Interview | Expertin für Allergiediagnostik
Noch sind die Pollenallergiker weitgehend verschont geblieben. Liegt am Wetter, wie Allergie-Expertin Anna Klaus sagt. Sie erzählt außerdem, warum Berliner stärker betroffen sind als Brandenburger. Und warum es in der DDR weniger Betroffene gab.
rbb|24: Frau Klaus, dieses Frühjahr ist ja ungewöhnlich nass und kühl. Heißt das, dass die Pollenbelastung für Allergiker deutlich geringer ist?
Anna Klaus: Das ist richtig. Pollen fliegen besonders dann gut und weit, wenn es sonnig, trocken und windig ist. Und das ist aktuell eben nicht der Fall. Davon profitieren die Pollen-Allergiker. Jemand, der gegen Hausstaubmilben allergisch ist, hat davon nicht so viel.
Wie lange geht denn die Pollen-Saison?
Das hängt auch vom Wetter ab. Allerdings beschränkt sich die Pollen-Saison nicht auf eine Polle. Meist beginnt die Saison im Januar. Sie kann aber in milden Wintern auch schon einmal im Dezember starten. Das erste Allergen, das sich bemerkbar macht, ist meistens die Hasel. Dann folgen Erle und Birke – bis in den April / Mai hinein. Das geht fließend über zu den Gräsern, die im Mai und Juni Saison haben. Im Spätsommer kommen noch die Kräuterpollen hinzu. Da hängt es dann davon ab, wie mild der Herbst ist. Die Saison geht dann bis September oder maximal bis Oktober.
Gibt es eigentlich tatsächlich immer mehr Allergiker oder ist das nur ein Mythos?
Das ist kein Mythos. Man hat seit etwa 1970 beobachtet, dass die Allergien angestiegen sind. Man kann aber nicht pauschal sagen, dass es mehr Allergien gibt. Das wandelt sich auch. Bestimmte Allergien – wie die gegen Nickel oder Latex – haben auch abgenommen. Solche Bestandteile hat man nach Bekanntwerden des Allergiepotentials nach und nach aus Alltagsgegenständen entfernt. Bei Pollenallergikern ist seit Ende der 1990er Jahre ein Plateau zu beobachten. Doch Asthma beispielsweise nimmt weiterhin zu.
Stimmt es, dass sogar Haustiere mit Allergien zu kämpfen haben?
Dadurch, dass Haustiere in der gleichen Umgebung leben und gleichen Umweltfaktoren ausgesetzt sind wie die Menschen, können sie tatsächlich auch die gleichen Allergien entwickeln.
Ist die Allergiegefahr auf dem Land oder in einer Großstadt wie Berlin größer?
Jemand, der in einer Großstadt aufwächst, hat ein erhöhtes Allergierisiko im Vergleich zu Personen, die auf dem Land aufwachsen. Das hängt damit zusammen, dass Dinge wie Feinstaub-Partikel das Allergierisiko erhöhen. Da ist die Exposition in der Stadt viel größer. Auf dem Land wiederum gibt es Faktoren, die vor Allergien schützen. Wer beispielsweise auf einem Bauernhof mit traditioneller Rinderhaltung aufwächst, kann dadurch vor Allergien geschützt sein. Das gleiche gilt für frühen Tierkontakt.
Wovon hängt ab, wie sich ein Frühjahr für Pollenallergiker anfühlt?
Ein Faktor ist, wie es in diesem Jahr ja auch zu beobachten ist, das Wetter. Wenn es kühl und feucht ist, fliegen weniger Pollen. Ein anderer Punkt ist, dass man bei Baumpollen so etwas wie Mastjahre beobachtet. Es gibt also Jahre, in dem Bäume besonders viele Pollen freisetzen. Für die Birke war 2022 ein solches Mastjahr. Bei Birken tritt das ungefähr alle zwei Jahre auf. Für das nächste Jahr können wir also wieder mit mehr Pollen rechnen.
Ist eine Pollenallergie für alle Allergiker gleich schlimm – oder gibt es da Unterschiede?
Da gibt es schon Unterschiede. Es gibt die Pollenallergiker, denen nur ein bisschen die Nase juckt. Andere können sehr starke Beschwerden haben oder auch ein allergisches Asthma entwickeln. Es hängt zum Teil vom individuellen Immunsystem ab, wie stark eine Person reagiert. Aber auch davon, welche weiteren Allergien bestehen. Wenn jemand schon auf Hausstaub reagiert und zusätzlich noch die Pollenbelastung hinzukommt, kann diese Person durchaus heftiger reagieren als jemand, der ausschließlich Pollenallergie hat.
