Leider gibt es ein Problem beim Abspielen des Videos.
Als Baby aus Nepal geholt
Tika Stern wurde von deutschen Eltern als Baby aus Nepal nach Berlin geholt - doch nicht im Rahmen einer offiziellen Adoption. Sie wuchs ohne gültige Papiere auf. Jetzt will sie endlich als anerkannte Deutsche in Berlin leben. Von C. Rubarth und H. Daehler
"Ich bin Berlinerin, hier sind meine Wurzeln," sagt Tika Stern. Die 24-Jährige steht in ihrer alten Schule in Berlin-Friedrichshain vor Fotos aus ihrer Schulzeit. "Aber auf dem Papier bin ich keine Deutsche."
Tika kam als Kleinkind nach Berlin. Ihre deutschen Eltern wollten ein Kind adoptieren, sahen sie als Baby dort in einem Kinderheim: ein niedliches kleines Mädchen mit kurzen, dunklen Haaren.
Doch ihre biologischen Eltern verweigerten eine Adoption, sie wollten Geld, erzählt Tika. Ihre deutsche Mutter flog enttäuscht zurück. Ihr Vater versuchte weiter, Tika mit nach Deutschland zu nehmen.
Was dann passiert ist, was genau ihr Vater gemacht hat, weiß sie nicht. Erst als Zehn- oder Elfjährige erfährt sie und versteht zumindest langsam, dass sie mit ihrem deutschen Vater, einer gefälschten Geburtsurkunde und einer nepalesischen Frau, die sich als ihre Mutter ausgab, nach Berlin kam - in ein Leben ohne gültige Papiere. Eine offizielle Adoption fand nie statt.
Die Frage, wie ihr Weg nach Deutschland verlief, beschäftigt viele Kinder, die jetzt erwachsen sind und in den 1980er- und 1990er-Jahren nach Deutschland gebracht wurden, sagt Melanie Kleintz. Sie wurde selbst als Baby illegal in Peru adoptiert – und unterstützt heute andere Adoptierte bei ihrer Herkunftsforschung. "Wenn man auf die Suche nach seiner Herkunft geht, gibt es immer wieder leibliche Eltern und vermittelnde Personen, die hinterher sagen: Die Adoptionen waren nicht legal."
In den ersten Jahren hilft Tika ein Kinderausweis auf Grundlage der gefälschten Geburtsurkunde, um nicht aufzufallen. Tika zeigt Fotos aus Rom, sie reist nach Tunesien, oft nach Spanien. Erst als der Ausweis 2008 – da ist sie zehn Jahre alt - ausläuft, und sie aufgrund der mittlerweile aufgeflogenen gefälschten Geburtsurkunde kein weiteres deutsches Personaldokument bekommt, hat sie gar nichts mehr. Reisen über die Grenzen werden gefährlich.
Mit 16 fährt sie mit ihrer Klasse nach Auschwitz. Auf der Rückfahrt wird der Bus an der deutsch-polnischen Grenze angehalten: Passkontrolle. Das sei einer der schlimmsten Momente ihres Lebens gewesen, sagt Tika heute. "Mir ist das Herz in die Hose gerutscht. Ich war nervös. Ich hatte Angst." Der Polizistin zeigt sie ganz selbstverständlich ihren abgelaufenen Kinderausweis. Die lässt sie damit durchgehen.
Mit 20 erhält sie mit Hilfe einer Anwältin zumindest ein Aufenthaltsrecht, das sie als Nepalesin ausweist, und muss regelmäßig zum Landesamt für Einwanderung, um den Titel zu verlängern. Ein großzügiger Schritt der Behörde, sagt ihre heutige Anwältin Oda Jentsch. Aber für Tika fühlt es sich falsch an. "Ich bin hier groß geworden. Ich wünsche mir, unabhängig von der Erlaubnis anderer zu sein. Ich würde gern reisen, wählen gehen, irgendwann einmal heiraten." Und sie will den Namen ihrer deutschen Familie tragen. Auf ihrer befristeten Aufenthaltserlaubnis steht jetzt "Shrestha", der Name, der auf ihrer gefälschten Geburtsurkunde stand.
