"Waldgebiet des Jahres 2023"
Der Choriner Wald im Nordosten Brandenburgs ist als "Waldgebiet des Jahres" ausgezeichnet worden. Er wird bewirtschaftet - aber der Erhalt von Natur und das Fitmachen für den Klimawandel spielen eine große Rolle. Von Ivo Ziemann
Gummistiefel sind in diesen Tagen für einen Spaziergang im Choriner Wald unerlässlich: Es hat in diesem Winter viel geregnet, es ist matschig - aber die Förster freut es nach der Trockenheit der vergangenen Jahre.
Rechts und links der Waldwege wachsen riesige Kiefern kerzengerade in die Höhe, wie an vielen Orten in Brandenburg. Im Choriner Wald wachsen die Kiefern jedoch umgeben auch von Buchen, Eichen und Unmengen verschiedener Sträucher. Dieses Bild ist für Brandenburg nicht selbstverständlich - und das Ergebnis jahrelanger Arbeit von Generationen von Förstern.
Um 1800 war das Gebiet rund um das Kloster Chorin fast vollständig entwaldet. Dann wurde wiederaufgeforstet, mit Kiefern als schnellwachsenden Nutzpflanze. Vor etwa 100 Jahren dominierte im Choriner Wald diese das Waldbild.
Doch inzwischen arbeiten die Förster kontinuierlich am Waldumbau. Das Ziel: mehr Vielfalt. "Eine einzelne Baumart birgt immer ein großes Risiko", sagt Revierförster Dietmar Discher. "Wenn die von Insekten befallen wird, hat man gleich einen großen Flächenschaden."
Viele verschiedene Baumarten, sagt Discher, sorgen für eine gewisse Stabilität. Laubbäume etwa werfen teils mehr Schatten und tragen dazu bei, dass mehr Feuchtigkeit gespeichert bleibt. Das sei besonders wichtig, wenn die Sommer in Brandenburg durch den Klimawandel weiterhin heiß und trocken blieben, sagt Discher. Er als Revierförster ist für die Bewirtschaftung des Waldes zuständig, aber auch, den Wald gesund zu halten. Er sucht die Bäume aus, die gefällt werden können - und bestimmt, wo welche Bäume neu gepflanzt werden.
Im Choriner Wald wird aber auch richtig daran geforscht, wie die Brandenburger Wälder in Zukunft bestehen können. Schon 1871 wurden mit Gründung der "Hauptstation für das forstliche Versuchswesen" in Eberswalde Flächen geschaffen, die Erkenntnisse liefern sollen, wie verschiedene Baumarten mit unterschiedlichen Bedingungen zurechtkommen. Einzelne abgegrenzte Areale beherbergen hier vornehmlich Kiefern, andere wiederum Laubbäume.
Bei der frühen Forschung sei es jedoch vor allem um den Holzertrag gegangen, erklärt Jan Engel vom Landeskompetenzzentrum Forst. "Jetzt haben wir aber eine gesamtökologische Sichtweise." Dabei gehe es beispielweise auch um die Fragen rund um Totholz, also wie abgestorbenes Holz im Wald verbleibt. "Die Entwicklung des Waldbodens unter verschiedenen Bedingungen oder die Vegetation sind weitere Themen." Dabei werde auch eng mit der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde zusammengearbeitet. Regelmäßig gebe es von dort Exkursionen, neue Forschungsansätze oder Publikationen, die sich mit dem Choriner Wald befassen.
Abseits der Versuchsflächen überlassen die Förster die Veränderungen im Wald auch der Natur: durch die Verbreitung von Samen. "Welche Baumarten sich durchsetzen, wissen wir nicht, wir lassen die Natur einfach machen", beschreibt Eberhard Luft, Leiter der Landeswaldoberförsterei Chorin die Idee des natürlichen Waldumbaus. Große Hoffnungen ruhen zurzeit auf der Buche: ein Baum, der besonders gut mit schwierigen klimatischen Bedingungen klarkommt. Überall im Unterholz des Choriner Waldes sind viele kleine Schösslinge dieser Baumart zu sehen. Für sie, sagt Eberhard Luft, müssten die Förster dann nur noch die richtigen Rahmenbedingungen schaffen - wie ausreichend Licht.
Dass der Natur freien Lauf gelassen wird, zeigt sich im Choriner Wald auch an anderer Stelle. Rund um Tümpel, Waldseen und Moore finden inzwischen seltene Arten wie der Schwarzstorch und die Schellente einen Lebensraum. Ohne die natürlichen Bedingungen, die hier in den letzten Jahrzehnten entstanden sind, hätten diese sich wohl nicht angesiedelt.
Und dennoch: Der Choriner Wald war, ist und bleibt auch ein Wirtschaftswald. Das zeigen die Holzstapel an den Waldwegen und das belegt der Krach, den die Rückemaschine macht, die die gefällten Bäume aus bestimmten Bereichen des Waldes holt. Die Oberförsterei in Chorin ist dafür verantwortlich zu sagen, welcher Baum gefällt wird und verkauft das geerntete Holz an Sägewerke oder andere Firmen.
Kahlschlag von Flächen gibt es jedoch nicht mehr. Bei der Bewirtschaftung und dem Fällen wird inzwischen auch stark darauf geachtet, dass Mikrohabitate erhalten bleiben: Höhlen, Bäume mit Löchern oder Rissen, Wasserstellen in und an Bäumen - also Orte, in denen Tiere leben oder ihren Laich ablegen. Bevor im Choriner Wald ein Baum gefällt werde, hätten die Förster ganz genau auf diese Mini-Lebensräume zu achten, sagt Jan Engel vom Landeskompetenzzentrum Forst in Eberswalde.
Gearbeitet wird zwar mit großen Maschinen wie Harvestern, also Holzernte-Maschinen, aber auch die hätten ihre Vorteile, sagt Engel. "Auf einem Getreidefeld ist auch niemand mehr mit einer Sense unterwegs und diese Technik hier kann auch schonend arbeiten", erklärt der Forstwirt. mit moderner Technik könnten die Baumstämme akkurater gefällt werden. "Ein Baum, der mit so einer Maschine gefällt wird, knallt nicht einfach so auf den Boden."
Der Bund deutscher Forstleute hat den Choriner Wald für die besonders nachhaltige und naturnahe Bewirtschaftung in diesem Jahr als "Waldgebiet des Jahres" ausgezeichnet [bdf-online.de]. Der Wald sei ein "Vorbild für den Umbau anderer Waldregionen in ganz Deutschland". Es ist das erste Brandenburger Waldgebiet, das diese Auszeichnung erhält.
Sendung: rbb24 Inforadio, 28.04.2023, 7 Uhr
Beitrag von Ivo Ziemann
Artikel im mobilen Angebot lesen