Neu Rietz in Potsdam-Mittelmark
Immer mehr Solarmodule sollen auf Äcker: Hunderte Panele könnten bald auch im Belziger Vorfläming zur Stromerzeugung stehen - auf Feldern, die bisher ökologisch bewirtschaftet wurden. Anwohner finden, ein Solarpark passt hier nicht hin. Von Susanne Hakenjos
Neun Gehöfte stehen in Reihe am Feldrand: Der Blick geht auf Äcker, in der Ferne stehen einige Windräder. Die Bewohner im kleinen Dorf Neu Rietz im Kreis Potsdam-Mittelmark sind entsetzt: Dort, wo letztes Jahr noch ein Sonnenblumenfeld war, könnten bald Hunderte blau-schwarzer Solarpaneele stehen, nur wenige Meter von ihren Häusern entfernt. "Vom letzten Haus sind es tatsächlich sogar bloß zehn Meter bis zum Zaun", empört sich eine Anwohnerin.
Auch wenn der neueste Entwurf des Bebauungsplans "Solarpark Haseloff Südost" jetzt einen Abstand von 100 Metern zur Bebauung vorsieht, verärgert das Vorhaben: "Die gesamte Fläche bis zum Wald bei Haseloff wird dann komplett mit drei Meter fünfzig hohen Solarpaneelen vollgeballert", ärgert sich eine Neu Rietzerin: "Wenn wir hier vorne aus unseren Fenstern schauen, schauen wir dann direkt drauf. Das stelle ich mir nicht so schön vor. Warum gibt es eigentlich nicht zwingend vorgeschriebene Mindestabstände zur Wohnbebauung?", fragen sich die Familien, die in den alten Gehöften wohnen.
Initiatoren des Vorhabens sind zwei Ökolandwirte aus der Region. Gut 1.000 Hektar im Belziger Vorfläming bewirtschaftet Hubert Tenberge gemeinsam mit Landwirt Ulrich Kobusch aus Zixdorf in der Fläminger Biohof GbR. In einer neuerworbenen Halle im Bad Belziger Ortsteil Bergholz soll künftig die eigene Ernte getrocknet, weiterverarbeitet, abgepackt und selbst vermarktet werden. Weil das aber energie-intensiv ist, entstand die Idee, Solarstrom über eigene Photovoltaikanlagen auf eigener Fläche zu gewinnen.
Die Landwirte wollen ihren Betrieb für die Zukunft aufstellen. Schon jetzt liefert die Fläminger Biohof GbR ihre Rohstoffe an Hersteller wie Zwergenwiese, Babynahrungshersteller Hipp oder die Firma Seitenbacher.
Das Areal von 62 Hektar mit Solarmodulen, gut 60 Fußballfeldern, wird in drei Abschnitten eingezäunt, zeigt der erste Bebauungsplan-Entwurf, der noch bis zum 14. April 2023 öffentlich ausliegt. Zwischen den drei Meter 50 hohen Photovoltaik-Paneelen wollen die Initiatoren auch 600 Schafe halten, wolfssicher eingezäunt.
Die Bewohner des angrenzenden Dorfes ärgern sich vor allem auch darüber, dass hier bisher ökologisch bewirtschaftete Äcker geopfert werden sollen. "Letztes Jahr standen da Sonnenblumen, das war wunderschön. Und vorletztes Jahr stand da Hanf", berichtet etwa Theda Pförtner.
"Dieser Hanf wird übrigens für die bekannte Firma Seitenbacher angebaut, für das gute Biohanföl. Plötzlich aber bringt dann die Fläche offenbar mehr Rendite, wenn ein Solarpark draufsteht", kritisiert die Neu Rietzerin. "Wir brauchen doch alle Getreide, wir brauchen alle Mehl für Brot," ärgert sich Nachbarin Kirsten: "Wenn sowas entlang der Autobahn gebaut wird, wo keiner beeinträchtigt wird, dann verstehe ich das ja noch, aber so nicht."
