Verlag macht Geschäft
Brandenburger Schüler können alte Abiturprüfungen nur von einem Verlag kaufen. Der Verlag selbst kann die alten Prüfungen sehr günstig vom Land erwerben. Das Online-Portal "Frag den Staat" kämpft darum, sie für alle freizugeben. Von Andreas B. Hewel
Ab Montag ist es wieder so weit. "Ruhe, Abitur", heißt es dann auf vielen Fluren in Brandenburger Gymnasien und Gesamtschulen. 10.500 Schülerinnen und Schüler werden in diesem Jahr ihre Abiturprüfungen ablegen. Viele von ihnen bereiten sich dafür zusätzlich zum Schulunterricht mit den Prüfungsaufgaben der vergangenen Jahre auf ihre Abiturklausuren vor.
Diese alten Prüfungen allerdings stehen ihnen nicht kostenlos zur Verfügung. Sie müssen gekauft werden.
Der Stark-Verlag hat sich darauf spezialisiert, diese Prüfungen als Buch herauszugeben. Für 14,95 Euro können Schülerinnen und Schüler sie erwerben - pro Prüfungsfach versteht sich. Ein überschaubarer Betrag, doch bei mehreren Prüfungsfächern verdreifacht oder vervierfacht er sich. Für Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Elternhäusern kann das schnell zu viel werden.
Das will das Online-Portal "Frag den Staat" zusammen mit einer anderen großen Wissensplattform nicht mehr hinnehmen. Für sie ist es eine Frage der Bildungsgerechtigkeit. "Wir fordern mit Wikimedia Deutschland, dass die Prüfungen veröffentlicht werden, damit sie allen Schülerinnen und Schülern zu Lernzwecken zur Verfügung stehen und nicht nur denen, die die finanziellen Mittel dazu haben", betont Max Kronmüller von "Frag den Staat". "Dazu sollten die Länder die Aufgaben online einfach allen zur Verfügung stellen."
Trotz der Kosten, die Bücher mit den alten Prüfungsaufgaben sind der Renner. "Gerade diese Hefte und diese Altklausuren sind eine perfekte Vorbereitung für die Prüfungen, weil es eben alte Prüfungen sind und wir uns sehr viel besser darauf vorbereiten können, was uns überhaupt erwartet", lobt Paula Baumgarten vom Landesschülerrat die Bücher. Sie macht selbst gerade Abitur und kennt die Bücher. "Gerade deshalb", so Baumgarten weiter, "sind eben viele Schülerinnen und Schüler hinterher, auch diese Hefte zu bekommen und schaffen sie sich auch an."
Der Stark-Verlag weiß um diesen Trumpf. Ausdrücklich wirbt er damit, dass es sich bei den Vorbereitungstests in den Büchern um Originalprüfungen der vergangenen Jahre handelt. Die Bücher des Verlags allerdings gehen deutlich über die alten Prüfungsaufgaben hinaus. So gibt es zu allen Aufgaben ausführliche Lösungen und Tipps zu Lösungsansätzen. Bei Sprachen wird eben mal eine Kurzgrammatik mitgeliefert, und es gibt zusätzliche Online-Hilfen mit interaktivem Training.
Diesen Mehrwert des Buches will auch Max Kronmüller nicht in Frage stellen. "Es ist auch okay, wenn es ein Zusatzangebot ist, das für Schülerinnen und Schüler bereitsteht. Und wenn sich Schülerinnen und Schüler frei dafür entscheiden, dafür Geld auszugeben, ist das auch okay." Der Haken sei ein anderer, sagt Kronmüller. "Diese alten Klausuren sind so eine gute Quelle zur Vorbereitung. Wer die nicht nutzt, ist im Nachteil. Und momentan können nur die aus diesem Nachteil herauskommen, die auch das Geld dazu haben."
Diesen Vorwurf aber will das Brandenburger Bildungsministerium nicht auf sich sitzen lassen. "Brandenburg verfolgt das Ziel der Bildungsgerechtigkeit unabhängig von der sozialen Herkunft", heißt es aus dem SPD-geführten Ministerium. Das gelte selbstverständlich auch für die Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen. Ausdrücklich verweist man dabei auf die Schulen selbst. "Diese Vorbereitung erfolgt durch die im Unterricht von Lehrkräften vermittelten Inhalte. Sofern Schülerinnen und Schüler weitere Materialien zusätzlich zu Prüfungsvorbereitung erwerben wollen, ist es deren freie Entscheidung", so das Ministerium in einer schriftlichen Erklärung auf rbb-Anfrage weiter.
Dass der Schulunterricht allein ausreiche für die Vorbereitung zu den Abiturprüfungen, sieht Paula Baumgarten vom Landesschülerrat nicht. "Der Lehrplan ist so voll", sagt sie, "dass man in der Schule den Fokus erstmal darauf legt, das Inhaltliche zu vermitteln. Und die ganze Übungssituation, sich auf die Prüfung vorzubereiten, geschieht dann eben individuell in der Freizeit und nach dem Unterricht."
Große Gewinne jedenfalls macht das Bildungsministerium mit dem Verkauf der Prüfungsaufgaben nicht. Eine Gebühr von 200 Euro pro Prüfungsfach und Jahr muss der Stark-Verlag dem Ministerium entrichten. Eine sehr überschaubare Summe für das Unternehmen, macht es doch damit einen Millionen-Umsatz.
Warum aber alte Prüfungsaufgaben nicht einfach frei zugänglich ins Internet gestellt werden, hat für das Ministerium einen anderen Grund. Man verweist darauf, dass Prüfungsaufgaben auch Fremdtexte enthalten können oder Abbildungen. Bei diesen gelte es, Vervielfältigungsrechte oder Urheberrechte zu berücksichtigen, wenn man sie veröffentlicht.
Andere Bundesländer aber sehen diese Probleme nicht. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind die alten Abiprüfungsaufgaben frei im Internet abrufbar. Ein prinzipielles Hindernis also scheint es nicht zu geben.
Die Online-Plattform "Frag den Staat" und Wikimedia wollen jetzt nicht mehr warten. Was für den Stark-Verlag gelte, müsse auch ihnen möglich sein. "Wir versuchen jetzt auch ähnliche Verträge mit den Ministerien zu schließen", sagt Max Kronmüller. "Für Berlin und Brandenburg wollen wir Zugangsrechte für die alten Klausuren haben, damit wir diese dann einfach und kostenlos im Internet zur Verfügung stellen können." Das Land aber sieht Kronmüller dennoch in der Pflicht. "Es ist irritierend, dass das zwei Nichtregierungsorganisationen nebenbei in einer Kampagne machen. Das ist eigentlich eine staatliche Aufgabe."
Noch aber gibt es die einstigen Abiturprüfungsaufgaben nur beim Stark-Verlag. Das ist eine Monopolsituation für den Verlag. Im kommenden Jahr jedenfalls, das kann man schon jetzt auf ihrer Homepage nachlesen, werden die Preise für die Prüfungsbücher steigen. Von derzeit 14,95 Euro pro Buch klettern sie dann auf 18,95 Euro, ein Plus von knapp 27 Prozent.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 21.04.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Andreas B. Hewel
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