Brandenburgs koloniale Vergangenheit in Westafrika
Anfang des 18. Jahrhunderts verkaufen die Preußen ihre Kolonie in Westafrika. Groß Friedrichsburg wirft nicht die erhofften Gewinne ab. Nur sagt niemand dem wichtigsten afrikanischen Partner Bescheid. John Kuny greift zur Muskete. Von Oliver Noffke
Von den Kriegsschiffen lässt sich John Kuny nicht einschüchtern. Er will Groß Friedrichsburg nicht räumen. Schließlich hat der König von Preußen befohlen, dass sich Kuny um die Festung kümmern soll. Die Niederländische Westindien-Kompanie möchte er nur als neue Besitzerin akzeptieren, wenn ihm der Verkauf von einem Preußen bestätigt wird. Allerdings ist der letzte Kommandant der Kolonie schon vor Jahren Richtung Berlin abgereist.
Verhandeln will Kuny auch nicht. Die Aufforderung, an Bord des größten der drei Schiffe zu gehen, schlägt er aus. Also setzen die Niederländer auf Gewalt. 50 Marinesoldaten gehen an Land. Sie sollen die Festung erstürmen. Sie kommen schnell voran. Kein Afrikaner stellt sich ihnen in den Weg. Schlafen die Bewohner etwa? Ist das Fort vielleicht verlassen?
Als den Niederländern klar wird, dass sie in einen Hinterhalt laufen, ist es zu spät. 1.800 afrikanische Kämpfer warten auf sie. Viele sind mit Musketen bewaffnet. Nur der Hauptmann des Trupps soll es zurück auf eines der Schiffe geschafft haben, aus drei Wunden blutend. So soll die Nacht geendet haben, als die Niederländer im Jahr 1720 bei Poqueso (heute Princess Town in Ghana) am wichtigsten Verbündeten von Brandenburg-Preußen in Westafrika scheiterten.
In der Literatur sind viele Versionen seines Namens zu finden: Jan Conny, Johan Kuny, Johannes Conrad, Jean Cunny, January Konny oder Nana Konneh, um nur einige zu nennen. Die Schreibweise John Kuny kommt seiner Aussprache im heutigen Ghana besonders nah. Aber auch sie basiert wie die anderen wohl auf einer Verballhornung seines wahren, aber in Vergessenheit geratenen Namens.
Überhaupt scheint vieles, was wir heute über ihn zu wissen glauben, Legenden zu entspringen. Dass seine Privatarmee 20.000 Mann umfasste, ist wahrscheinlich eine starke Übertreibung seiner Zeitgenossen. Es zeigt aber sehr wohl, welchen Eindruck er hinterlassen hat. Er muss über erhebliche militärische Ressourcen verfügt haben. Anders hätte sein weit verzweigtes Netz aus Karawanen nicht geschützt werden können.
Als Junge soll er am Bau des Forts Groß Friedrichsburg beteiligt gewesen sein und so Deutsch gelernt haben. Später steigt er zum gewieften Großhändler auf. "John Kuny hat beide Seiten bespielt", sagt Edward Adum Nyarko von der University of Ghana in Accra. Der Archäologe hat seine Doktorarbeit über die Geschichte von Fort Groß Friedrichsburg geschrieben. "Er war ein Mittelmann auch für Händler aus dem Hinterland, die Gold oder Sklaven verkaufen wollten", sagt er. "Ich glaube, ihm hat es gefallen, dass die Europäer da waren. Für ihn hat das Geld bedeutet."
Sklaverei ist ein uraltes Übel. Doch mit der Ankunft der Europäer in Afrika änderte sich etwas grundlegend, schreibt der Antirassismus-Forscher Ibram X. Kendi in seinem Buch "How to be an Antiracist". Vorher hätten muslimische und christliche Sklavenfänger keinen Unterschied zwischen Afrikanern, Arabern oder Europäern gemacht. Das änderte sich Mitte des 15. Jahrhunderts unter dem Kommando von Prinz Heinrich, dem vierten Sohn des portugiesischen Königs Johann I., so Kendi. "Mit dem Beginn der modernen Welt begannen die Portugiesen ausschließlich afrikanische Körper zu handeln." Die Geschichte rassistischer Politik beginne demnach mit Heinrich dem Seefahrer.
Ohne afrikanische Anführer wie Kuny wäre der transatlantische Sklavenhandel lange Zeit wohl nur schwer möglich gewesen. Viele Europäer waren schlicht nicht in der Lage, Menschen in großer Anzahl zu erbeuten. Stattdessen bauten sie Handelsbeziehungen zu den Völkern an der Küste auf, von denen sie Sklaven abkauften. So auch die Brandenburger, die nach ihrer Ankunft mit den Menschen aus Poqueso einen Vertrag aushandelten.