"Tika muss nach Nepal reisen, in ein Land, das sie gar nicht kennt, um dann hier in Deutschland ihre nepalesischen Dokumente vorlegen zu können", erklärt Anwältin Oda Jentsch. Erst dann könne sie einen Einbürgerungsantrag stellen. Die Situation sei schwierig für sie, so die Anwältin. "Da sie als Minderjährige hergekommen ist, ist sie unverschuldet in einer Situation, die so vom Gesetzgeber nicht vorgesehen ist." Jetzt im Erwachsenenalter sei sie verantwortlich, ihre Dokumente vorzulegen und zu sortieren, was bisher niemand für sie gemacht hat.
Gemeinsam mit ihren Freundinnen arbeitet die 24-Jährige an einer Crowdfunding-Kampagne. Sammelt Geld für Flüge, Unterkunft, Dolmetscher:innen, Anwält:innen. Ihr Ziel: 25.000 Euro. "Nepal ist für mich wie eine andere Welt", sagt Tika. Sie habe keine Verbindung zu diesem Land. "Aber ich bin nicht Deutsche, nicht Nepalesin - ich will nicht weiter in diesem Nichtssein schweben."
Eine derart vertrackte Geschichte wie die von Tika Stern, sei sehr selten, so ein Sprecher des Landesamts für Einwanderung Berlin. "Soweit bekannt, ist es der einzige so gelagerte Fall in unserer Zuständigkeit." Seit 2002 gilt das Haager Adoptionsabkommen in Deutschland, das strenge Richtlinien für internationale Adoptionen vorsieht. Dazu gehören die Beratung und die Einwilligung der leiblichen Eltern und eine Eignungsprüfung der potenziellen Adoptiveltern. Seit 2021 sind Adoptionen, die nicht von einer der zugelassenen Auslandsvermittlungsstellen begleitet werden, verboten.
Erfahrungswerte und Einzelstudien ließen vermuten, sagt Adoptionsberaterin Melanie Kleintz, dass bei einem nicht unbedeutenden Teil aller Auslandsadoptionen Geld geflossen ist oder Dokumente frisiert wurden. Sie fordert Aufklärung, eine unabhängige Kommission, die alle bisherigen Auslandsadoptionen untersucht und dem nachgeht, wie die Kinder hierhergekommen sind. Bisher, sagt Kleintz, helfen vereinzelt Vereine bei der Herkunftssuche oder Selbsthilfegruppen. "Wir Adoptierte haben hier in Deutschland keine Lobby."
Kleintz wirft den Behörden vor, damals nicht genau hingeschaut zu haben und nun die Fehler von damals unter den Teppich zu kehren. Tatsächlich bestätigt auch das Bundesfamilienministerium, dass es keine offizielle Stelle gibt, an die sich illegal Adoptierte in Deutschland wenden können.
Macht Tika ihren Eltern Vorwürfe, dass sie sie in eine solche Situation gebracht haben? Ihren Vater kann sie nicht mehr fragen, er starb vor ein paar Jahren. Zu ihrer Mutter hat sie ein gutes Verhältnis. Sie hatte eine gute Kindheit, sagt sie. Es sei schade, wie es damals gelaufen sei. "Aber ich sehe auch den liebevollen Aspekt, dass man mir nichts Böses wollte." Jetzt will sie sich auf ihre Zukunft fokussieren. "Denn die Entscheidungen von damals, die kann ich nicht rückgängig machen."
Sendung: rbb24 Abendschau, 28.03.2023, 19.30 Uhr
Beitrag von Christina Rubarth und Helena Daehler
Artikel im mobilen Angebot lesen