Für Hubert Tenberge von der Fläminger Biohof GbR sind die beplanten Flächen "die schlechtesten in unserem Betrieb." Tatsächlich zeigt die öffentlich einsehbare Bodenbewertung, dass sich im Plangebiet aber auch höherwertige Böden befinden: "Und in der Mitte gibt es sogar Flächen, die haben 50 Bodenpunktwerte, ausgewiesen als stark lehmigem Sand. Das ist dann wirklich einer der besten Böden den wir hier haben. Das gibt’s nicht so oft", betont Kritikerin Theda Pförtner aus Neu Rietz.
Bodenpunktwerte aber sieht Solarpark-Initiator Tenberge hier gar nicht entscheidend, sondern eine hier extrem tiefe Grundwasserlage. Der 66-Jährige, der seit 30 Jahren in der Region aktiv ist, möchte verständlich machen, warum sein Landwirtschaftsbetrieb eigene Flächen aus der bisherigen Bewirtschaftung nehmen will: "Hier liegt der Grundwasser-Flur-Abstand bei über zehn Metern, anders als bei anderen Flächen in der Region", sagt Tenberge.
Angesichts der zunehmenden Trockenheit haben die Pflanzen so keine Chance, die Erträge sind nicht gesichert. Zuletzt zwei Totalausfälle bei der Ernte beklagt Tenberge. Der Wegfall dieser Flächen führe angesichts der vom Betrieb insgesamt bewirtschafteten 1.000 Hektar zu einem Ernte-Ertragsverlust von maximal einem Prozent.
Durch den dank Solarstrom möglichen Ausbau der eigenen Verarbeitung und Vermarktung ihrer Bio-Ernte entstünde in der Region neue Wertschöpfung. Allein schon die Entfernung des Solarparks zum neuen Betriebsstandort in Bergholz finden die Kritiker widersprüchlich. Der erzeugte Strom müsse ganz klassisch ins Netz eingespeist werden, eine Direktnutzung sei gar nicht möglich. "Wir profitieren aber über den Preis, durch die Liefervereinbarungen, durch unseren Projekt-Investitionspartner, die kommunalen Stadtwerke Lünen", erläutert Tenberge.
Weil die Betreibergesellschaft ihren Sitz in der Gemeinde Mühlenfließ haben soll, würde auch die Gemeinde Mühlenfließ, auf deren Gemarkung die Felder liegen, über direkte Abgaben und Steuern vom Solarpark profitieren. "Aktuell denken wir auch noch über einen sogenannten Anlieger-Bürgerstromtarif nach", stellt Initiator Tenberge in Aussicht.
Hecken und Sträucher sollen am Zaun gepflanzt werden, auf einem Hektar bei Neu Rietz als Sichtschutz zusätzlich auch bereits ältere, damit schon höherer Bäume: "Wirklich auch großkronige Bäume", verspricht Tenberge. Die Neu Rietzer aber sind nicht überzeugt: Sie sehen ein einzigartiges, von Straßen völlig unzerschnittenes Gebiet bedroht. Andere sorgen sich um die Sicherheit: Im Falle eines Feuers gibt es in der kleinen Siedlung noch nicht einmal einen Löschbrunnen.
Von Osten kommend führt nur ein schmaler, einspuriger Betonplattenweg bis in das Sackgassendorf. Die Gemeinde Mühlenfließ zählt bereits jetzt zu den Spitzenerzeugern regenerativer Energie, schon jetzt ist Neu Rietz umgeben von zahleichen Windrädern, betonen die Anwohner. Sie möchten die Landschaft erhalten, so wie sie ist. Ob für den Solarpark Baurecht erteilt wird, entscheidet am Ende die Mühlenfließer Gemeindevertretung. "Auch wenn wir wissen, dass wir weggewägt werden können, hoffen wir Neu Rietzer, dass unsere Einwände im weiteren Bebauungsplanverfahren gehört werden", sagt Theda Pförtner.
Sendung: Antenne Brandenburg, 15.03.2023, 15:40 Uhr
Beitrag von Susanne Hakenjos
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