"In dem Abkommen wurde unter anderem festgelegt, dass aus der Umgebung keine Menschen als Sklaven verkauft werden durften", so Archäologe Nyarko. "Die lokale Bevölkerung war über die Ankunft der Brandenburger ziemlich erfreut", sagt er. "Sie hatten eine Reihe von Niederlagen gegen benachbarte Völker verkraften müssen." Der Vertrag mit den Brandenburgern sei für Poqueso demnach eine Art Lebensversicherung gewesen.
Neben den Niederländern und Brandenburgern, hatten insbesondere auch die Engländer und Portugiesen am Golf von Guinea Festungen errichtet, die Schweden und Dänen ebenso. Das Geschäft mit den Sklaven war für die Europäer und ihre Vertragspartner oftmals sehr einträglich. Doch Leid und Elend, die damit einher gingen, führten in der ganzen Region immer wieder zu Spannungen und Gewalt.
Bereits Otto Friedrich von der Groeben erwähnt einen "Jan Conny" in seinen Reiseaufzeichnungen. Unter seinem Kommando erreichten 1682 zwei Schiffe der kurbrandenburgischen Marine Westafrika, er gründet im Namen des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm die Kolonie Groß Friedrichsburg sowie das gleichnamige Fort.
Doch erst viel später tauche Kuny öfter in Akten und Berichten auf, schreibt der Berliner Historiker Ulrich van der Heyden in seinem Buch "Rote Adler an Afrikas Küste". 1701 wurde Kuny demnach für einen Gewaltausbruch verantwortlich gemacht, bei dem der Kommandant des Forts ertränkt wurde. Mehrere seiner Männer verloren ebenfalls ihr Leben.
Zu jener Zeit herrschten in der preußischen Kolonie desolate Zustände: Die Verwaltung war unfähig, die Führung korrupt, die Truppen fühlten sich von der Heimat nicht ausreichend unterstützt. Ob wirklich Kuny der Aggressor bei diesem Ereignis gewesen war, wie aus Berichten der Preußen hervorgeht, oder die Gewalt doch von der kolonialen Truppe ausging, ist heute schwer zu beurteilen.
Wenn er wollte, konnte Kuny den Europäern das Leben aber auch auf andere Weise erschweren. Aus dem Brief eines Assistenten der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie von 1711 geht hervor, wie der "eigene Makler" des Kommandanten Groß Friedrichsburg vom Handel abschneiden wollte. Kuny soll Asante-Oberhäupter aus dem Landesinneren darum gebeten haben, keine Kaufleute mehr zu den Preußen zu schicken, heißt es in dem Schreiben. Offenbar hielt Kuny den Kommandanten, ein Säufer, für unfähig.
Kuny macht was er will. Er lässt Schiffe plündern, zettelt Schlachten an. Nachdem ein Streit eskaliert, greift er das nahegelegene Fort Dix Cove an. Am Ende fliegt der dortigen Besatzung das Pulvermagazin um die Ohren. In den Dörfern kommen die Aktionen gut an. "Mit der lokalen Bevölkerung hatte er keine Probleme, das waren seine Verbündeten", sagt Edward Adum Nyarko. "In Krisensituationen konnte er sich an sie wenden und auf ihre Unterstützung zählen."
Unterdessen versiegt in Preußen das Interesse an der Kolonie im fernen Afrika endgültig. Im Jahr 1717 wird die Festung verlassen. Im September bittet "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. Kuny die Stellung zu halten, drei Monate später wird die Kolonie verkauft. Für die Afrikaner ergibt das keinen Sinn: Aus ihrer Sicht erlöscht mit dem Abzug der Preußen auch ihr Besitzanspruch. Als würde ein Pachtvertrag aufgegeben.
Als das Deutsche Kaiserreich im späten 19. Jahrhundert beschließt, Land in Afrika zu besetzen, taucht der Name "Jan Conny" wieder in der Presse auf. Von einem "schwarzen Preußen" ist zu lesen, der den Besitz eines deutschen Königs verteidigt. Sein Leben wird umgedeutet und als Beweis für die eigene Überlegenheit angeführt. Eine Kolonie unter deutscher Führung sei für die indigene Bevölkerung schließlich ein Segen, ist oftmals der Tenor.
Stattdessen hinterlassen die Truppen des Kaiser im heutigen Tansania wortwörtlich verbrannte Erde, Hunderttausende verhungern; im heutigen Namibia kommt es zu einem brutalen Vernichtungskrieg gegen die Nama und Herero; in der Kolonie Togoland, die auch einen wesentlichen Teil des heutigen Ghanas umfasst, wird geplündert und geraubt.
Mehrfach versuchen die Niederländer, ihre Besitzansprüche durchzusetzen, doch erst 1724 gelingt es ihnen. Aus Groß Friedrichsburg wird Groot Frederiksborg. Es ist nicht ganz klar warum, aber Kuny hat zu diesem Zeitpunkt die Küstenregion verlassen und ist Richtung Norden gezogen. Seine Spur verschwindet in den Tiefen des Dschungels. Zurück bleibt seine Legende.
Sendung: Radioeins, 29.12.2022, 18.40 Uhr
Beitrag von Oliver Noffke
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