Durchsuchungen auch in Berlin - Keine Festnahmen
Die Polizei hat in mehreren Bundesländern Durchsuchungen bei mutmaßlichen Mitgliedern und Unterstützern der "Letzten Generation" durchgeführt. In Berlin wurde auch die Wohnung eines bekanntes Gesichts der Gruppe durchsucht.
Bei einer großangelegten Razzia gegen Aktivisten der Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" ist auch die Wohnung ihrer Sprecherin Carla Hinrichs im Berliner Stadtteil Kreuzberg durchsucht worden. Das bestätigten die Aktivisten am Mittwoch. Hinrichs ist Mitgründerin der Gruppe und war im März wegen der Teilnahme an einer Straßenblockade zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
Insgesamt durchsuchten rund 170 Polizeibeamte am Mittwochmorgen 15 Wohnungen und Geschäftsräume der Klimaschutzgruppe in sieben Bundesländern. Die Razzia wurde im Auftrag des Bayerischen Landeskriminalamts und der Generalstaatsanwaltschaft München durchgeführt. Hintergrund ist ein Ermittlungsverfahren der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET).
In Berlin gab es Durchsuchungen gab es an vier Orten. Darüber hinaus waren Polizeibeamte in Fulda, Hamburg, Magdeburg, Dresden, Augsburg, München und im Kreis Segeberg (Schleswig-Holstein) im Einsatz.
Die Beamten stellten Konten und Vermögenswerte sicher. Die Website der Gruppe wurde auf Anweisung der Staatsanwaltschaft "beschlagnahmt und abgeschaltet", wie ein Polizeisprecher sagte. Inzwischen ist sie unter einer neuen Adresse allerdings wieder online. Die Durchsuchungen verliefen ersten Informationen nach friedlich. Es gab keine Festnahmen.
Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte, die zwischen 22 und 38 Jahre alt sind. Fünf von ihnen wird nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen, zweien die Unterstützung.
Konkret werden sie beschuldigt, eine Spendenkampagne zur Finanzierung "weiterer Straftaten" für die "Letzte Generation" organisiert, die über deren Website beworben und dadurch mindestens 1,4 Millionen Euro an Spendengeldern eingesammelt zu haben. Das Geld sei auch überwiegend für die Begehung weiterer Straftaten eingesetzt worden, hieß es. Die aktuellen Ermittlungen würden sich aber nicht gegen die Spender richten, sagte ein Sprecher dem rbb.
Zwei Beschuldigte stehen zudem im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren.
Das Verfahren wurde der Behörde zufolge "aufgrund zahlreicher Strafanzeigen aus der Bevölkerung, die seit Mitte des Jahres 2022 eingingen", eingeleitet. Im Verlauf der Ermittlungen habe sich herausgestellt, dass sich die Fälle auf das Bundesgebiet ausweiten, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München gegenüber dem rbb. In München würde die Federführung liegen, andere Bundesländer leisteten aber Amtshilfe, hieß es weiter.
Allerdings geht es bei den Ermittlungen bislang nicht um konkrete Taten, wie der Pressesprecher des LKA Bayern, Ludwig Waldinger, im rbb24 Inforadio betonte, "sondern um die Finanzierung einer kriminellen Vereinigung", so Waldinger.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte, die Maßnahmen zeigten, "dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt". Polizei und Justiz nähmen Straftaten nicht hin, sondern handelten, sagte sie der Funke-Mediengruppe.
Legitimer Protest ende immer da, wo Straftaten begangen und andere in ihren Rechten verletzt würden: "Wenn diese rote Linie überschritten ist, dann muss die Polizei handeln."
Im Zusammenhang mit Klimaprotesten hätten die Polizeibehörden im vergangenen Jahr mehr als 1.600 Straftaten registriert. Ein großer Teil davon gehe auf Straftaten bei den Straßenblockaden und anderen Aktionen der "Letzten Generation" zurück, erläuterte Faeser. Sie habe kein Verständnis für diese Aktionen. "Wir können die Klimakrise nur demokratisch bekämpfen", betonte sie. Der Rückhalt in der Gesellschaft sei die entscheidende Grundlage dafür: "Wer andere im Alltag blockiert und ihnen das Leben schwermacht, der schadet dem Klimaschutz."
