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Quelle: rbb/Philip Barnstorf

Klima-Aktivisten besetzen Hörsaal

Entsteht an der HU eine neue Studentenbewegung?

Seit Tagen besetzen Studierende einen Berliner Hörsaal. Viele engagieren sich bei "End Fossil: Occupy!". Das Bündnis will in diesem Monat europaweit Unis besetzen. Wieso gerade jetzt und wie groß könnte die Bewegung werden? Von Philip Barnstorf

Vor dem Emil-Fischer-Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität (HU) stehen am Donnerstag Kaffeekannen, Plastikbehälter mit Trauben, ein paar Tüten mit Keksen und große Brotlaibe in Supermarkttüten. Drinnen hält eine Aktivistin einen Vortrag über "revolutionären Klimaschutz". Rund 30 Menschen hören zu. Immer wieder kommen und gehen einige. Am Rand des Raums liegt eine Luftmatraze. Organisiert wird die Besetzung von dem Bündnis "End Fossil: Occupy!" (EFO).

Laut ihrer Internetseite wollen die Aktivisten die gesamte Energieproduktion in Deutschland vergesellschaften und sie fordern einen Schuldenschnitt für den globalen Süden. "Wir weigern uns, die Zerstörungswut des fossilen Kapitalismus nicht anzuerkennen", sagt Rina Kern von EFO Berlin.

Weitere Forderungen richten sich spezifisch an die HU. So solle die Uni mehr studentische Räume einrichten und nicht mehr für militärische Zwecke forschen. Aber wie groß ist die EFO-Bewegung? Und wieso entsteht sie ausgerechnet jetzt?

Flugbetrieb nicht beeinträchtigt

Klima-Aktivisten beschmieren auf BER-Gelände Kleinflugzeug mit Farbe

Aktivisten der "Letzten Generation" sind auf das Gelände des Flughafens BER eingedrungen und haben ein Kleinflugzeug beschmutzt. Der Flugbetrieb war nicht betroffen. Die Polizei nahm sechs Aktivisten in Gewahrsam.

Studierendenproteste in ganz Deutschland?

Zunächst zur Größe: Laut Rina Kern von EFO übernachten in dem besetzten Hörsaal jede Nacht rund 30 Menschen. Als am Mittwoch Mitglieder des HU-Präsidiums mit den Aktivisten diskutierten, hätten rund 150 Menschen zugehört. Der Telegram-Kanal, auf dem die Besetzer über ihre Veranstaltungen, wie Vorträge oder Theaterabende, informieren, hat sogar knapp 700 Mitglieder. Bis Samstag wollen die Aktivisten den Hörsaal noch besetzt halten.

EFO ist außerdem nicht nur an der HU aktiv. Laut seiner Internetseite hat das Bündnis inzwischen Ortsgruppen in 37 deutschen Städten und im europäischen Ausland, etwa in Barcelona und Wien. Seit dem vergangenen Jahr besetzen EFO-Aktivisten immer wieder Uni-Hörsääle und Schulen. Laut Rina Kern waren es im vergangenen Jahr in Deutschland circa 20, wobei einige Räume nur für einen Tag besetzt worden seien.

Aktuell sind etwa Auditorien in Regensburg und München besetzt. In Berlin haben außerdem am Dienstag Schüler einen Raum ihrer Schule in Hellersdorf übernommen, allerdings nur für einen Tag.

"Dieses Potenzial war seit vielen Jahren nicht da"

In diesem Monat sollen weitere Aktionen dazukommen. "Auf unserem internationalen Kongress in Bern haben wir vor drei Monaten entschieden, dass wir im Mai besetzen wollen", sagt Rina Kern. Sie zeigt sich zuversichtlich, dass der Protest noch größer wird.

Wie realistisch das ist, vermögen Wissenschaftler, die politisches Engagement unter Studierenden erforschen, bisher nicht zu sagen. Dafür ist die Bewegung noch zu jung. Immerhin: Roland Bloch, der an der Universität Halle zu Hochschulen forscht, findet es "faszinierend, dass die Besetzungen dezentral in der gleichen Form passieren".

Rina Kern sagt: "Wie groß das Ausmaß der Bewegung ist, wird sich über den Mai zeigen." Gerade auch mit Schulbesetzungen könne man die Themen in den Alltag von vielen Menschen tragen. "Dieses Potenzial war seit vielen Jahren nicht da."

Studierende heute arbeitsmarktorientierter

Aber wieso entsteht diese Bewegung in den Unis gerade jetzt? Noch in den 1960er und 1970er Jahren hatten vor allem Studentinnen und Studenten eine breite gesellschaftliche Liberalisierung angestoßen. Heute bestimmt der Klimawandel schon seit Jahren die Debatte, aber spezifisch studentisches Engagement ist dazu bisher nicht prominent entstanden.

"Avantgarde sind die Studierenden diesmal nicht", sagt Bildungsforscher Roland Bloch. Dabei ist der Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung seit den Protesten der 68er sogar gewachsen. Das führe aber nicht unbedingt zu mehr politischem Engagement, sagt Bloch. Denn dadurch werde die Studierendenschaft auch heterogener. "Gerade Studierende aus nichtakademischen Elternhäusern müssen sich für ihr Studium häufiger rechtfertigen. Sie tendieren daher dazu, nutzenorientiert in Bezug auf die berufliche Verwertbarkeit zu studieren", so Bloch weiter.

Aber auch in der Breite der Studierendenschaft werde heute stark auf die eigene Qualifizierung für den Arbeitsmarkt geachtet. “"Dabei stehen politische Themen nicht so hoch auf der Agenda."

Klimaprotest vor allem durch Fridays-For-Future

Sowohl Bildungsforscher Bloch als auch Rina Kern zeigen sich allerdings sicher, dass schon bei den Fridays-For-Future Demos auch viele Studierende dabei waren. "Es gab vor drei oder vier Jahren das Gefühl, mit dieser Aktionsform können wir alles erreichen", sagt Kern, "Durch die Pandemie wurde diese Dynamik gebrochen. Jetzt kommen neue Aktionsformen dazu. Es ist wichtig, dass es alle gibt: Demos, Straßenblockaden, Besetzung von Kohlebaggern, Unibesetzungen."

Beitrag von Philip Barnstorf

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