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Video: rbb24 Abendschau | 12.04.2023 | Ulli Zelle | Quelle: akg

70 Jahre Notaufnahmelager Marienfelde

Früher kamen die Flüchtlinge aus Deutschland, heute aus der ganzen Welt

1953 öffnete das Notaufnahmelager in Berlin-Marienfelde für Flüchtlinge und Ausreisende aus der DDR, danach für Spätaussiedler aus Mittel- und Osteuropa. Heute sind dort 700 Asylsuchende untergebracht. Ein neuralgischer Punkt für Flucht in Berlin? Von Marcus Latton

Rückkehr an den Ort, an dem die Freiheit begann: Franziska Schulte blickt über das Gelände des ehemaligen Notaufnahmelagers Marienfelde. Schmucklose, dreistöckige Wohnhäuser, an denen stellenweise der Putz abbröckelt. 1984 lebte und spielte Schulte hier als Zwölfjährige für einige Monate. Mit ihrer in der DDR-Friedensbewegung aktiven Mutter und der jüngeren Schwester reiste sie vorher aus Berlin-Treptow aus und nach Westberlin ein.

"Meine Mutter war den ganzen Tag unterwegs, um dieses Ankommen abzusichern", sagt die heute 50-Jährige. Geld beschaffen, Krankenversicherung beantragen, sich bei Ämtern registrieren: Ein gewaltiger bürokratischer Akt. "Man muss sich vorstellen, dass man hier sein Leben ganz neu aufbauen musste. Wir Kinder waren in dieser Zeit uns selbst überlassen und mussten klarkommen", erinnert sich Schulte.

Aufnahmepunkt für mehr als 1,3 Millionen Menschen

Von 1953 bis 1993 wurden in dem Notaufnahmelager Marienfelde geflüchtete DDR-Bürger und deutsche Spätaussiedler aus Mittel- und Osteuropa untergebracht. Diese Woche besteht das Notaufnahmelager seit 70 Jahren. Mehr als 1,3 Millionen Geflüchtete haben hier zeitweise gelebt - Franziska Schulte, ihre Schwester und ihre Mutter waren drei von ihnen. Die Gedenkstätte Notaufnahmelager Marienfelde an der Marienfelder Allee möchte die Erinnerung an das Schicksal dieser Menschen wachhalten. Am Mittwoch startet eine wissenschaftliche Tagung zur Geschichte des Ortes, danach folgt ein Programmwochenende mit Zeitzeugengesprächen für ein allgemeines Publikum [stiftung-berliner-mauer.de].

Die Historie des Aufnahmelagers endet jedoch nicht mit dem Zerfall der DDR, nachdem insgesamt vier Millionen Bürgerinnen und Bürger des Landes in die Bundesrepublik flohen oder ausreisten. Seit 2010 wird das Gelände vom Internationalen Bund betreut - als Übergangswohnheim für derzeit 700 Geflüchtete aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Türkei, Moldawien oder Iran. Mehr als die Hälfte von ihnen sind Kinder und Jugendliche. Wo einst Familien aus Gera, Cottbus oder Ostberlin ihre ersten Schritte auf westdeutschen Boden setzten und auf die Zuteilung einer Wohnung warteten, leben nun Asylsuchende aus vielen verschiedenen Ländern, die ebenso auf eine Zukunft in der Bundesrepublik hoffen.

Infos im Netz

70 Jahre Notaufnahmelager Marienfelde: Das Programmwochenende

Geflüchtete Bewohner beschäftigen sich mit der Geschichte des Ortes

Pirooz A.* flüchtete vor der Machtübernahme der Taliban von Afghanistan nach Deutschland, zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern. Noch lebt er hier, will aber bald Arbeit und eine eigene Wohnung finden, wie er sagt. Schon bevor er von deutschen Behörden zur Unterkunft nach Marienfelde geschickt wurde, habe er sich informiert über den Ort. "Ich habe die Adresse bekommen und bei Wikipedia nachgeschaut", sagt Pirooz A. "Das Heim hat eine lange Geschichte, die mit Flucht zu tun hat." Nach seiner Ankunft besuchte er direkt die Erinnerungsstätte, die sich direkt neben dem Eingang zum Übergangswohnheim befindet, wie er erzählt.

Olivia Musić leitet für den Träger Internationaler Bund das Geflüchtetenwohnheim. Sie selbst flüchtete in den 1990er Jahren vor dem Krieg in Bosnien nach Deutschland. Musić sagt, viele der hier Untergebrachten wüssten, dass dieses Wohnheim ein besonderes sei oder wollten mehr darüber erfahren - vor allem die, die schon länger in den Wohnungen lebten. "Die kommen dann in unser Büro und wollen wissen, was das Gebäude nebenan ist", sagt Musić. "Wir veranstalten dann Führungen durchs Museum und verknüpfen so die Gegenwart und die Geschichte."

Parallelen von damals zu heute sieht auch Franziska Schulte, wie sie sagt - trotz der Unterschiede zwischen der deutschen Teilung und den heutigen Wanderungsbewegungen. "Wir hatten keine Sprachprobleme, denn wir haben ja schon Deutsch gesprochen. Das war ja schon glücklich, dass wir diese Hürden gar nicht nehmen mussten", sagt Schulte. "Und dennoch: Es war eine schwierige Zeit. Und eine Umbruchsituation."

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.04.2023, 9:10 Uhr

* Name von der Redaktion geändert

Beitrag von Marcus Latton

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