rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama

Leider gibt es ein Problem beim Abspielen des Videos.

Video: rbb|24 | 11.04.2023 | David Donschen | Quelle: rbb/Helena Daehler

Verkehrsführung an Berliner Baustellen

"Das ist für Radfahrende extrem gefährlich"

Radwege werden an Baustellen oft umgeleitet, verengt oder mit der Fahrspur der Autos zusammengeführt. Seit 2021 gibt es einen Leitfaden der Senatsverwaltung für sichere Rad- und Fußwege an Baustellen. Doch der wird nicht immer konsequent umgesetzt. Von Helena Daehler

Vor dem Rathaus Neukölln endet ein Radweg abrupt: Mit gelber Markierung sind die Radweg-Linien auf der Fahrbahn durchgestrichen, das Radweg-Schild ist rot durchkreuzt, und Radfahrende müssen auf die Fahrbahn der Autos. Entlang der Baustelle teilen sich dann Auto- und Radfahrer eine schmale Fahrspur. Immer wieder sind gefährliche Überholmanöver zu beobachten, denn der gesetzlich vorgeschriebene Überholabstand von mindestens 1,5 Metern lässt sich angesichts der Enge nicht einhalten.

Seit zwei Jahren gibt es einen Leitfaden der Senatsverwaltung für Mobilität, der eine sichere Verkehrsführung an Baustellen empfiehlt. Radfahrende sollten demnach idealerweise eine vom restlichen Verkehr getrennte Fahrspur von zwei Metern Breite erhalten. Ist das nicht möglich, schlägt der Leitfaden eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h und ein Überholverbot für Autos vor.

Selbstversuch | Gebühren-, aber nicht risikofrei

Wie ich mein Fahrrad gratis auf einem Autoparkplatz parkte

Seit Anfang des Jahres dürfen Fahrräder in Berlin gratis auf Parkplätzen stehen. Doch was passiert, wenn man sein Rad neben Autos auf den Parkstreifen stellt? rbb-Reporterin Franziska Spiecker hat es ausprobiert.

Empfohlene Priorisierung nicht eingehalten

Die Baustelle vor dem Rathaus Neukölln entspricht nicht einmal den Mindestempfehlungen des Leitfadens. "Das ist für Radfahrende extrem gefährlich", sagt Ragnhild Sørensen vom Verein Changing Cities. Die Fahrradaktivistin sieht hier die Priorisierung der Verkehrsteilnehmenden missachtet, wie sie der Leitfaden vorgibt: "Zuerst muss klar sein, ob der Fußverkehr gut durchkommt, dann der Radverkehr, dann die öffentlichen Verkehrsmittel - und erst dann schauen wir auf die Autos."

Auf Nachfrage des rbb, warum bei der Baustelle an der Karl-Marx-Straße keine separate Fahrspur für Radfahrende eingerichtet wurde, erklärte ein Sprecher der Senatsverwaltung für Mobilität: "Würde man eine eigene Radverkehrsanlage schaffen, müsste mindestens in eine Richtung für den ÖPNV und den Autoverkehr eine Umleitung geschaffen werden." Das sei aufgrund der Belastung der umliegenden Straßen verworfen worden. Zumindest wolle man aber die unklare Spurführung am Beginn des Radwegs, auf die der rbb auch hingewiesen hatte, nochmals überprüfen.

Ragnhild Sørensen von Changing Cities | Quelle: rbb/David Donschen

Leitfaden hat Verbesserung gebracht

Der Leitfaden wurde aufgrund des Mobilitätsgesetzes für Baustellen an Hauptverkehrsadern konzipiert, diese liegen in Senatsverantwortung. Nach einer Schätzung der Fahrradaktivist:innen von Changing Cities entsprechen inzwischen etwa 80 Prozent dieser Baustellen den Empfehlungen des Leitfadens. Auf Bezirksebene seien es dagegen nur circa 20 Prozent.

Eine Anfrage des rbb bei allen zwölf Bezirken hat ergeben, dass fünf Bezirke den Leitfaden bisher nicht oder kaum benutzt haben. Im Pankower Straßenamt war der Leitfaden demnach bisher nicht bekannt. Die Bezirke Reinickendorf, Lichtenberg, Spandau und Treptow-Köpenick verweisen darauf, dass er für die Hauptverkehrsstraßen in Verantwortung der Senatsverkehrsverwaltung konzipiert sei und nicht für die Nebenstraßen in Verantwortung der Bezirke.

Die Senatsverkehrsverwaltung hat allerdings den Bezirken im Mai 2022 empfohlen, sich auch für die bezirklichen Nebenstraßen am Leitfaden zu orientieren. Mehrere der angefragten Bezirke betonen in ihren Antworten, dass sie den Leitfaden zwar nutzen, er sich aber aufgrund von Platzgründen oft nicht umsetzen ließe.

Gut gelöst - zumindest auf einer Seite des Markgrafendamm: getrennte Rad- und Fußgängerspuren. | Quelle: rbb/Helena Daehler

Hemmnisse auf Verwaltungsebene

Thomas Stein vom Deutschen Institut für Urbanistik forscht dazu, woran es auf kommunaler Ebene bei der Radwege-Planung hapert: "Wir stellen an ganz vielen Stellen fest, dass das Thema auf struktureller und Arbeitsprozessebene angegangen werden sollte." Routinen in der Verwaltung müssten aufgebrochen werden und stärker in Projekten gedacht werden. "Bisher wird meist linienhaft gearbeitet: Jede einzelne Stelle bearbeitet hintereinander die Akte – und am Ende kann sich im schlimmsten Fall rausstellen, dass die erst spät eingebundene Straßenverkehrsbehörde oder der Tiefbau Einwände gegen die Pläne erhebt."

Die Enge an Baustellen ist durchaus exemplarisch für die Herausforderungen bei der Verkehrswende – es ist eine Platzfrage. "Wenn der Flächenkonflikt im Sinne der Umweltverträglichkeit gelöst werden soll, wird es schwierig sein, das zu lösen, ohne irgendjemandem etwas wegzunehmen", so Mobilitätsforscher Stein. An vielen Stellen sei zum Beispiel über Parkplätze zu reden. Der Status Quo der Platzverhältnisse sei bei einer ernst gemeinten Verkehrswende nicht zu halten.

Auf der anderen Seite des Markgrafendamm: Wenig Platz für Rahfahrende, es gilt Überholverbot - an das sich allerdings wenige halten. | Quelle: rbb/Helena Daehler

Vorzeigebaustelle in Friedrichshain

Wie der Leitfaden gut umgesetzt werden kann, zeigt sich am Markgrafendamm in Friedrichshain, wo zwischen Persiusstraße und Alt-Stralau gebaut wird. In Richtung Ostkreuz wurden für Radfahrer:innen und Fußgänger:innen zwei baulich voneinander getrennte Spuren eingerichtet. In die entgegengesetzte Fahrtrichtung war dafür laut Senatsverwaltung allerdings kein Platz. Dort teilen sich Auto- und Radfahrer:innen, ähnlich wie am Rathaus Neukölln, eine schmale Fahrspur.

Gemäß Leitfaden wurde hier aber zumindest eine Geschwindigkeitsbegrenzung und ein Überholverbot für Autos eingeführt. Daran halten sich allerdings nicht alle: Autofahrer:innen überholen Radfahrende - und diese wiederum nutzen den Gehweg, um nicht im Stau zu stehen.

Sendung: rbb24, 11.04.2023, 13:00 Uhr

 

Die Kommentarfunktion wurde am 11.04.2023 um 17:03 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Beitrag von Helena Daehler

Artikel im mobilen Angebot lesen