Gestiegene Nichtschwimmerquote
Das Wetter wird wärmer und für viele heißt das: ab ins Freibad, an den See oder Pool. Doch mit dem Beginn der Badesaison 2023 sind nicht alle Kinder und Erwachsenen sichere Schwimmer. Grund ist pandemiebedingter Nachholbedarf. Von Sylvia Lundschien
Hartgesottene Schwimm-Fans hält kaum etwas vom Wasser fern. Ob Corona-Maßnahmen, eingeschränkte Wasserflächen oder niedrige Wassertemperaturen - unbeirrt ziehen sie ihre Bahnen, drinnen wie draußen.
Vielen anderen sind die Wassertemperaturen Ende Mai an den Seen und Flüssen in Berlin und Brandenburg aber noch etwas zu frisch. Dennoch: Die Badesaison ist offiziell in beiden Bundesländern eröffnet, die Wasserqualität ist in Brandenburg vielerorts hervorragend. In Berlin sind außerdem schon einige Sommerbäder geöffnet. Ideal also für einen Ausflug ans und ins Wasser - egal ob in Badehose, Bikini oder Neopren.
Doch wirklich sicher schwimmen können dabei nicht alle: Im April 2022 teilte die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie mit, dass 35 Prozent aller Kinder in Berlin nicht schwimmen können. Die Zahl hatte sich seit 2017 quasi verdoppelt: Damals waren es nur 17 Prozent aller Berliner Kinder, die nicht schwimmen konnten. Aktuelle Zahlen für die Saison 2023 liegen der Senatsverwaltung derzeit noch nicht vor, so ein Sprecher auf Anfrage.
In Brandenburg war ebenfalls ein Rückgang der Schwimmerquoten und Fünftklässlern zu verzeichnen. Im Schuljahr 2010/11 konnten 94,5 Prozent der Kinder schwimmen, im Schuljahr 2019/2020 nur noch 91,4 Prozent.
Aktuell sind es sogar noch weniger: Unter den erfassten 17.294 Schülerinnen waren zum Ende des Schuljahres 2021/22 laut dem Sportministerium Brandenburg 5.370 Nichtschwimmer. Ihr Anteil beträgt damit 31 Prozent.
Allerdings seien diese Quoten nicht mit den Quoten der Vorjahre zu vergleichen, so Ministeriumssprecher Alexander Engels. Denn seit dem Schuljahr 2021/2022 wird die Schwimmfertigkeit auf Grundlage des neuen Niveaustufenkonzepts geprüft. Dieses löse den Frühschwimmer - das sogenannte "Seepferdchen" - ab und stelle höhere Anforderungen.
Bundesweit konnten 2022 laut einer Umfrage der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und Forsa [dlrg.de] etwa 20 Prozent der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren nicht schwimmen. 2017, als die letzte Umfrage dazu stattfand, konnten nur zehn Prozent der Kinder nicht schwimmen.
Unter den Erwachsenen waren 2022 laut derselben Umfrage über die Hälfte nicht in der Lage, sich sicher im Wasser fortzubewegen. Konkrete Zahlen zu erwachsenen Nichtschwimmern liegen laut DLRG weder für Berlin noch Brandenburg vor.
Grund für die rückläufigen Zahlen ist vor allem die Corona-Pandemie, durch die viele Schwimmkurse ausgefallen sind. Außerdem wurden durch Energieeinsparungen im vergangenen Winter, aber auch Sanierungen an manchen Standorten Bäder zeitweise geschlossen.
Bei den Berliner Bäder-Betrieben (BBB) ist entsprechend die Nachfrage nach Schwimmkursen für Kinder ab fünf Jahren sowie Erwachsene ungebrochen. "Wir sind ausgebucht, kommen gar nicht mehr hinterher", sagt Claudia Blankennagel von den Bäder-Betrieben. Die Schwimmkurse werden in der Regel online angeboten, seien immer "unendlich schnell weg", so Blankennagel. Nur wenige Kurse könnten auch direkt an den Kassen erworben werden.
Aktuell laufen die Kurse noch bis Juni, dann sollen im Sommer Intensivschwimmkurse folgen. Der geplante Vorverkauf starte am 27. Juni, so die BBB-Mitarbeiterin. Am 10. Juli geht es dann mit den Schwimmkursen für Kinder los – 1.600 Plätze soll es dafür insgesamt geben. Weitere Infos finden Interessierte auf der Webseite der Berliner Bäder-Betriebe [berlinerbaeder.de].
Auch der Berliner Schwimm-Verband unterstützt Schwimmfähigkeiten bei Kindern - unter anderem mit dem Projekt "Schulschwimmzentren“. Dabei stehen die Lehrkraft und ein Trainer gemeinsam am Beckenrand, etwa um Kinder mit Wasserangst oder unterschiedlichen Fähigkeiten besser zu betreuen. Durch das Projekt, so Geschäftsführer Manuel Kopitz, konnten einige Bezirke mit hohen Nichtschwimmer-Quoten wie Neukölln oder Mitte diese "erheblich senken". Geplant sei zudem ein Projekt für die Wassergewöhnung von Kita-Kindern in Neukölln und Mitte, das zum August 2023 starten soll.
