Super Recognizer bei der Berliner Polizei
Sie können sich Gesichter außergewöhnlich gut merken: Super Recognizer. Das ist nützlich, wenn es um die Aufklärung von Straftaten geht. Darum setzt die Polizei zunehmend auf Ermittlerinnen und Ermittler mit dem ganz genauen Blick. Von Jana Herrmann
Mit jedem neuen Foto gerate ich ein bisschen mehr ins Zweifeln: Habe ich dieses Gesicht gerade schon einmal gesehen? Oder war die Nase doch anders? Und die Augenbrauen? Seit einer halben Stunde klicke ich mich durch den Test "Könntest du ein Super Recognizer sein?" - eine Online-Umfrage, die 2015 von der britischen Greenwich University ins Netz gestellt wurde [greenwichuniversity.eu.qualtrics.com].
Inzwischen haben mehrere Millionen Menschen aus aller Welt daran teilgenommen. Wer es ganz genau wissen will (so wie ich), kann nach einem kurzen Einstiegstest drei anspruchsvollere Aufgaben lösen. Doch spätestens als ich nicht mehr sicher bin, ob das auf den schwarz-weißen, immer verpixelteren Bildern nicht auch mein Cousin sein könnte, kehrt die Ernüchterung ein.
Während ich mich allerdings eh nur rein privat dafür interessiere, ob ich "den Blick" besitze, haben andere längst erkannt, wie sie solche Fähigkeiten für sich nutzen können. Daher beschäftigt nun auch die Berliner Polizei erstmals eigene Super Recognizer, zunächst in einem einjährigen Probelauf. Drei Bedienstete und eine Führungskraft nehmen ab Ende April in einer Zentralstelle beim Landeskriminalamt (LKA) ihre Arbeit auf. Je nach Bedarf, sollen später noch weitere Super Recognizer hinzukommen. Das passende Personal stammt aus den eigenen Reihen – im letzten Jahr suchte die Polizei gezielt nach Mitarbeitenden mit besonderem Talent. Etwa 1.400 Beamtinnen und Beamte nahmen an dem Test teil, der extra zu diesem Zweck mit der Neurowissenschaftlerin Meike Ramon von der Universität Lausanne (Schweiz) entwickelt wurde.
Von dem Einsatz der Spezialkräfte verspricht sich die Berliner Polizei einiges: "Super Recognizer sind zum Beispiel in der Lage, Straftäterinnen und Straftäter auch auf sehr schlechtem Bildmaterial wiederzuerkennen. Darüber hinaus können sie fundierte Aussagen dazu treffen, ob unbekannte Verdächtige auf verschiedenen Bildern in unterschiedlichen Tatzusammenhängen auftauchen", erklärt eine Sprecherin der Polizei auf Anfrage von rbb|24. Vor allem Kriminelle, die mehrfach auffällig werden, sollen so schneller gefasst werden. Während des nächsten Jahres will die Berliner Polizei auch herausfinden, für welche Einsatzbereiche sich die Super Recognizer besonders gut eignen. Dafür soll die Zusammenarbeit mit Meike Ramon fortgesetzt werden, die eine der führenden Forscherinnen auf dem Gebiet der Gesichtserkennung ist.
Ziel des Probelaufs sei es, "die gesamte Klaviatur der Einsatzmöglichkeiten für Super Recognizer zu testen, das optimale Modell zu finden, um diese Talente in die Organisation der Polizei Berlin einzubinden und Prozesse weiterzuentwickeln, bei denen Gesichtserkennungsleistungen eine besondere Rolle spielen", heißt es weiterhin von der Polizei. Besonders in den Bereich der Fahndung setze man große Hoffnung. Dass diese nicht unberechtigt ist, zeigen etwa die Ermittlungen zu den Silvester-Krawallen in Berlin, bei denen die Super Recognizer bereits tätig sind. Und auch nach der tödlichen Messerattacke auf einen Taxifahrer in Berlin-Grunewald waren es laut Medienberichten Super Recognizer, die den Tatverdächtigen ausfindig machen konnten.
Noch nicht ganz so weit ist man in Brandenburg. Man arbeite aktuell an einem Konzept für den zukünftigen Einsatz von "Bediensteten mit Super Recognizer-Fähigkeiten", könne aber noch keine Angaben zum Zeitplan oder zur Personalplanung machen, teilte das Brandenburger Polizeipräsidium auf Anfrage von rbb|24 mit. Anders sieht es bei der Bundespolizei aus: 113 Super Recognizer konnten dort bisher mit Unterstützung der Greenwich University gewonnen werden. Wie viele davon in der Region Berlin/Brandenburg tätig sind, müsse aus einsatztaktischen Gründen allerdings geheim bleiben, heißt es von der Pressestelle. Momentan seien weitere Tests geplant, um noch mehr Super Recognizer für die Bundespolizei zu rekrutieren.
"Es handelt sich bei der Fähigkeit um eine angeborene Eigenschaft, die nicht erlernt werden kann", betont eine Sprecherin. "Diese Fähigkeit wird bereits von der Bundespolizei als innovativer Baustein der Fahndungsarbeit genutzt." Neben der Bundespolizei lässt sich mittlerweile eine ganze Reihe internationaler Behörden von der Greenwich University zum Thema Super Recognizer beraten – von der Polizei Queensland (Australien) bis hin zu zahlreichen deutschen Polizei-Dienststellen, beispielsweise in Chemnitz, München und Frankfurt am Main.
Nur etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung, so schätzt die Wissenschaft, zählen zu den Super Recognizern. Spoiler: Ich gehöre nicht dazu. Nachdem ich mich eine Stunde lang tapfer durch unzählige Fotos geklickt habe, erreiche ich eine Punktzahl, die so ziemlich dem Durchschnitt entspricht. Immerhin erhalte ich ein Zertifikat zum Download, auf dem meine Leistung bestätigt wird. Außerdem kann ich mich nun von der Greenwich University zu weiteren Studien einladen lassen, in denen dieses erst relativ neu entdeckte Phänomen noch weiter erforscht werden soll. Was man bisher schon weiß: Super Recognizer merken sich Personen anders, als Menschen, die diese Begabung nicht haben.
Eine australische Studie aus dem Jahr 2022 belegt, dass dabei vor allem der Moment des Einprägens entscheidend ist. Heißt: Super Recognizer können Informationen schneller aufnehmen und daher auch mehr Informationen verarbeiten. Sie konzentrieren sich nicht nur auf die Augen – so wie ich es zum Beispiel während meines Tests versucht habe - sondern erfassen das ganze Gesicht und lenken den Blick kurz auf einzelne Partien. Oft reicht ihnen dann nur ein kleiner Ausschnitt des Gesichts, um Menschen auch nach Monaten oder sogar Jahren wiederzuerkennen - selbst dann, wenn diese ihr Äußeres inzwischen geändert haben.
Am Ende des Test werde ich übrigens noch darum gebeten, Fotos von mir selbst einzusenden, um so die Super Recognizer der Zukunft zu finden und zu schulen. Da könnte der Satz: "Lange nicht gesehen und doch wiedererkannt" auf einmal eine ganz neue Bedeutung in meinem Leben bekommen …
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.04.2023, 12:00 Uhr
Beitrag von Jana Herrmann
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