Schwangerschaftsabbruch per Telemedizin
Ungewollt schwanger zu sein ist keine leichte Situation. Manche Frauen entscheiden sich für einen Abbruch – der auch medikamentös möglich ist. Allerdings stoßen sie dabei auf allerlei Hindernisse, wie Alexandra P. erfuhr. Von Sandra Löhr
Im Dezember 2022 wird Alexandra P. * (Name geändert) von ständiger Übelkeit und bleierner Müdigkeit geplagt. Wenig später die Gewissheit: Der Test ist positiv, sie ist trotz Verhütung schwanger geworden. Ungewollt und ungeplant.
Für die Mutter von zwei kleinen Kindern und ihren Mann ist es keine leichte Situation. Nach reiflicher Überlegung entscheiden sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch.
Alexandra P. wohnt in Thüringen und ist selbst Ärztin. Nach eingehender Recherche ist sie sicher: Sie will keine operative Absaugung mit Narkose, sondern einen möglichst frühen Schwangerschaftsabbruch mit Medikamenten. Die WHO empfiehlt die Methode als sehr sicher. Sie wird in anderen europäischen Ländern wie England oder Frankreich überwiegend angewandt. In Skandinavien erfolgen über 90 Prozent aller Abbrüche medikamentös.
Nach der Pflichtberatung und der dreitägigen Wartefrist macht sich Alexandra P. also auf die Suche nach einer Praxis. Doch ihre Gynäkologin und die meisten Praxen in ihrer Umgebung bieten entweder überhaupt keine Abbrüche an oder nur operative Methoden.
In der nächstgelegenen Praxis mit der medikamentösen Methode heißt es recht schroff, es gebe Lieferschwierigkeiten bei den Medikamenten. Eine andere Praxis nimmt nur Patientinnen bis zur 7. Schwangerschaftswoche an, obwohl die medikamentöse Methode bis zur 9. Woche möglich und erlaubt ist. Da ist Alexandra P. genau zwei Tage über der gesetzten Frist der Praxis.
Die dritte Praxis ist 80 Kilometer entfernt - für berufstätige Eltern mit kleinen Kindern eine logistische Herausforderung, da es nicht mit nur einem Termin in der Praxis getan ist. "Ich hätte nie gedacht, dass man in Deutschland in so einer Situation auf so viele Widerstände stößt", sagt Alexandra P.
Schließlich erfährt sie durch eine Pro-Familia-Beraterin von der Möglichkeit eines telemedizinisch begleiteten medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs bei der Berliner Frauenärztin Dr. Jana Maeffert.
Bei einem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch werden Medikamente eingenommen, die dafür sorgen, dass das Schwangerschaftsgewebe abblutet.
Dieser Vorgang kann in einer Praxis geschehen, aber auch zu Hause und telemedizinisch begleitet durchgeführt werden. Die Medikamente werden per Post verschickt, sobald alle Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehört die Vorlage eines Ultraschall-Bildes, der Bescheinigung über die gesetzlich vorgeschriebene Beratung und der eingehaltenen Wartefrist. Außerdem wird ein Vorgespräch per Video mit der Ärztin geführt.
Während eines zweiten Videogesprächs nimmt die Schwangere dann das Medikament, das die Schwangerschaft beendet. Das zweite Medikament nimmt sie zwei Tage später ein - es löst die Blutung aus. Über eine App sind die Patientinnen anschließend mit Jana Maeffert und ihren Kolleg*innen in der Praxis verbunden. Falls es Komplikationen gibt, können sie über einen Chat Fragen stellen, für die Nacht gibt es eine Notrufnummer.
Bei der anschließenden Blutungsphase sollten der Partner oder eine andere Begleitperson dabei sein. Denn bei der medikamentösen Methode werde eine Fehlgeburt ausgelöst, sagt Jana Maeffert: "Das ist mit deutlich mehr Schmerzen verbunden als bei einem operativen Abbruch. Die Kontraktionen der Gebärmutter werden viel stärker erlebt."