Aus seiner Sicht sei derzeit das größte Problem beim Abbau der Nichtschwimmer-Quoten der Mangel an Wasserflächen in den Berliner Schwimmhallen, sagt Kopitz. "Kinder aus Kita und Schule können meistens erst zwischen 16 und 18 Uhr vorbeikommen", erklärt er. "Wir nennen das die 'Schokoladen-Zeiten'", denn zu diesen Zeiten gebe es Nutzungskonflikte mit anderen Schwimmerinnen und Schwimmern. Der Geschäftsführer plädiert daher für eine Offensive, um mehr Kindern das Schwimmen beizubringen: "Auf dem Problem werden wir sonst noch eine ganze Weile sitzenbleiben.“
In Brandenburg sei der pandemiebedingt ausgefallene Schwimmunterricht zum Teil über die Schulschwimmzentren oder in Eigenverantwortung der Schulen nachgeholt worden, sagt Alexander Engels, Sprecher des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg. Zusätzlich wurden im Rahmen des Programms "Aufholen nach Corona" Intensiv-Schwimmkurse angeboten, bis Ende April 2023 fanden mehr als 100 Intensiv-Schwimmkurse statt und 1.905 Gutscheine für Teilnahmen an weiteren Kursen wurden ausgestellt. Das Land Brandenburg habe für die Intensivkurse 500.000 Euro bereitgestellt, wovon bislang 150.000 Euro abgerufen worden seien.
Dabei muss es nicht zwangsläufig ein Schwimmkurs sein, um Grundschulkindern das Schwimmen beizubringen. Auch Eltern und Großeltern oder andere schwimmbegeisterte Erwachsene könnten dies tun, erklärt Claudia Blankennagel von den Berliner Bäder-Betrieben. "Die Schwimmkurse sind vor allem dafür, um die Technik zu lernen."
Der Berliner Schwimm-Verein arbeite an einer App, die es Eltern erleichtern soll, Kindern das Schwimmen beizubringen, sagt Geschäftsführer Manuel Kopitz. Die App könnte voraussichtlich Ende des Jahres veröffentlicht werden. Der Verbands-Geschäftsführer ergänzt: "Wegen der Sicherheit ist es aber weiter sinnvoll, auch noch einen Schwimmkurs mit den Kindern zu machen."
Wer seine Fähigkeiten unter Beweis stellen möchte, kann dies am 21. Mai in vielen Berliner und Brandenburger Schwimmhallen oder Freibädern tun. Am "Schwimmabzeichentag 2023" [dlrg.de] können sich alle, die bis dahin das Schwimmen gelernt haben, prüfen lassen und ein Schwimmabzeichen erhalten.
In der vergangenen Badesaison sind in Berlin 16 Menschen, in Brandenburg 17 Menschen bei tödlichen Badeunfällen verunglückt. In Berlin hat sich im Vergleich zu 2021 die Zahl der Badetoten verdoppelt (2021: 8 Tote), in Brandenburg kaum verringert (2021: 18 Badetote).
Dennoch rechnen sowohl die DLRG in Berlin und Brandenburg in der aktuellen Saison nicht mit mehr Badetoten - trotz der gestiegenen Zahlen an Nichtschwimmern. Erfahrungsgemäß liegen laut DLRG die Unfallursachen oft woanders - beispielsweise fehlende Badeaufsicht, Selbstüberschätzung, Risikoverhalten oder Alkoholkonsum. Dennoch, so DLRG-Sprecher Keip, ist "aus unserer Sicht das sichere Schwimmen die beste Lebensversicherung".
Eine wichtige Rollen spiele auch die pandemiebedingte verschleppte Ausbildung von Rettungskräften, so Keip. 2022 wurden beim DLRG Brandenburg 906 erfolgreiche Rettungsschwimmer-Prüfungen abgenommen, davon waren 593 Neuerwerbungen. Ob damit alle benötigten Stellen abgedeckt würden, ließ der Sprecher offen. Es sei jedoch "unmöglich", in der aktuellen Saison jede der zahlreichen Brandenburger Badestellen zu jeder Zeit zu bewachen - zumal weniger als zehn Prozent der Bade-Spots mit Rettungskräften gesichert seien. Dies entscheide auch oft die örtliche Kommune oder die Haushaltslage, so Keip.
Auch in Berlin mangelt es an Rettungsschwimmern - ein weiterer Grund sei der demografische Wandel, so Michael Neiße vom DLRG Berlin. Rettungsschwimmer sei zudem ein Ehrenamt, aufgrund des veränderten Freizeitverhaltens würden sich dafür weniger Menschen engagieren. Alle zu besetzenden Wasserrettungsstationen würden aber in diesem Jahr besetzt werden können, so Neiße.
Bei den Berliner Bäder-Betrieben sei der Bedarf an Rettungskräften nicht mehr "so akut wie nach Corona", sagt Claudia Blankennagel. Derzeit werde aber noch für die Freibäder Verstärkung bei den Rettungsschwimmern gesucht.
Sendung: Antenne Brandenburg, 20.05.2023, 11:57 Uhr
Beitrag von Sylvia Lundschien
Artikel im mobilen Angebot lesen