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Räumung von Container-Dorf
Treptow-Köpenick will zwei nicht genehmigte Container-Siedlungen räumen lassen. Der Bezirk spricht von unhaltbaren Zuständen. Doch die Bewohner haben Angst, ihr bisschen Zuhause zu verlieren. Von Philip Barnstorf
Wenige Meter vor den Fenstern der Wohncontainer rollen S-Bahnen durch den Regen. Hier am Bahnhof Berlin-Grünau stehen rund 30 Container und einige Wohnwagen direkt neben den Gleisen. Etwa 120 Menschen leben dort nach Angaben des Bezirks Treptow-Köpenick, einige schon seit mehreren Jahren. Aber nun will der Bezirk die Siedlung räumen lassen - gemeinsam mit einer weiteren in der Moosstraße in Niederschöneweide. Was steckt hinter den Plänen? Und wie geht es den Bewohnern der Containerdörfer damit?
"Keene Zeit!", "Lasst mich in Ruhe!": Einige Bewohner reagieren unwirsch auf die Frage des rbb, wie sie die Bezirkspläne finden. Zwei junge Männer, die gerade in Trainingsanzug und Badeschlappen durch den Regen zum Duschcontainer huschen, sprechen weder Deutsch noch Englisch, weshalb kein Interview zustande kommt. "Die beiden kommen aus Rumänien", sagt der Bewohner des Containers nebenan. Er heißt Frank Setter und ist bereit mit dem rbb zu reden.
Vor anderthalb Jahren habe er sich von seiner Frau getrennt und deshalb aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen müssen, schildert Setter seine Lage. "Ich habe mich damals bei diversen Wohnungsbaugesellschaften und privaten Vermietern beworben", so der 50-Jährige. "Aber die wollten alle eine Schufa-Auskunft und wegen einiger unglücklicher Entscheidungen habe ich da leider einen Eintrag."
Dann entdeckte Setter, der derzeit auf Jobsuche ist, auf Ebay-Kleinanzeigen die annoncierten Container in Grünau. Eine Schufa-Auskunft verlangen die Vermieter nicht, wie aus Anzeigen ersichtlich ist. Jetzt lebt Setter auf knapp 20 Quadratmetern im Container. Die gut 500 Euro Miete zahlt das Jobcenter. Dusche und Bad teilt Setter sich nach eigener Aussage mit rund 15 anderen Bewohnern.
Inzwischen hat er sich neben den S-Bahngleisen eingerichtet. Zwei Minipapageien flattern aufgeregt in ihrem Käfig hin und her, als Setter ihren Futtertrog auffüllt. An der Wand hängt ein Bildschirm, auf dem winzigen Schreibtisch steht eine Spielkonsole.
Einige der rund 120 Bewohner der Container-Siedlung hätten "absolut ein Rad ab", sagt Setter. Die seien aggressiv und dealten mit Drogen. Mit anderen habe er sich dagegen angefreundet. Und nicht nur das: "Meine Nachbarin, die Issy, und ich kochen oft zusammen und gucken abends fern. Inzwischen haben wir uns als Paar gefunden." Die beiden würden gerne zusammenziehen, sagt Setter, fänden aber bisher keine Wohnung. Bis dahin halten sie es in den Containern am Bahnhof aus. "Ich kann hier die Tür hinter mir zu machen, und man kann hier leben. Aber Wohlfühlen wäre zu viel gesagt", sagt Setter. Dennoch habe ihn das niederschwellige Wohnangebot vor der Obdachlosigkeit bewahrt.
So geht es auch Filimon Dwen. Er wohnt einige Container weiter und kam nach eigener Aussage vor acht Jahren aus Sierra Leone nach Deutschland. Bis vor einem Jahr lebte der 34-Jährige auf der Straße. Ein Freund wohnte damals schon in einem der Container in Grünau und machte Dwen auf die Siedlung aufmerksam. Dwen zog dann ebenfalls in eine der Wohnboxen. "Das Leben hier ist okay", sagt er.
