"Es ist keine Frage ob, sondern wann hier eine Bombe explodiert"
Rund 270 Bombenblindgänger mit chemischen Langzeitzündern sollen noch im Boden von Oranienburg liegen. Sie müssen so schnell wie möglich gefunden und unschädlich gemacht werden. Doch das ist teuer. Die Stadt bittet das Land um Hilfe. Von Lisa Steger
Oranienburgs Bürgermeister Alexander Laesicke ist besorgt. Pro Jahr, rechnet er vor, gibt seine Stadt rund 1,2 Millionen Euro dafür aus, Bomben zu finden und unschädlich zu machen. Das sei in sieben oder acht Jahren die Summe für eine Kita.
Und es könnte noch mehr werden. Denn zurzeit unterstützt der Bund diese Arbeiten noch – er gab allein im Jahr 2021 mehr als 500.000 Euro hinzu. Allerdings läuft die Hilfe Ende dieses Jahres aus.
Laesicke hält das für hochproblematisch. Rund 270 Sprengkörper würden noch im Boden vermutet, so das Stadtoberhaupt. Die Zeit dränge, da die Langzeitzünder verrotten. "Es ist keine Frage ob, sondern wann hier eine Bombe explodiert", ist der parteilose Politiker überzeugt. Vor 30 Jahren sei eine Bombe unkontrolliert in die Luft gegangen. Das dürfe nicht wieder passieren. Die Stadt miete inzwischen sogar Container an für den Fall, dass Menschen monatelang aus ihren Häusern müssten – wenn es zu einem Unglück käme.
Innenausschuss will sich für Finanzierung stark machen
Der Innenausschuss des Landtages hat am Freitag vor Ort in Oranienburg beraten, wie es weitergehen soll. Fraktionsübergreifend war man sich einig: Oranienburg wird es allein nicht schaffen. Doch woher das Geld ab 2024 kommen soll, steht noch nicht fest.
Heiner Klemp (Bündnis 90/ Die Grünen) hält die ständige Bombengefahr für eine hohe emotionale Belastung. Mancher sei auch deshalb dort weggezogen, ist Klemp sicher. Nicole Walter-Mundt (CDU), die selbst in Oranienburg lebt, stellte fest: "Wenn es um Einsparungen bei der Kampfmittelbeseitigung geht, hört der Spaß auf." Hier gehe es um Menschenleben.
"Erschreckend ist das Ausmaß der Kampfmittelsuche“, sagte der SPD-Abgeordnete Andreas Noack, "die metertiefen Bergegruben, die hergestellt werden müssen, und auch die Dimensionen der notwendigen Technik, die zum Einsatz kommt." Auch sein Parteifreund Björn Lüttmann, wie Walter-Mundt in Oranienburg ansässig, sprach von einer "Dramatik", betonte aber auch: Die Stadt, die seit 2019 "Modellregion" für die Suche nach Weltkriegsbomben ist, arbeite effektiv.
Modellregion bedeutet: Der Kampfmittelbeseitigungsdienst sucht mit 13 zusätzlichen Mitarbeitern systematischer als zuvor. Und: Andere Regionen sollen daraus lernen. Landesweit sollen immer noch mehr als eine halbe Million Hektar Boden munitionsbelastet sein. Brandenburg ist damit trauriger Spitzenreiter bundesweit.
Derzeit fließt jährlich rund die Hälfte der Gelder, die im Landesetat für Kampfmittelbeseitigung eingestellt sind, nach Oranienburg: Das sind vier Millionen Euro. Allerdings läuft das Projekt "Modellregion" Ende 2024 aus. Wenn es nicht verlängert wird, droht also eine weitere Finanzierungslücke.
Nur 13 Prozent der Stadtfläche "vollständig sicher"
Oranienburg war während des Zweiten Weltkrieges ein Zentrum der Rüstungsproduktion. Hier produzierten unter anderem die Auerwerke und die Heinkel Flugzeugwerke. Deshalb stand die Kommune im Zentrum alliierter Bombenangriffe. Jede fünfte Bombe war mit einem chemischen Langzeitzünder versehen, teilt die Stadt Oranienburg in einer schriftlichen Präsentation mit; der Sprengstoff sollte erst 12 bis 48 Stunden nach dem Abwurf detonieren. Und einige Zünder haben es bis heute nicht getan.
Keine andere deutsche Stadt hat so viele scharfe Bomben im Boden, nur 13 Prozent der Fläche gelten der Präsentation zufolge als vollständig sicher. Viele Sprengkörper sind schwer zu bergen, sie liegen bis zu zehn Meter tief im Boden. Allein seit der Wende seien bereits 219 Bomben unschädlich gemacht worden.
Der nächste Termin für eine Bombenentschärfung steht bereits fest: An der ehemaligen Friedenthaler Schleuse wird derzeit ein mutmaßlicher Blindgänger freigelegt. Er soll am 22. März unschädlich gemacht werden.