Die Aktivistengruppe äußerte sich nur kurz: "Lobbystrukturen durchsuchen und fossile Gelder der Regierung beschlagnahmen - Wann? Bundesweite Razzia. #VölligBekloppt" hieß es auf Twitter in Anspielung auf eine Aussage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag vor Schülern in Kleinmachnow. Scholz hatte die Klebe-Aktionen dort als "völlig bekloppt" bezeichnet.
Auf einer Pressekonferenz am Mittwochmittag sagte Sprecherin Aimee van Baalen, die Hausdurchsuchungen hätte alle Unterstützer der "Letzten Generation" hart getroffen. "Sie machen uns Angst", hieß es. Aber man dürfe nicht in dieser Angst verharren. Die Bundesregierung würde "uns sehenden Auges in eine Klimahölle fahren". Sie drücke sogar aufs Gaspedal, sagte van Baalen und: "Wir müssen jetzt weiter Widerstand leisten."
Gleichzeitig betonte van Baalen, dass sie an den Rechtsstaat glaube. Man habe keine Angst vor einem Prozess.
Bereits am Mittwochabend protestierten Unterstützerinnen und Unterstützer in einigen Deutschen Großstädten. In Berlin kamen nach Angaben der Polizei rund 300 Unterstützer auf der Straße des 17. Juni zu einer Demonstration zusammen. Sie gingen auf der Straße verteilt langsam Richtung Brandenburger Tor. Auch in Hannover, Hamburg und Dresden hatte die Letzte Generation via Twitter zu spontanen Demos aufgerufen.
Die Website der Aktivisten ging am Mittwochnachmittag unter einer veränderten URL wieder online. Im sozialen Netzwerk Twitter hatte zuvor ein Screenshot für große Diskussionen gesorgt, in dem ein Text der Generalstaatsanwaltschaft München zu sehen war, der nach Aufrufen der ehemaligen URL der Klimaaktivisten kurzzeitig zu sehen gewesen sein soll. Dort hatte es geheißen, die Letzte Generation stelle eine kriminelle Vereinigung dar und dass Spenden mithin ein strafbares Unterstützen einer kriminellen Vereinigung darstellen würden.
Wie die Tagesschau berichtet, hat die Generalstaatsanwaltschaft auf Anfrage inzwischen eingeräumt, mit der Formulierung einen Fehler gemacht zu haben, sie sei unzutreffend, heißt es.
Aktivisten der Gruppe "Extinction Rebellion" haben sich derweil mit den Beschuldigten solidarisiert. "Lobbys und Konzernen legen wir das Handwerk nur gemeinsam", schrieben die Umweltschutz-Aktivisten am Mittwoch auf Twitter und bekundeten ihre Unterstützung.
Razzien mit dem Strafrechtsparagrafen 129 zu begründen - der Bildung krimineller Vereinigungen - solle "umfassende Überwachung ermöglichen, Rechte und Demokratie aushebeln und vor allem: von den wahren Kriminellen ablenken", erklärte Extinction Rebellion weiter.
In der Mitte des Sommers während der Ferien in vielen Bundesländern will die Gruppe vom 15. Juli bis 6. August ihre Blockaden unterbrechen. Zuvor soll es aber ab dem 5. Juni eine "Kampagne Superreiche" geben.
Ab dem 7. August will sich die Gruppe dann auf eine Kampagne besonders in Bayern konzentrieren, wo im Herbst ein neuer Landtag gewählt wird.
Die Aktivisten der "Letzten Generation" blockieren seit Wochen durch verschiedene Aktionen regelmäßig den Verkehr, vor allem in Berlin.
Auch auf Flughäfen oder gegen Öl-Pipelines gab es schon Aktionen. Nach Übergriffen auf die PCK-Raffinerie in Schwedt gab es im Dezember bereits eine bundesweite Razzia gegen die Aktivistengruppe.
Die strafrechtliche Einordnung der Gruppe wurde zuletzt vielfach diskutiert. Während das Landgericht Potsdam einen Anfangsverdacht zur Bildung einer kriminellen Vereinigung bejaht, sieht das die Staatsanwaltschaft Berlin nicht gegeben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.05.2023, 08:20 Uhr
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