Seine Tochter und deren Mutter lebten in der Nähe. "Von hier kann ich sie jedes Wochenende besuchen", sagt Dwen, während im Hintergrund nigerianisches Radio über die dortigen Wahlen berichtet. Richtig wohl fühlt sich Dwen aber ebenfalls nicht. "Ich hätte gerne eine richtige Wohnung", sagt er. Auch arbeiten würde er gerne, "zum Beispiel als Putzkraft".
Von der möglichen Räumung durch den Bezirk hat Dwen noch nichts gehört. Sein Nachbar Frank Setter schon: Er nennt sie eine "eine bodenlose Gemeinheit. Einige Leute hier haben Angst, alles zu verlieren", sagt Setter.
Dem Bezirk Treptow-Köpenick ist laut Sprecherin Sabrina Kirmse bekannt, "dass in den betroffenen Siedlungen auch Menschen leben, die auf dem regulären Mietwohnungsmarkt keine Wohnung bekommen konnten". Die Räumung wolle man dennoch vorantreiben, unter anderem weil es in den Containersiedlungen in Grünau und in der Moosstraße an Brandschutzvorkehrungen fehle, sagt Kirmse. Der Bezirk bemängelt außerdem eine "Rattenplage" und "mangelhafte" Sanitäranlagen. Es bestehe "Gefahr für Leib und Leben der Bewohner", heißt es in einer Mitteilung [berlin.de]. Eine Räumungsanordnung des Bezirks hatte das Berliner Verwaltungsgericht kürzlich bestätigt.
Bezirkssprecherin Kirmse verspricht allen rund 150 Bewohnerinnen und Bewohnern aber auch, "dass für sie eine alternative Unterkunft gefunden und weitere Unterstützung angeboten werden wird". Ein solches Angebot haben nach eigenen Angaben weder Setter noch Dwen bisher erhalten. Das werde auch erst kurz vor der Räumung passieren, heißt es vom Bezirk.
Wann geräumt werden könnte, ist derweil unklar. Zuletzt hatte zwar das Berliner Verwaltungsgericht dem Bezirk grundsätzlich Recht gegeben, aber noch sind nicht alle Verfahren in der Sache abgeschlossen. So hat der Besitzer der Grundstücke am S-Bahnhof und in der Moosstraße, Ulrich Wolfgang Ziegler, nach eigener Aussage Beschwerde gegen den Gerichtsentscheid eingelegt.
Der Bezirk Treptow-Köpenick wirft Ziegler vor, es sei sein Geschäftsmodell, ungenehmigte Baucontainer vor allem Beziehern von Sozialleistungen anzubieten. Die Miete streiche der Betreiber dann direkt oder über ein Firmengeflecht vom Jobcenter ein.
Ziegler stellt die Sache anders da. "Natürlich will ich Geld verdienen", sagt er im Gespräch mit dem rbb. Es sei aber "Blödsinn", wenn man ihm Ausbeutung vorwerfe. Die Miete sei fair, weil die Mieter etwa Möbel, Waschmaschinen und Trockner gestellt bekämen. Und: "Außerdem: Was ist zu teuer, wenn die Leute aus der Obdachlosigkeit gerettet werden?"
Doch es bleibt die Frage, warum der 34-Jährige ohne Genehmigung vermietet - denn, dass er keine hat, gibt er gegenüber dem rbb zu - und warum er vom Bezirk stattdessen verlangt, die Nutzung "zu dulden oder nachzugenehmigen". Und vor allem: Warum die Bewohner beziehungsweise die Sozialbehörden für die Container direkt an den Gleisen 30 bis 40 Euro Miete pro Quadratmeter zahlen müssen - ein Wert deutlich über dem Preisdurchschnitt von Treptow-Köpenick.
Sendung: radioBerlin 88,8, 03.03.2023, 7:20 Uhr
Beitrag von Philip Barnstorf
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