Wittstocker Allee. Am 22. Juni 1933 wurden 45 Menschen aus Neuruppin und Umgebung dorthin gebracht, die Nazis hatten die Brauerei zu einem Lager umfunktioniert. Die 45 waren Mitglieder von SPD und KPD. "Die SA verhört und foltert die Verhafteten dort", höre ich. "Ein bekanntes Foto zeigt, wie ein führender Kommunist gefesselt durch die Straßen Neuruppins geführt wird", so der Audiowalk weiter. Ein anderer KPD-Mann sei im November 1933 in diesem Lager "an den Folgen der Haft gestorben".
Das Konzentrationslager Neuruppin liegt mitten in der Stadt in einem Wohngebiet. Beklemmender Eindruck nach der etwa einstündigen Wanderung: Die Nazis haben auch in der Kleinstadt Neuruppin sehr schnell Fuß gefasst, innerhalb von Tagen und Wochen. Und sie mussten ihre Untaten nicht verstecken, viele Neuruppiner unterstützten sie.
Audiowalk
Brandenburg 33 - Erinnern vor Ort
Alle Zielgruppen sollen mit dem Audiowalk angesprochen werden
Ähnlich war das auch in anderen Städten in Brandenburg. So erfährt man in den kleinen Hörspielen von "Brandenburg 33" auch, dass in Brandenburg an der Havel die SA Bücher verbrannte, dass Fehrbellin 1933 Adolf Hitler und Joseph Goebbels als Ehrengäste begrüßte und dass in Cottbus der erste Propagandafilm der SA gezeigt wurde.
Mein persönliches Fazit: Die Produktion ist gut recherchiert. Bei der Umsetzung ist jedoch noch Luft nach oben. Atemlos rasen die Sprecherin und der Sprecher durch den Text, die Betonung stimmt nicht immer – beides kann beim Zuhören eine Herausforderung sein.
Doch ganz bewusst hat sich das Bündnis, ein Zusammenschluss von Vereinen und Bürgerinitiativen, für acht kleine Hörspiele entschieden und gegen eine Broschüre. "Uns ging es darum, Geschichte erlebbar zu machen, die Leute sollen auch sehen, was um sie herum passiert", sagt Frauke Büttner vom Aktionsbündnis. "Und sie sollten nicht gleichzeitig in die Broschüre gucken müssen." Gedacht ist das Angebot für alle Geschichtsinteressierten, auch für Schulklassen.