rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Audio: rbb24 Inforadio | 21.03.2023 | Markus Hecht | Quelle: Imago Images/Maurice Tricate

Verkehrsforscher zu BVG-Konzept

"Ein U-Bahn-Ausbau in dieser Größenordnung ist bar jeder Vernunft"

In einem internen Konzept hat die BVG eine massive Vergrößerung des Berliner U-Bahn-Netzes vorgeschlagen. Verkehrsforscher Andreas Knie von der TU Berlin sagt, für eine Anbindung der Außenbezirke an die Innenstadt bräuchte es andere Lösungen.

Der Verkehrswissenschaftler Andreas Knie von der Technischen Universität Berlin hält das interne Konzept der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zum Ausbau des Berliner U-Bahn-Netzes für unrealistisch. "Die Kosten dafür lassen sich kaum beziffern, wir bewegen uns da sicher in einem Bereich von rund 100 Milliarden Euro", sagte Knie am Montag im Gespräch mit dem rbb. "Abgesehen von den immensen Kosten gibt es bessere Möglichkeiten, die Außenbezirke mit der Innenstadt zu verbinden. Ein U-Bahn-Ausbau in dieser Größenordnung ist bar jeder Vernunft."

In Berlin gebe es nur wenige U-Bahn-Erweiterungen, die wirklich sinnvoll seien, sagte Knie. Dazu zähle eine Verlängerung der Linie U8 von der derzeitigen Endstation Wittenau in Reinickendorf in das Märkische Viertel. "Das ist ein großes und dichtes Wohngebiet, diese Anbindung würde sich lohnen." Auch eine Verlängerung der Linie U3 in Zehlendorf von Krumme Lanke zum Mexikoplatz habe Vorteile wegen eines Anschlusses an die S-Bahn im Süden. Beide Projekte seien "überfällig", so Knie. Allerdings gebe es Pläne dafür bereits seit mehr als 20 Jahren.

Quelle: rbb

BVG-Konzept sieht Verdopplung des U-Bahn-Netzes vor

Am Sonntag wurde ein internes Konzept der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bekannt, in dem die BVG einen massiven Ausbau des U-Bahn-Netzes auf die doppelte Streckenlänge vorschlägt. Demnach würden bestehenden U-Bahn-Linien in die Außenbezirke verlängert werden und eine Linie "U0" als eine Art unterirdische zweite Ringbahn entstehen. Über den Entwurf hatten am Sonntag zuerst die "Morgenpost" [Bezahlinhalt] und der "Tagesspiegel" [Bezahlinhalt] berichtet. Er liegt auch dem rbb vor.

Das heutige Netz erschließe "überproportional die Innenstadt", heißt es in dem Papier. "In den Außenbezirken gibt es Lücken und es fehlen leistungsstarke Querverbindungen." Unter der Überschrift "Expressmetropole Berlin" wird in dem Konzept präsentiert, wie das Liniennetz der U-Bahn in drei Stufen von jetzt 147 Kilometern auf 318 Kilometer mehr als verdoppelt werden könnte.

Ein konkreter Plan zur Umsetzung des Konzeptes besteht bisher nicht. Die Berliner SPD und CDU äußerten sich auf Anfrage des rbb am Montag nicht zu dem BVG-Papier und verwiesen auf die laufenden Koalitionsverhandlungen. Auch die BVG wollte bislang keine Stellung nehmen, da es sich um ein internes Papier handle, wie es am Sonntag hieß.

Quelle: rbb

Bessere Auslastung bestehender Linien gefordert

Verkehrsforscher Andreas Knie sagte dem rbb am Montag, anstelle eines massiven Ausbaus des U-Bahn-Netzes halte er es für zielführender, die Auslastung bestehender U-Bahn-Linien zu verbessern. "Über alle Uhrzeiten und Streckenabschnitte liegt die durchschnittliche Auslastung der U-Bahnen bei gerade mal elf Prozent", so Knie, "also müssen wir uns überlegen, wie wir die Menschen dazu bewegen können, die vorhandenen Angebote besser zu nutzen".

Der geplante Ausbau der U-Bahn-Linien würde nach Auffassung Knies nicht viel ändern, da noch immer zu viele Menschen außerhalb der U-Bahn-Reichweiten leben würden. "In Reinickendorf gibt es jetzt schon die U6 und die S-Bahn, das sind wunderbare Linien, die sehr schnell in die Innenstadt führen. Außerhalb des S-Bahn-Rings sitzt da aber keiner drin, weil die Leute sich sagen, bevor ich mit dem Bus zu den Bahnhöfen hinfahre, nehme ich lieber direkt mein Auto in die Stadt." In den Außenbezirken gelte es deshalb, Zubringerdienste zu optimieren, die die Menschen von ihren Haustüren direkt zu vorhandenen S- und U-Bahnhöfen bringen.