Was können Betroffene tun, um die eigene Situation zu beeinflussen? Wegziehen vom Birkenwäldchen zum Beispiel?
Bei saisonalen Allergenen wie der Birke kann es helfen, wenn möglich, in deren Hochsaison Urlaub in den Bergen zu machen – wo einfach weniger Pollen fliegen. Insgesamt lässt sich die Belastung bei Pollen nur schwer reduzieren. Es wird empfohlen, gut zu schauen, wann man lüftet. Die Belastung ist meist am frühen Abend am höchsten und am Morgen am niedrigsten. Es gibt auch Studien, die zeigen, dass es hilfreich sein kann, einen vorliegenden Mineralstoff- oder Vitaminmangel zu beheben. Primär ist hier eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D, Zink und Eisen wichtig. Es lohnt sich also eventuell, mit dem behandelnden Arzt zu besprechen, was man hier individuell tun kann, um das eigene Immunsystem zu stärken.
Eltern mit hochallergischen Kindern leben oft in großer Angst um ihre Kinder. Bleiben die Pollenallergien den Kindern eigentlich zwangsläufig erhalten?
Kleine Kinder sind primär erst einmal von Nahrungsmittel-Allergien betroffen. Hier besteht gegebenenfalls sogar ein Anaphylaxie-Risiko. Manche dieser Allergien, beispielsweise gegen Ei, Milch oder Weizen, können auch wieder verschwinden. Die Pollenallergien kommen dann im Alter von drei bis sechs Jahren hinzu. Die Situation bei Pollenallergien kann sich unterschiedlich entwickeln. Es gibt immer ein Risiko zu einem Etagenwechsel - das heißt, dass sich ein allergisches Asthma entwickeln kann. Um das zu verhindern sollte man sich früh in ärztliche Behandlung begeben.
Einfach so geht eine Pollenallergie eher nicht mehr weg. Erst im Alter, wenn das Immunsystem nicht mehr ganz so reaktiv ist, können die Symptome sich verschieben oder nicht mehr so ausgeprägt sein.
Womit sollte man seine Pollenallergie am Besten bekämpfen? Mit Antihistaminika-Tabletten oder am Besten mit einer Desensibilisierung?
Symptome kann man mit der Einnahme von Antihistaminika lindern. Obwohl HNO-Ärzte meist zunächst lokal wirkende Mittel wie steroidale Nasensprays oder Antihistaminka-haltige Augentropfen empfehlen, statt Tabletten einzunehmen. Wenn man eine Allergie wirklich nachhaltig therapieren möchte, bleibt jedoch meist nur die Hyposensibilisierung.
Ist Hyposensibilisierung für Menschen jeden Alters geeignet?
Ja, das geht auch schon bei Kindern. Wichtig ist, dass zuvor eine gute Diagnostik durchgeführt wird. Gerade zwischen den Pollen gibt es sehr hohe Kreuzreaktivitäten. Da muss einmal klar der primäre Auslöser der Beschwerden identifiziert werden, um das richtige Präparat auszuwählen.
Aus welchem Grund gab es in der DDR eigentlich weniger Allergien?
Warum es damals weniger Allergien gab, weiß man nicht ganz genau. Es gibt zwei Vermutungen. Zum einen geht man davon aus, dass Kinder in der DDR durch den Krippenbesuch einer höheren mikrobiellen Vielfalt ausgesetzt waren. Nach der sogenannten Hygienehypothese geht man heute davon aus, dass ein früher Kontakt zu möglichst vielen Mikroben eine hohe mikrobielle Vielfalt im Darm fördert, das Immunsystem trainiert und so vor Allergien schützt. Zum anderen gab es deutliche Unterschiede in der Ernährung. In der DDR standen deutlich weniger industriell gefertigte Nahrungsmittel zur Verfügung, sodass die Menschen weniger Zusatzstoffe zu sich genommen haben. Das hat sich mit der Wende geändert und man weiß heute, dass Zusatzstoffe das Darmmikrobiom stören und Allergien begünstigen können. Aber wie gesagt, das sind Hypothesen – genau weiß man es nicht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Prieß, rbb|24.
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