Das Projekt "Schwangerschaftsabbruch zu Hause" von Jana Maeffert und ihren Kolleginnen vom Berliner Familienplanungszentrum Balance ging Ende 2020 an den Start. Es entstand in Kooperation mit "Doctors for choice", mit Unterstützung von Pro Familia und sollte während der Corona-Zeit ungewollt Schwangeren helfen, die wegen einer Quarantäne keine Praxis aufsuchen konnten. Vorbild war England, wo die Telemedizin während der Pandemie relativ rasch auch in diesem Bereich eingeführt wurde.
Schon bald wurde klar, dass das Angebot vor allem einen regionalen Versorgungsmangel offenbart: "Die Frauen riefen nicht wegen der Pandemie an - sondern weil es da, wo sie wohnten, sowieso keine Praxen gibt", sagt Maeffert. Die Nachfrage reiße auch jetzt nicht ab.
Überwiegend melden sich Frauen aus anderen Bundesländern, meist ländlichen Gegenden - wie Alexandra P. Denn die medizinische Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen ist in Deutschland regional sehr unterschiedlich.
Besonders auf dem Land – und hier vor allem in Süddeutschland - ist das Angebot sehr begrenzt. In den vergangenen Jahren ist die Anzahl der Praxen, die Abbrüche durchführen, um mehr als 40 Prozent gesunken: Viele ältere Frauenärzt:innen sind in Rente gegangen. Und da der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland noch immer im Strafgesetzbuch steht, müssen sich Praxen oft mit komplizierten Vorgaben auseinandersetzen. Dazu kommt der verstärkte Druck von Abtreibungsgegner:innen.
Ungewollt Schwangere müssen also teilweise sehr weite Wege auf sich nehmen, um eine gute medizinische Versorgung bei einem Abbruch zu bekommen. Und weil in Deutschland das Zeitfenster bei einer ungewollten Schwangerschaft durch Pflichtberatung und Wartefrist eng ist, wird es für viele Frauen dann sehr knapp, einen Termin in einer der wenigen Praxen zu bekommen, die die medikamentöse Methode anbieten.
Mehr als 300 Abbrüche hat Jana Maeffert mit ihren Kolleg:innen mittlerweile über die Telemedizin von Berlin aus betreut. Sie ist immer wieder betroffen, was ihre Patientinnen ihr erzählen: "Die sind teilweise so voller Sorge, dass das nicht mehr klappt. Die sind so erleichtert, dass wir irgendwie die Möglichkeit bieten, diese Medikamente zu Hause anzuwenden."
Wichtig sei vor allem, dass die ungewollt Schwangeren die für sie beste Methode wählen können, sagt Maeffert. Deshalb könne die Telemedizin auch nicht die einzige Lösung sein: Es brauche mehr Praxen vor Ort, die Frauen in dieser schwierigen Situation schnell helfen könnten.
Das findet auch Thoralf Fricke von Pro Familia in Bayern, der täglich ungewollt Schwangere berät: "Bei allem Positiven, das die Telemedizin darstellt: Sie kann nicht die flächendeckende Versorgung ersetzen, sondern sie höchstens ergänzen." Denn die telemedizinische Variante sei nicht für alle Betroffenen geeignet, sagt Fricke.
Für Alexandra P. war es die richtige Wahl. Sie stand die Prozedur zu Hause an einem Vormittag mit ihrem Mann durch. Schon am nächsten Tag ging es ihr wieder so gut, dass sie zur Arbeit gehen und sich danach um ihre Kinder kümmern konnte. Sie habe sich auch nicht allein gefühlt, obwohl sie die Ärztin nur per Videocall gesehen habe, sagt sie: "Ich bin wirklich sehr dankbar für diese Möglichkeit."
Beitrag von Sandra Löhr
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