Gegen einen teuren Ausbau des U-Bahn-Netzes spricht nach Auffassung Knies zudem, dass nach der Corona-Pandemie mehr Beschäftigte im Homeoffice arbeiten würden. "38 Prozent der Beschäftigten fahren jetzt deutlich seltener ins Büro. Da muss man sich sehr gut überlegen, welche Großprojekte man in Zukunft sich noch leisten möchte", so Knie.

Internes Dokument

BVG-Konzept sieht Verlängerung aller Berliner U-Bahnlinien vor

Wer in der Berliner Innenstadt mit den "Öffis" fahren will, findet ein dichtes Netz vor. Die Außenbezirke sind deutlich schlechter angebunden. In einer "Vision" schlägt die BVG nun großflächige Änderungen vor - und sogar eine neue Ringbahn.

Straßenbahnen, Radwege und Busspuren

Verkehrspolitisch sinnvoll sei es außerdem, Straßenbahnen, Radwege und Busspuren auszubauen. "Busse fahren in Berlin mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 12 bis 13 km/h, das ist im Vergleich mit anderen Städten unterirdisch."

Anstatt weitere U-Bahnen zu bauen, würden moderne Metropolen den Platz auf den Straßen frei räumen, damit öffentliche Verkehrsmittel und Fahrräder dort besser und effizienter fahren können. "Da geht es fast ausschließlich um die parkenden Autos, die dabei im Weg stehen, und die aus der Innenstadt heraus müssen", sagt Knie. "Aber mit der SPD und der CDU sind zwei Parteien in Koalitionsverhandlungen, die sehr gerne U-Bahnen bauen wollen, damit die Autos oben ihren Platz behalten. Deshalb ist es interessant, dass ausgerechnet jetzt diese Pläne der BVG an die Öffentlichkeit kommen".

Abgesehen von einem Ausbau der Busspuren spricht sich Knie auch für einen Ausbau des Tram-Netzes aus. "Gerade im Westen gibt es mit Straßenbahnen noch einige Stadtgebiete zu erschließen, die derzeit nur unzureichend mit Bussen angebunden sind. Das wäre deutlich günstiger als die Erweiterung des U-Bahn-Netzes". Zu den voraussichtlichen Kosten finden sich in der BVG-Präsentation tatsächlich keine Angaben. Aber allein für die etwa acht Kilometer lange Verlängerung der U7 bis zum Flughafen BER veranschlagt die Berliner Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) die Kosten auf 811 bis 890 Millionen Euro, je nach Trassenführung. Auch einen konkreten Zeitrahmen gibt es in dem internen BVG-Konzept nicht.

Kritik von Fahrgastverband und BUND

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der Berliner Fahrgastverband (IGEB) haben sich klar gegen einen massiven Ausbau des Berliner U-Bahn-Netzes ausgesprochen.

Der BUND Berlin kritisierte in einer Mitteilung von Sonntag, die Vision der Verkehrsbetriebe sei eine "Verkennung der verkehrspolitischen Notwendigkeiten in der Stadt". Angesichts der Klimakrise müsse das Straßenbahnnetz der Hauptstadt ausgebaut werden. "So zügig wie möglich muss insbesondere auch in Spandau der überlastete und unattraktive Busverkehr durch schnelle und attraktive Tramstrecken, so weit wie möglich auf eigenem Gleisbett, ersetzt werden." Nur mit der Tram könne Berlin vergleichsweise zügig eine flächendeckende Verbesserung des Nahverkehrs erreichen.

In einer ironisch gefassten Pressemitteilung spricht der Fahrgastverband IGEB von einem "Aprilscherz". Angesichts des Sanierungsbedarfs des seit 120 Jahren aufgebauten Bestandes sei der BVG-Vorschlag ein "nicht nur unrealistisches und größenwahnsinniges, sondern vor allem auch unsinniges Projekt". Die BVG müsse vielmehr dringend in die bestehende Infrastruktur und moderne Fahrzeuge investieren. Mit der "provozierenden" Vision beschädige die BVG ihr eigenes Ansehen und das der vielen qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Korrektur: In einer ersten Fassung dieses Beitrags hatten wir Knie zitiert, eine Verlängerung der Linie U3 sei sinnvoll wegen eines Anschlusses an die Ringbahn. Das war nicht korrekt. Tatsächlich meinte der Experte die S-Bahn-Linien im Süden. Wir haben den Text entsprechend geändert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.03.2023, 20:00 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen