Dating-Markt im Wandel
Wer sich verlieben will, tut das heute vor allem per Dating-App. Aber gerade in Berlin sind viele frustriert vom Online-Dating - es herrscht "Tinder Fatigue". Neue Anbieter wittern da ihre Chance, den Datingmarkt umzukrempeln. Von Christina Rubarth und Raphael Knop
"Wie ich auf einer Dating-Plattform einen Mann kennengelernt habe und dann Angst hatte, dass er ein Stalker ist": So beginnt die 27-jährige Adriana ein Video auf ihrem Tiktok-Kanal. Es geht darum, wie sie einen 49 Jahre alten Mann datet. "Ich habe irgendwann gemerkt, dass er alles bestimmen wollte", erinnert sich die junge Frau aus Berlin-Charlottenburg. Adriana will den Kontakt beenden, doch der Mann lässt nicht locker. Erst als sie ihn blockt, ihre Profile löscht und ihre Familie einschaltet, verschwindet er.
Ein Jahr lang sucht Adriana aus Charlottenburg über Dating-Apps einen Freund. Neben der Dating-App Tinder nutzt sie vor allem Bumble und Hinge. Zehn Dates hat sie in diesem einen Jahr, aber ihr Traum-Mann ist nicht dabei. Im Gegenteil: Neben dem vermeintlichen Stalker erlebt sie sogenanntes "Ghosting" und "Catfishing", also das plötzliche Verschwinden einer Person und das Vortäuschen falscher Tatsachen. "Es wird dir Honig ums Maul geschmiert, du landest zusammen im Bett und hörst dann nichts mehr von ihm", so Adriana.
Was sie erlebt, kennen viele Berlinerinnen und Berliner: Jede bzw. jeder Dritte ist auf Partnersuche, insgesamt leben mehr als eine Million Singles in der Stadt. Für viele, die Dating-Apps nutzen, sind sogenannte Situationships - also unverbindliche Beziehungen ohne klare Vereinbarungen - an der Tagesordnung: Man will sich nicht festlegen, es könnte ja noch jemand Besseres kommen.
Aber die Abo-Zahlen bei bekannten Dating-Apps stagnieren mittlerweile. Viele Nutzerinnen und Nutzer löschen ihre Accounts aus Frust. Auch Adriana kennt das Gefühl. "Ich habe mich ausgelaugt gefühlt", sagt sie. "Emotional ist es einfach nur Arbeit gewesen."
Das, was Adriana erlebt hat, kann Pia Kabitzsch gut nachvollziehen. Die Berlinerin ist Psychologin und hat selbst mehr als zehn Jahre online gedatet. Jetzt sitzt sie in ihrem Wohnzimmer - vor einer gelben Wand, angestrahlt von einer Ringleuchte und vor sich das Smartphone - und gibt auf ihrem Instagram-Account Dating-Tipps. "Es ist auf jeden Fall eine psychische Herausforderung, länger auf Dating-Apps unterwegs zu sein, weil man sich immer wieder auf neue Leute einlässt und dann nicht weiterkommt", beschreibt Kabitzsch den Berliner Online-Dating-Markt. Das Angebot sei zu groß, die Dates oft zu oberflächlich.
"Das Swipen ist zu einem Spiel geworden, das süchtig macht“, sagt Kabitzsch. Dopamin werde ausgeschüttet, vor allem wenn ein anderes Profil matched, also als gut passend angezeigt wird. Mehrfach habe sie in solchen Situationen sogar ihre S-Bahnhaltestelle verpasst. "Für das Gehirn ist es irgendwann einfach superschwierig."
Um die Psyche zu entlasten, empfiehlt Psychologin Pia Kabitzsch wieder bewusster zu daten: Man solle sich fragen, was man in einer Beziehung eigentlich möchte, und warum man die Dating-App überhaupt installiert hat. Wichtig sei auch, sich intensiver mit den Profilen und den Menschen dahinter zu beschäftigen - und vor allem: auch mal eine Dating-Pause einzulegen. Slow-Dating nennt sie das Prinzip.
Auch Felix Baur und Maurice Straube wollen Menschen anders verbinden als Tinder und Co. Die beiden haben dazu zusammen mit einem Freund das Start-up Unlikeany gegründet. Ihr Unternehmen bietet zwar auch eine App an, diese will aber die Persönlichkeit der Nutzerinnen und Nutzer in den Fokus rücken: zum Beispiel mit Hilfe von kurzen Videos. "Du hast Video-Challenges, die sich auf die verschiedensten Aspekte deiner Persönlichkeit beziehen", sagt Unlikeany-Gründer Felix Baur. Der 21-jährige Alex zeigt auf seinem Profil zum Beispiel sein "Hidden Talent" - sein verstecktes Talent: Mit seinem rechten Fuß öffnet er Bierflaschen. Andere Nutzer oder Nutzerinnen führen per Videorundgang durch die Wohnung oder verraten, dass sie später am liebsten mal aufs Land ziehen wollen. Das sei die Idee der App, sagt Baur: mehr preisgeben als schöne Fotos. "In dem Profil siehst du viel mehr, wie Leute wirklich sind und nicht die schön dargestellte Version, die man sonst sehen kann", sagt Maurice Straube als Mitbegründer von Unlikeany.
Gestaltet ist die App klar für die Generation Z - für die jetzt 18- bis 25-Jährigen, die mit Social-Media aufgewachsen sind und für die Tinder, das seit über zehn Jahren auf dem Markt ist, sehr alt wirkt. Noch ist das Angebot kostenlos, die Gründer denken aber über extra Features nach, die dann ein paar Euro pro Monat kosten sollen.
Nicht nur Unlikeany setzt auf den Berliner Single-Markt, der wegen seiner Größe und der überdurchschnittlich häufigen Nutzung von Singlebörsen besonders attraktiv ist. Anfang März startete auch das Start-up Blush in Berlin, andere europäische Großstädte sollen folgen. Die App will vor allem Männern mehr Chancen auf echte Dates ermöglichen, denn die sind auf Dating-Apps häufig in der Überzahl.
Die Idee: Die Frau klickt ein Profil an, das sie daten möchte, und legt Ort und Zeit des Treffens fest. Wenn der Mann zusagt, zahlt er 60 Euro - als Zeichen dafür, dass er es ernst meint, erklärt Gründerin Lena Grobbel. 30 Euro gehen an die Frau, 30 an Blush. Zeitersparnis gegen Geld: “Wir haben alle genug von Tinder. Es ist halt immer swipen, liken, Nachrichten senden und hoffen, dass was zurückkommt und dass man ein Date ergattern kann." Ihre App, sagt Lena Grobbel, will sich auf den schönen Part beim Online-Dating fokussieren - jemanden im echten Leben zu treffen.
Die Charlottenburgerin Adriana, die ein Jahr erfolgloses Online-Dating in Berlin hinter sich hat, hat irgendwann aufgehört per App zu daten. Sie brauchte einen Cut, sagt sie, und habe eine Fernreise und ihren Umzug nach Düsseldorf geplant. Und dann hat es gefunkt: Kurz nachdem sie die Apps vom Handy verbannt hat, lernte sie ihren heutigen Freund kennen - auf einer Geburtstagsparty im echten Leben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.03.2023, 07:30 Uhr
Beitrag von Christina Rubarth und Raphael Knop
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