"Rasanter Anstieg" von Anfeindungen
Forscherinnen und Forscher, die an Themen wie Corona oder Klima arbeiten, werden immer häufiger angefeindet - auch in Berlin und Brandenburg. Jetzt soll es eine bundesweite Not-Anlaufstelle geben. Von Torsten Mandalka
Wenn Wissenschaftlerinnen wie die Berliner Professorin Claudia Kemfert oder die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx Beiträge in den sozialen Medien posten, sind die sogenannten Wutbürger schnell auf dem Plan: Beschimpfungen, die Forschenden seien "Systemhuren", "Dummschwätzer" oder "Faschisten", kommen meist unmittelbar. Es folgen Drohungen, die Forscher würden noch erleben, was "nicht vergessen und nicht verzeihen" bedeute. Oder "Nürnberg 2.0" stehe unmittelbar bevor. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird auch immer wieder unterstellt, käuflich zu sein und ihre Botschaften beispielsweise zugunsten der Pharmaindustrie oder bestimmter politischer Interessen zu verbreiten.
Kürzlich bezeichnete sogar die Brandenburger CDU-Politikerin Saskia Ludwig den international bekannten Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber auf Twitter als "Ökofaschisten". Er hatte zuvor in einer Dokumentation seinen alten Vorschlag wiederholt, den CO2 Verbrauch jedes einzelnen Bürgers zu bemessen und zu bepreisen. "Ökofaschismus ist ein neuer Eintrag in meiner Sammlung", sagt Schellnhuber dazu. Eigentlich würde er eine solche Anfeindung gar nicht ernst nehmen - "aber wenn jemand, der gewählter Volksvertreter ist, mich quasi zum Abschuss freigibt, wird es wirklich gefährlich."
Regelmäßig trifft es diejenigen, die versuchen, ihre Wissenschaft einer breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen. Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité stand mit seiner großen öffentlichen Präsenz in der Pandemie-Zeit geradezu im Auge eines "Wutbürger"-Orkans. Die Berliner Staatsanwaltschaft leitete in den vergangenen drei Jahren Dutzende Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Anfeindungen gegen Drosten und den scheidenden RKI-Chef Lothar Wieler ein - ein Beleg für die aufgeheizte Stimmung gerade während der Corona-Pandemie.
Zwei internationale Studien - veröffentlicht in den Magazinen "Nature" im Oktober 2021 und "Science" im März 2022 - haben nachgewiesen, dass sich weltweit ein hoher Prozentsatz von Corona-Forscherinnen und -Forschern wegen ihrer Arbeit bedroht fühlt. Auch deutsche Wissenschaftler:innen wurden für diese Studien befragt, allerdings fehlt eine nationale Auswertung.
Aus der "Science"-Studie geht hervor, dass 38 Prozent der befragten 9.585 Corona-Forscher:innen Anfeindungen erfahren haben. Für "Nature" wurden mehr als 300 Forschende befragt: Danach machten mehr als Zwei Drittel negative Erfahrungen, nachdem sie in den Medien präsent waren. 15 Prozent bekamen Todesdrohungen, 22 Prozent der Befragten wurde physische oder sexuelle Gewalt angedroht.
Rund ein Dutzend Wissenschaftler:innen aus Berlin und Brandenburg berichten im Gespräch mit rbb24 Recherche von Pöbeleien auf der Straße, von bedrohlichen Mails und Briefen. In einem Fall wurde ein Schreiben mit einem weißen Pulver verschickt, in einem anderen klebten Exkremente im Umschlag.
Dabei unterscheiden sich die Anfeindungen von Frauen häufig grundsätzlich von denen, die Männern gelten. "Da, wo Männer sehr oft inhaltlich angegriffen werden, werden Frauen sehr schnell auf ihr Äußeres reduziert", sagt die Juristin Anna Wegscheider von der Hilfsorganisation Hate Aid. "Ihr Geschlecht wird thematisiert. Sie werden herabgewürdigt und die Beleidigungen und Angriffe sind häufig sexualisiert." Die sexistischen Anfeindungen reichten vom Vorwurf der "Pummeligkeit" bis hin zu Vergewaltigungsfantasien und dem zynischen Hinweis: "Ich weiß, wo Deine Kinder zur Schule gehen."
