Geflüchtete einstellen
Fast eine Million Menschen sind nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet, viele von ihnen wollen hier arbeiten. Doch das ist nicht so einfach. Von Franziska Ritter
Vitali Biriuk war gerade mit seiner Frau zum Snowboardfahren in Georgien unterwegs, als ihn die Nachricht vom Kriegsausbruch in der Ukraine überraschte. Die beiden flüchteten sofort mit ihrem Reisegepäck nach Deutschland, ließen alles andere in ihrem Heimatland zurück. Doch der Neustart in Berlin war härter als gedacht, berichtet der 39-jährige, der aus Sewastopol stammt und nach der Annexion der Krim 2014 nach Kiew gezogen war.
In Deutschland angekommen, mussten die beiden eine Wohnung finden und parallel alle nötigen Dokumente auf den Ämtern besorgen, damit sie Geld verdienen durften. Im April 2022 begann Vitali auf Probe zu arbeiten, im Juni wurde daraus ein Mini-Job. Seit September hat er eine Anstellung in Vollzeit.
"Es ist enorm, wie viele Dokumente man in der richtigen Reihenfolge und in bestimmten Zeiträumen besorgen muss, um Geflüchtete aus der Ukraine einzustellen", bestätigt Wachtang Budagaschwili. Der Berliner, der in Russland aufgewachsen und mit einer gebürtigen Ukrainerin verheiratet ist, hat Biriuk und sechs weitere Männer aus der Ukraine in seinem Unternehmen angestellt – auch wenn Monate vergingen, bis von der Meldebestätigung bis zur Sozialversicherungsnummer alle nötigen Informationen beisammen waren.
Heatle, so der Name seines Startups, entwickelt einen induktiven Tauchsieder – eine Alternative zum Wasserkocher. Seit Herbst vergangenen Jahres läuft die Produktion auf Hochtouren. In der Montage sind Fähigkeiten gefragt, die die Ukrainer mitbringen: Sie können löten, schweißen, mit Computern umgehen. Aber vor allem: "Wenn ich im Bewerbungsgespräch mit diesen Leuten sitze, geht es nicht darum, wie viele Urlaubstage sie bekommen und ob sie im Homeoffice machen können. Die Jungs arbeiten freiwillig am Wochenende, weil sie sagen, dann bekomme ich mehr Geld. Das schätzen wir", so Budagaschwili.
Der Firmengründer ist mit seiner Erfahrung nicht allein. Der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller [vbki.de] hat gemeinsam mit der IHK Berlin im vergangenen Jahr eine Umfrage zur Beschäftigung von Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund durchgeführt. Ergebnis: Jedes zweite der 200 befragten Unternehmen berichtet von sehr guten Erfahrungen. 61 Prozent würden gerne mehr Bewerbungen von Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte bekommen und 47 Prozent klagen über mangelnde Unterstützung seitens der Behörden.
Und wie viele Ukrainer haben in Berlin einen Job gefunden? Laut Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit [bib.bund.de] hatten im November 2022 mehr als 11.000 Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit in Berlin eine sozialversicherungspflichtige Anstellung. Dazu kommen 1.400 Mini-Jobber. Allerdings zählen dazu nicht nur Ukrainer, die wegen des Kriegs aus ihrer Heimat geflüchtet sind.
Budagaschwili, der Berliner mit den russischen Wurzeln, hat inzwischen acht Mitarbeiter aus der Ukraine in seinem Unternehmen angestellt. Sie stellen gut die Hälfte seines Teams. "Da ich russisch und ukrainisch spreche, habe ich mich selbst um die Formalitäten gekümmert – auch wenn das für mich als Geschäftsführer sehr anstrengend war, weil ich natürlich andere Aufgaben habe als hier Papieren nachzulaufen", sagt er.
Immerhin gab es finanzielle Unterstützung: den Eingliederungszuschuss, den Arbeitgeber auch für geflüchtete Menschen beantragen können. Wird er gewährt, schießen Jobcenter beziehungsweise Arbeitsagentur bis zu 12 Monate lang maximal 50 Prozent des Arbeitsentgelts zu.
Kseniia Riabokon, die mit ihrem 15-jährigen Sohn vor dem Krieg aus Kiew geflohen ist, gehört ganz frisch zum Team von Heatle. Sie ist eine der wenigen, die englisch spricht und unterstützt das Startup bei administrativen und operativen Aufgaben. Auch sie wundert sich über die deutsche Bürokratie. "In der Ukraine ist die Verwaltung digitalisiert. Wenn ich etwas brauche, schicke ich eine Anfrage über mein Smartphone und bekomme binnen Minuten eine Antwort. Hier dauert das Monate", berichtet sie.
Bevor sie zu dem Startup kam, hatte sie sich vergeblich bei einigen Unternehmen in Berlin beworben. "Es ist sehr schwierig hier einen Job zu finden, selbst, wenn du Englisch sprichst. Alle wollen deutsche Sprachkenntnisse", berichtet Riabokon. Umso dankbarer ist sie für ihren Job in dem Startup von Wachtang Budagaschwili. Nach der Arbeit besucht sie einen Deutschkurs: "Jetzt bin ich mit beiden Füßen in Deutschland angekommen und kann zuversichtlich in meine Zukunft blicken."
Sendung: rbb|24 inforadio, 2.2.2023, 14:35 Uhr
Beitrag von Franziska Ritter
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