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Quelle: dpa/Paul Zinken

Interview | Spektakuläre Kriminalfälle in Berlin

"Es ist wie in dem Film 'Ocean's Eleven'"

Tresore werden geknackt, ins Grüne Gewölbe eingebrochen, eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze weggeschleppt: Immer wieder macht Berlin mit außergewöhnlichen Kriminalfällen Schlagzeilen. Warum trauen sich Täter solche spektakulären Coups zu?

Im Januar 2013 graben Unbekannte einen 45 Meter langen unterirdischen Tunnel und rauben eine Volksbank in Berlin aus. Vier Jahre später wird die 100 Kilogramm schwere Goldmünze "Big Maple Leaf" aus dem Bode-Museum gestohlen. 2017 der nächste Coup: Diebe brechen ins Grüne Gewölbe im Residenzschloss in Dresden ein und stehlen Schmuckstücke im Versicherungswert von mehr als 100 Millionen Euro. Tatverdächtige aus einem arabischstämmigen Berliner Clan werden festgenommen. Ende 2022 knacken Täter in Berlin auch eine Tresoranlage, nehmen Gold und Geld mit. Der Schaden: 32 Millionen Euro.

Diese Fälle zeigen, dass auch in der Ära der Digitalisierung Kriminelle noch auf klassischen Einbruch im großen Stil setzen. Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle, erzählt, welche Motivation die Täter zu solch spektakulären Coups bewegt und warum die Spur oft nach Berlin führt.

rbb|24: Herr Rettenberger, in den vergangenen Jahren hat es mehrere spektakuläre Kriminalfälle gegeben. Bundesweit machten die Taten Schlagzeilen. Überraschen Sie Kriminalfälle "made in Berlin" noch?

Martin Rettenberger: Wenn ich an den Tunnelraub oder die gestohlene Münze "Big Maple Leaf" denke, dann muss ich sagen: Ja, das sind sehr außergewöhnliche Fälle, die mich durchaus überraschen. Da ist aber auch noch etwas anderes; ich empfinde auch eine gewisse Anerkennung oder Verwunderung über die Kompetenz der Täter.

Sie meinen, Sie haben Respekt vor den Kriminellen?

Das ist nicht unbedingt der richtige Begriff. Doch die Taten kommen mir tatsächlich weniger verwerflich vor als sie es sollten. Mir wird es hierbei aber nicht anders gehen als einem großen Teil der Bevölkerung.

Wieso ist das so?

Weil das besondere Taten sind. Es ist wie in dem Film 'Ocean's Eleven'. Sie erinnern sich an den Blockbuster?

Klar, ein Heist-Film. George Clooney und Brat Pitt knacken Tresore und stehen viele Millionen Dollar.

Genau. Wir sehen in dem Film, wie zwei Kriminelle spektakuläre Coups begehen. Wir fiebern bis zum Ende mit und hoffen, dass Clooney und Pitt gewinnen. Wir tun das, weil wir uns anteilig mit ihnen identifizieren. In einem Film über einen Serienvergewaltiger oder Frauenmörder tun wir das in der Regel nicht. Denn weder identifizieren wir uns mit der Persönlichkeit noch mit dem Vorgehen der Täter. Diesen 'Ocean's Eleven'-Effekt erleben wir auch in der Realität, bei den Kriminellen wie auch den außenstehenden Beobachtern.

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Gewalt gegen Frauen und Kinder wird als verwerflich empfunden. Ein großer Raubüberfall hingegen weniger, weil er "cool" ist?

Die Täter empfinden zumindest ein anderes Schuldgefühl. Und das nicht ohne Grund, denn Teile der Bevölkerung sehen das ja ähnlich. Das ist natürlich eine subjektive Wahrnehmung, objektiv korrespondiert die juristische Bewertung und letztendlich der Strafvollzug nicht mit diesem Gefühl. Es gibt schließlich keinen Bonus für einen besonders raffinierten Diebstahl.

George Clooney und Brad Pitt sind Schauspieler. Wer ins Grüne Gewölbe einbricht, Tresore knackt oder bewaffnet einen Geldtransporter ausraubt hingegen schwer kriminell. Von welchen Täter-Kompetenzen sprechen Sie?

Das sind Menschen, die über eine hohe kriminelle Energie verfügen. Anders als bei den meisten Straftaten in der Republik, steckt hinter den von Ihnen genannten Taten durchaus aber ein recht großer Planungsgrad. Eine Gruppe, die zu solchen Taten fähig ist, muss sich genau abstimmen, arbeitsteilig organisieren und in der Lage sein, Gefühle wie Impulsivität zu unterdrücken. Das sind durchaus Kompetenzen.

Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle | Quelle: Petra A. Killick

Ist impulsives Verhalten schlecht für Kriminelle?

