Klagen über Missstände in Berliner Bahnhofsmission
Ein offener Brief ehrenamtlicher Mitarbeiter weist auf gravierende Missstände bei der Bahnhofsmission am Zoo hin. Von unwürdigen Verhältnissen ist die Rede. Auf den neuen Leiter kommt jetzt offensichtlich viel Arbeit zu. Von Thomas Klatt
Sie ist nicht erst seit Christiane F. und dem Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" eine feste Größe in der City West: Die Bahnhofsmission der Berliner Stadtmission am Bahnhof Zoologischer Garten in der Jebensstraße 5 - oder kurz: "Bami" am Zoo. Über Jahrzehnte fanden hier Bedürftige Einlass und konnten sich zumindest stundenweise aufwärmen.
Nun aber gibt es Unmut unter den dort ehrenamtlich Tätigen. Von würdelosen Verhältnissen ist die Rede. Zwei von ihnen haben jetzt einen offenen Protestbrief geschrieben.
Auf der offiziellen Webseite [berliner-stadtmission] hingegen ist die Welt - so scheint es - noch die alte. Auf einem dort gezeigten Foto ist Michael Müller noch Regierender Bürgermeister, Hermann Gröhe Bundesgesundheitsminister und in der Mitte lacht der Leiter der Bahnhofsmission am Zoo, Dieter Puhl. Tatsächlich aber ist Puhl - wie die anderen Herren auf dem Foto - nicht mehr im Amt.
Zu Puhls Zeiten halfen meist mehr als 150 Ehrenamtler rund um die Uhr in der Bahnhofsmission. Er suchte die Nähe zur Presse. Puhl sei ein "Menschenfänger" gewesen, sagt begeistert der Rentner Jürgen Küpper, der seit elf Jahren in der "Bami" aktiv ist - als einer von gerade noch rund 50 Ehrenamtlern, die versuchen, in der Berliner Jebensstraße den Betrieb irgendwie am Laufen zu halten.
Denn vieles ist anders geworden. Seit Dieter Puhl in den Ruhestand gegangen ist, fehlt der Bahnhofsmission eine kontinuierliche Leitung. Wie früher stehen auch jetzt täglich Bedürftige vor der "Bami" in der Jebensstraße und warten auf die Ausgabe. Hinein dürfen sie aber jetzt nicht mehr, um wie früher in Ruhe zu essen, zu trinken oder zu reden, oder um passende neue Kleidung für sich suchen und anprobieren zu können. "Ich finde das absolut würdelos, wie da Essen und Getränke herausgereicht wird", sagt Jürgen Küpper. "Es fühlt sich an wie eine Futterzeit für Tiere."
Die zuständige Pressesprecherin der Berliner Stadtmission, Barbara Breuer, sieht darin aber kein Problem: "Unserer Meinung nach läuft alles rund", sagte sie dem rbb und betont: "Wir versorgen dort täglich mehr als 600 Menschen. Die meisten davon sind obdachlos, einige auch bedürftig. Der Standort wurde erweitert. Zusätzlich zur Bahnhofsmission haben wir dort auch das Zentrum am Zoo."
Küpper aber hat zusammen mit seiner Mit-Ehrenamtlerin Julia Wächter aus Protest einen offenen Brief geschrieben. Darin heißt es: "Der Einlass der Gäste in die Räume der Bahnhofsmission war während der Pandemiezeit nicht gestattet. Im Notprogramm versorgten wir unsere Gäste und reichten Lebensmittel und Getränke übers Fenster nach draußen. Das ist ein dem Menschen unwürdiger Zustand, der unbedingt schnell geändert werden muss! Soweit bekannt, ist die Bami am Zoo die letzte dieser Einrichtungen, die einen vorübergehenden Aufenthalt der Gäste in unseren Räumen nicht zulässt."
Pressesprecherin Barbara Breuer hingegen verweist darauf, dass die Türen aus baurechtlichen Gründen weiterhin verschlossen blieben. "Die Filteranlagen sind nicht so, dass wir da viele Menschen auf einmal hereinlassen können", sagt sie. "Es gibt keinen zweiten Fluchtweg. Also es gibt Auflagen, die wir erfüllen müssen und die uns daran hindern, den Betrieb so aufzunehmen, wie es davor war."
Ehrenamtler Jürgen Küpper - von Beruf Architekt - sieht das anders. Nach seinen Angaben sind mehrere Fluchtwege vorhanden. Neben dem Haupteingang gebe es auch Fenster zur Straße. "Da stell ich mir einen Stuhl hin und bin aus dem Fenster raus." Zu den laut Pressesprecherin Breuer fehlenden Lüftungsanlagen sagt Architekt Jürgen Küpper nur: "Sie muss ja nur die Fenster aufmachen. Räume, die Fenster haben, brauchen keine Lüftung."
Auch das letzte Argument der Pressesprecherin, dass es ja nun auf der anderen Seite des Bahnhofsgebäudes das neue helle und lichte Besuchszentrum der Berliner Stadtmission gebe, lässt Ehrenamtler Küpper nicht gelten: "Das ist ja unabhängig von uns. In dem Zentrum sind Psychologen und Sozialarbeiter, und die Gäste können dahin kommen und sich beraten lassen. Wir betreuen die Gäste mit Essen und Getränke und Kleidung. Die tieferen psychologischen Geschichten machen die dann auf der anderen Seite."
Doch es bleibt nicht alles beim Alten in der Bahnhofsmission: Am 3. April übernimmt Philipp Spitczok von Brisinski die vakante Leitung der Bahnhofsmission am Zoo, wie die Berliner Stadtmission mitteilte. Der diplomierte Sozialarbeiter verfüge über langjährige Erfahrung in diesem Bereich, hieß es, und habe in der Vergangenheit die Bahnhofsmission in Freiburg erfolgreich gemanagt. Nun liegt es an dem neuen Leiter, Spitczok von Brisinski, den Problem-Knoten zu lösen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 03.04.2023, 6:50 Uhr
Beitrag von Thomas Klatt
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