Jüdisches Pessach in Berlin
Am Pessach-Fest geben sich Juden strenge Regeln, was gegessen werden darf und was nicht. Auch Saubermachen ist wichtig. Mit viel Struktur feiern Juden auf der ganzen Welt so die Befreiung des israelischen Volkes aus der Sklaverei. Von Miron Tenenberg
Ein Leben in Freiheit - das wird von Jüdinnen und Juden weltweit gefeiert. Am Mittwochabend beginnt das achttägige Pessach-Fest, das nach dem jüdischen Kalender vom 15. bis 22. Nissan 5.783 dauert, was ungefähr dem 5. bis 13. April entspricht. Hierfür kommen jüdische Menschen und Familien zusammen und feiern die Flucht des israelitischen Volkes aus der Sklaverei Ägyptens vor etwa 3.000 Jahren.
Mit der Freiheit sind jedoch auch die Pflichten gekommen. Zu Pessach gelten strenge Speisevorschriften: Jegliche aus Getreide bestehenden Nahrungsmittel ("Chametz") müssen aus dem Haushalt verbannt werden: Brot, Nudeln, Couscous, Getreidekaffee, Bier und sogar Krümel im Sofa oder zum Beispiel in Büchern. In vielen Haushalten wird das gesamte Geschirr umfangreich rituell gereinigt.
Es ist verboten, gesäuerte Nahrungsmittel zu essen und diese sogar zu besitzen. Daher wird vor dem Fest ein penibler "Pessachputz" veranstaltet. Denn zusätzlich zu den umfangreichen jüdischen Hygieneregeln ("Kaschrut") gelten zu Pessach weitläufigere Gesetze.
Was die brauchbaren Lebensmittel angeht, hat sich ein Trick etabliert: Für die Pessach-Zeit werden einfach alle - für diese Zeit nicht-koscheren - Nahrungsmittel an nicht-jüdische Menschen verkauft. Symbolisch wird eine Summe überreicht und die Lebensmittel gehen in den neuen Besitz über. Damit ist das Problem gelöst. Sollte doch noch etwas übersehen worden sein, dann gilt das als nichtig und der Haushalt bleibt dennoch "koscher für Pessach".
Für den liberalen Rabbiner Edward van Voolen geht es auch um die tiefere, teils verborgene Bedeutung des Saubermachens. Für ihn findet die Befreiung aus der Sklaverei auf mehreren Ebenen statt. "Das ist eine wunderbare Erfahrung, wenn man das Haus reinigt und dabei auch über sich selbst nachdenkt: Was bedeutet das für mich? Reinheit, Sauberkeit, Koschersein? Hat das nur mit Essen zu tun?" Seiner Meinung nach ist es ein jährlicher Neuanfang und Pessach nicht umsonst ein Frühlingsfest.
Klar geregelt ist auch der Ablauf des Seders, des ersten und bei manchen auch des zweiten Pessach-Abends. Eine feste Ordnung gliedert das Festmahl mit seinen Gebeten, rituellen Speisen, Erzählungen und Liedern.
Der Feiertag ist höchst förmlich. Pessach ist kein ausschweifendes, verschwenderisches Fest. Freiheit bleibt an diesem Abend auch eine ernste Angelegenheit. Immerhin geht es nicht nur um den Auszug aus Ägypten, also das Ende der langen Sklaverei, sondern auch um die Geschichte Mosches, also Moses‘, der als Prophet die zentrale Figur in der Tora ist.
Struktur, die Sinn ergibt
Für Nadia Schapiro sind die Regeln keine zusätzliche Last. Sie hat bereits in der Vorwoche den größten Teil des Festes geplant. Ihr gibt die Struktur des Feiertages einen gewissen Halt.
"Struktur ist das Zeichen von Freiheit – und sie so zu strukturieren, dass sie einen Sinn ergibt, das ist der Seder! Eine straffe Struktur als Erinnerung an die Befreiung von der Sklaverei." Der orthodoxen Mutter von sechs Kindern ist vor allem die Weitergabe der jüdischen Traditionen wichtig.
"Nur ein strukturiertes Leben kann weitergegeben werden. Ich kann ein Stück Chaos niemandem beibringen, weil Chaos per se chaotisch ist. Nur ein Stück Struktur kann ich jemandem beibringen, und das kann dann Generationen und Jahrtausende überleben."
Neben den Erinnerungen darf am Seder der Sederteller nicht fehlen. Hierauf werden die symbolischen Ritualspeisen präsentiert: verschiedene Kräuter, ein Ei und ein Lammknochen, eine süße Apfelspeise und die auffälligen Matzot. Das sind dünne, crackerartige Fladen, die nur aus Wasser und Mehl bestehen und in einem speziellen Prozess schnell durchgebacken werden.
Dazu zitiert van Voolen aus der Haggada, dem speziellen Gebetbuch nur für diesen Abend: "Dies ist das Brot der Armut, das ist die Matzot, das unsere Vorfahren in Ägypten gegessen haben. Jeder der hungrig ist, komme und esse. Jeder der in Not ist, komme und feiere mit uns Pessach."
Die jüdischen Gemeinden in Deutschland mit ihren etwa 90.000 Mitgliedern nehmen diesen Aufruf ernst. Oft werden öffentliche Seder-Abende veranstaltet oder es werden sogenannte Pessach-Pakete ausgegeben. Gegen einen Obolus erhalten Gemeindemitglieder dann das Notwendigste, um durch den Feiertag zu kommen.
Der Geschäftsführer des Zentralrates der Juden in Deutschland, Daniel Botmann, zählt auf, was in diesen Paketen steckt: "In einem Pessach-Paket ist ein Kilogramm Matza (ungesäuertes Brot), das reicht aus, um einige Tage über die Runden zu kommen, ein halbes Kilogramm Matzemehl, eine Flasche Kidduschwein und aus guter Tradition eine Dose israelischer Salzgurken."
Das vergangene Pessach stand bereits unter dem Zeichen des russischen Überfalls auf die Ukraine. Viele jüdisch-ukrainische Menschen haben Zuflucht in den Gemeinden gesucht, ein hoher Prozentteil der deutschen Jüdinnen und Juden stammen sogar von dort.
Die chassidisch-orthodoxe Gemeinde Chabad Berlin veranstaltet daher in diesem Jahr einen Seder mit 400 Geflüchteten. Das Leben in Freiheit mag hierzulande zwar gesichert sein, der Umstand, dass nach den einsamen Corona-Pessachfeiern nun bereits ein zweites Pessach während des Angriffskrieges stattfindet, unterstreicht die Ernsthaftigkeit des Feiertages.
Sendung: rbb24 Inforadio, 05.05.2023, 07:35 Uhr
Beitrag von Miron Tenenberg
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