Wir wissen aus der Kriminalforschung, dass Gewalttaten, Sexualdelikte, aber auch ein Überfall auf eine Sparkasse selten vorher groß geplant werden. Im Gegenteil: Meistens basieren sie auf impulsiven, also spontanen Gefühlausbrüchen. Wer im großen Stil Tresore knackt oder einen Tunnel unter einer Bank gräbt, tut das nicht aus einer impulsiven Entscheidung heraus. Es gibt weitere charakterliche Unterschiede unter solchen Tätergruppierungen, etwa eine enge Verschworenheit.

Klingt ein bisschen so, als könnte man sich etwas abgucken.

Es gibt hier nichts zu beschönigen, diese Menschen sind Kriminelle. Hätten sie aber ihre Kompetenzen, die sie für Straftaten nutzen, in eine normalbürgerliche Biografie überführt, dann glaube ich, hätte da etwas Gutes draus werden können. Wer langfristig Lebensziele verfolgt und in der Lage ist, zu planen, der kommt auch in unseren Wirtschafts- und Bildungsinstitutionen schneller voran als der impulsive Typ.

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Wann wird denn kriminelles Verhalten durch Täter und Beobachter besonders schnell heroisiert?

Wenn gedacht wird: 'Es trifft ja jetzt nicht den Falschen.' Wenn nicht der armen Oma die Handtasche geklaut wird, sondern es eine Bank trifft oder ein anonymes Unternehmen. Wenn also der persönliche Verlust eines Menschen nicht im Vordergrund steht.

Der Einbruch in eine historische Museumssammlung, der Diebstahl der "Big Maple Leaf": Es handelt sich doch hier um Kulturgut, ein Angriff darauf betrifft uns doch alle.

Ja, aber das wird so nicht im großen Stil wahrgenommen. Vielmehr steht die Täter-Kompetenz im Blickfeld, die eben Verwunderung oder sogar eine Art Respekt auslöst. Wären dieselben Täter in ein privates Wohnhaus eingebrochen, gäbe es ein völlig anderes Bild. Ein anderes Beispiel ist der Steuerhinterzieher: Wird er erwischt, fühlt er sich schlecht, weil er erwischt wurde, nicht weil dem Finanzamt Geld unterschlagen wird. Dass mit dem Geld auch Krankenhäuser und Kindergärten finanziert werden, ist für den Steuerhinterzieher und für große Teile der Bevölkerung schlicht zu abstrakt.

Kommt es in Berlin häufiger zu spektakulären Kriminalfällen als in anderen Großstädten - sagen wir London oder Paris?

Es gibt keine kriminologische Einordnung, die sich "spektakuläre Coups" nennt. Am Ende haben wir es meistens mit schwerem Diebstahl oder schwerem Raub zutun.

Ist das Zufall, dass zuletzt die Spur so oft nach Berlin führte?

Nein, das denke ich nicht. Allerdings ist das keine Berliner Spezialität, sondern hat vielmehr mit der Größe der Stadt zu tun. Gewisse Milieus können sich in der großstädtischen Anonymität viel stärker herausbilden als in Kleinstädten oder auf dem Land. Außerdem zieht die Stadt Migrationsbewegungen an.

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In keiner anderen deutschen Stadt fällt aber so häufig der Begriff "Clan". Ein paar der jüngsten spektakulären Fälle haben tatsächlich auch Verbindungen zu Berliner Großfamilien. Braucht die Stadt härtere Gesetze?

Merken Sie sich: Strafe allein führt keine Verhaltensveränderung herbei. Das ist bei Kindern genauso wie bei Erwachsenen. 'Härtere Strafen', das ist ja auch so ein typischer Slogan in Wahlkampfzeiten. In der Realität bringt das wenig. Denn die meisten Kriminellen lassen sich von einem höheren Strafrahmen nicht abschrecken. Das ist auch völlig unplausibel, warum sollte jemand verzichten, wenn die Gefängnisstrafe von zehn auf zwölf Jahre erhöht wird. Zudem werden Höchststrafen ohnehin nur selten ausgesprochen. Das wird also nicht zur Kriminalprävention beitragen.

Was hilft dann gegen kriminelle Gruppen?

In der Forschung sprechen wir von der sogenannten transgenerationalen Weitergabe der Kriminalitätsbelastung. Gemeint ist damit die familiäre Belastung – völlig egal, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, ob hier oder im Ausland geboren. Es gilt, die Weitergabe möglichst zu unterbinden. Ist der Vater kriminell gewesen, steigt in der Regel das Risiko dafür, dass auch der Sohn kriminell wird. Genauso gilt: Ist der Vater Lehrer, steigt die Chance, dass auch der Sohn Lehrer wird. Je enger dieser Mikrokosmos innerhalb einer Gruppe, Familie oder sozialen Struktur ist, umso größer die Wahrscheinlichkeit.

Wenn Politiker also etwas verändern wollen ...

... dann sollten sie lieber da ansetzen und versuchen, diesen engen sozialen Kosmos aufzubrechen. Meine Empfehlung: Mehr Bildungsangebote statt härterer Gesetze.

Das Interview führte Hasan Gökkaya für rbb|24

Sendung: rbb24, 26.03.2023, 10:00Uhr

Beitrag von Hasan Gökkaya

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