Stefan Rahmstorf, Professor für Ozeanphysik am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), kennt Anfeindungen schon seit Jahren: "Ich versuche es einfach professionell zu nehmen. Und ich weiß ja, dass es nicht gegen mich persönlich geht, sondern denen gefallen die Ergebnisse der Klimaforschung nicht."
Die Umweltökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin verantwortet zahlreiche Studien, die belegen, dass wirksamer Klimaschutz nur mit einem Abschied von den fossilen Energien möglich ist. Sie hat festgestellt, dass es sich bei den zunehmenden Hass-Posts gegen sie um regelrechte Kampagnen handelt, "auch ausgelöst durch die fossile Industrie, die eben sehr gerne ihre Geschäftsmodelle verlängert wissen sehen will. Und da vermuten wir gezielte PR-Kampagnen, die gerade mich im Blick haben, um gezielte Denunziationen und Diffamierungen zu machen." Ziel sei es, sie einzuschüchtern, ihr die Kompetenz abzusprechen, vermutet sie. "Aber ich verstumme nicht, im Gegenteil, mich spornt das eher noch an, noch lauter und deutlicher zu werden."
Die These, dass es sich bei den Anfeindungen um orchestrierte Kampagnen handeln könnte, bestätigt auch der Extremismusforscher Gideon Botsch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam: "Es gibt da Netzwerke, die das organisieren", sagt er. "Wir konnten deutlich beobachten, dass hier über bestimmte Internetplattformen gezielt dazu aufgerufen wurde, gegen Wissenschaftlerinnen vorzugehen, und dass hier auch Tipps und Tricks verbreitet wurden, wie man das machen kann." Die Tendenz sei gefährlich, betont Botsch, und verweist auch auf Bedrohungen, die Kommunalpolitikerinnen und -politiker seit einiger Zeit massiv treffen. Der Mord an Walter Lübcke oder an einem jungen Studenten, der an einer Tankstelle in Idar-Oberstein jobbte, seien die gewalttätigen Auswüchse dieser Atmosphäre: "Sie müssen ja nur eine kleine Zahl von Personen haben, die sich so weit radikalisieren, dass sie zum Handeln übergehen", so Botsch. Aber er will auch nicht dramatisieren: Grundsätzlich sei Deutschland ein wissenschaftsfreundliches Land, sagt er.
Der Bundesverband Hochschulkommunikation in Deutschland hat das Problem erkannt. Nachdem dort ein "rasanter Anstieg" von Anfragen und Fallberichten registriert wurde, soll noch im Frühjahr das Projekt "Scicomm-Support" starten - mit eigener Webseite, einem Rund-um-die-Uhr-Krisentelefon und einer bundesweiten zentralen Anlaufstelle, wenn es um psychologische, juristische und kommunikationsstrategische Fragen betroffener Wissenschaftler:innen geht. Unterlegt ist das Ganze mit einer mittleren sechsstelligen Finanzierungssumme, die vom Verband und einigen Stiftungen kommen soll.
Julia Wandt, im Rektorat der Universität Freiburg zuständig für Kommunikationsfragen, hat das Projekt mitinitiiert. "Das Schlimmste ist, wenn sich die Wissenschaftler:innen zurückziehen aus der Öffentlichkeit", sagt sie. Wenn am Ende - statt einer faktenbasierten Diskussion, für die die Wissenschaft die Grundlagen liefert - nur noch Meinungen und Fake-News den Diskurs bestimmen, dann stehe es schlecht um die Grundwerte der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit. Und um die Demokratie.
Sendung: Antenne Brandenburg, 08.02.2023, 07:30 Uhr
Beitrag von Torsten Mandalka
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