Berlin-Mitte
Ein langes Gezerre geht in die nächste Runde: Ab Juli sollen wieder Autos durch die Berliner Friedrichstraße fahren dürfen. Allerdings nur unter Vorbehalt: Im Herbst sollen Anwohner dann über die Zukunft der Straße mitentscheiden.
Die Berliner Friedrichstraße wird vorerst ab 1. Juli wieder für den Kfz-Verkehr freigegeben. Das teilte die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt am Dienstag mit.
Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) revidiert damit die Verkehrspolitik des Vorgänger-Senats an der Friedrichstraße. "Wir streben für die Friedrichstraße und angrenzende Bereiche ein städtebauliches Konzept zur bestmöglichen Entwicklung und Gestaltung des Gebietes an, das den Bedarf und die Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner sowie Gewerbetreibenden berücksichtigt", so Schreiner.
Ab Herbst soll dann ein Beteiligungsverfahren mit Anwohnern beginnen, um dieses Konzept zu erarbeiten, wie die Senatsverwaltung weiter mitteilte.
Schreiner reagiert mit ihrer Entscheidung auf mehrere Widersprüche von Anwohnern und ein Eilverfahren vor Gericht. Anrainer versuchen auf diesem Wege, die vom Bezirk Mitte verfügte sogenannte Teileinziehung anzufechten. Sie ist die rechtliche Basis für die Sperrung der Straße für Autos. Schreiner sprach von einem "Moratorium", das sie den Beschwerdeführern angeboten habe.
Der Verkehrssenatorin zufolge geht es bei der zukünftigen Planung ab Herbst um einen größeren Bereich und nicht nur den wenige hundert Meter langen Abschnitt der Friedrichstraße. Die historische Mitte im Umfeld des Gendarmenmarktes, der Friedrichstraße und des Checkpoint Charlie müsse "gemeinsam gedacht" werden, so Schreiner.
Die Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Mitte, Stefanie Remlinger (Bündnis 90/Die Grünen), kritisierte im rbb die Pläne des Senats, die Friedrichstraße wieder für den Autoverkehr freizugeben. Sie sagte der rbb24Abendschau am Dienstag, sie bezweifle, dass dies helfe, die Straße zu beleben und den Konsum anzukurbeln: "Davon, einfach nur Verbrenner wieder durchzuschicken, wird sicher nicht das (Kaufhaus) Lafayette boomen und die Frauen wieder Escada kaufen", so Remlinger.
Verkehrssenatorin Schreiner hatte ihren Einspruch gegen die Sperrung auch mit rechtlichen Bedenken begründet. Die Friedrichstraße war vom Bezirk sofort für den Autoverkehr gesperrt worden. In diesem "sofort" hatte die Senatorin Anlass gesehen, hier einzugreifen. Für dieses "sofort" sei eine Dringlichkeit erforderlich, so Schreiner. "Wir als Widerspruchsbehörde haben die nicht gesehen haben."
Die Entscheidung wird unterschiedlich bewertet. Während der Koalitionspartner SPD sich hinter die Senatorin stellte, kritisieren die Grünen eine "Symbolpolitik", die am Ende vor allem der Friedrichstraße schade.
Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Tino Schopf, nannte die angekündigte Aufhebung der Sperrung richtig. "Das jetzige Erscheinungsbild der Friedrichstraße ist nicht einladend", sagte er. Ähnlich wie zuvor die Verkehrssenatorin plädierte Schopf dafür, einen größeren Stadtraum in den Blick zu nehmen. Neben der Friedrichstraße müssten auch stark frequentierte Orte wie das Brandenburger Tor, der Checkpoint Charlie und der Gendarmenmarkt in die Planung einbezogen werden.
Die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Antje Kapek, nannte die Öffnung der Straße für Autos dagegen "nichts weiter als Symbolpolitik, die am Ende der Friedrichstraße selber schadet". Es sei vollkommen unnötig eine funktionierende Fußgängerzone zu schließen, kritisierte Kapek. "Vor allem wenn im Sommer sehr viele Touristen in die Stadt kommen werden und am Ende des Tages die Gewerbetreiben die Leidtragenden sind, wenn die Attraktivität der Friedrichstraße für den Tourismus sinkt", gab die die Grünen-Politikerin zu bedenken.
Der Generalsekretär der Berliner FDP, Lars Lindemann, sprach von einem gescheiterten Experiment. Es sei daher folgerichtig, dass die Straße wieder für alle Verkehrsteilnehmer freigegeben werde. Lindemann forderte mit Blick auf neue Planungen: "Alleingänge, die nur zu Frust und Spaltung führen, darf es nicht mehr geben."
Auch die AfD begrüßte die Freigabe. Die Friedrichstraße sei die einzige bezirksübergreifende Nord-Süd-Verbindung zwischen Tiergartentunnel und Alexanderplatz und "ist daher für einen funktionierenden Individualverkehr in der Mitte Berlins unverzichtbar", teilte die Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker mit.
Die Nutzung der Friedrichstraße ist seit Jahren umstritten: Der Bereich war ab August 2020 für mehr als zwei Jahre im Rahmen eines Verkehrsversuchs für Autos gesperrt. Dieser Versuch endete im Oktober 2021, die Sperrung wurde aber aufrechterhalten.
Eine Händlerin aus der parallel verlaufenden Charlottenstraße klagte gegen die Sperrung für Autos - und war damit im Oktober 2022 vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich. Zwar hatte die Verkehrsverwaltung nach dem Ende des Verkehrsversuchs beantragt, den Teil der Friedrichstraße dauerhaft umzuwidmen - für die Zwischenzeit durfte der Senat aber nicht aus städtebaulichen Gründen die Sperrung anordnen, urteilte das Gericht. Dies sei nur aus Gründen der Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr möglich, hieß es. Vor dem Abschluss des Umwidmungs-Verfahrens scheide eine Sperrung daher aus.
Ende Januar 2023, also kurz vor der Wiederholungswahl zum Berliner Senat am 12. Februar, kam es dann zu einem offenen Streit im Senat. Die Friedrichstraße wurde auf Betreiben der damaligen Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) und des Bezirks Mitte zu einer Fußgängerzone umgewidmet und erneut für Autos gesperrt. Die damalige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) kritisierte ihre Koalitionspartnerin.
Sendung: rbb24 Abendschau, 23.05.23, 19:30 Uhr
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