Interview | ESC-Fan in Liverpool vor Ort
Am Samstag findet das Finale des Eurovision Song Contest (ESC) in Liverpool statt. Deutschland wird von der Band Lord of the Lost vertreten. Frank Lochthove aus Berlin ist live dabei. Er schwärmt im Interview von der Gastfreundschaft der Briten.
rbb|24: Herr Lochthove, Sie sprechen mit uns aus Liverpool. Wie kann das Finale des ESC denn dort begangen werden?
Frank Lochthove: Es ist wirklich ganz toll, wie die Fans hier in Liverpool empfangen werden. Die Stadt ist sehr gut vorbereitet auf den ESC. Es ist schon die ganze Woche viel los. In vielen Clubs wird Eurovision-Musik gespielt und auch die Menschen auf der Straße sind wahnsinnig freundlich und offensichtlich gerne Gastgeber. Auch am Samstag wird für die Fans eine ganze Menge geboten. Man kann das Finale im Eurovision-Village, vor Ort in der Halle – auch wenn dafür nur schwer Karten zu bekommen sind – oder beim Public Viewing in einem Pub ansehen. Als Fan fühlt man sich umarmt und sehr willkommen in Liverpool.
Wie oft waren Sie schon vor Ort beim ESC-Finale dabei?
Zum ersten Mal live dabei war ich, als der ESC 2011 in Düsseldorf stattfand. Das hat mich so begeistert, dass ich ab dann jedes Jahr versucht habe, Karten zu bekommen und die Fahrt mit meinem Urlaub und der Reise zu verbinden. So war ich dann 2015 in Wien, 2018 in Lissabon und 2019 in Tel Aviv. Und jetzt bin ich in Liverpool.
Hat sich die Veranstaltung in dieser Zeit verändert?
Der ESC war schon 2011 ein riesengroßes internationales Event, bei dem sich Fans aus der ganzen Welt treffen. Man kennt sich untereinander, weil man ein gemeinsames Thema hat. Der ESC ist nicht einfach nur eine Fernsehsendung, sondern da gibt es eine sehr starke Fankultur. Hier gibt es an jedem Abend Partys, an den Nachmittagen Zusammenkünfte der Fan-Clubs. Es ist einfach die ganze Zeit etwas los.
Und das begeistert Sie so sehr?
Ja. Und nur als Anekdote: Als ich gestern Abend in einen Club ging, habe ich dort einen Freund aus Israel getroffen, den ich längere Zeit nicht gesehen hatte. Von ihm wusste ich gar nicht, dass er hier ist. Das ist toll, man sieht sich, man feiert zusammen, man hat die Lieder, die man alle gemeinsam singen kann. Da ist jeder textsicher – ob das Finnisch ist oder Maltesisch. Ich glaube, der internationale Gedanke von Völkerverständigung ist nirgends so gut verwirklicht wie beim ESC. Da wird jedes Lied über Ländergrenzen hinweg gefeiert. Das ist der Spirit, wegen dem ich Eurovision-Fan bin.
Was ist Ihr persönlicher Lieblings-ESC-Hit?
Es ist "Ein bisschen Frieden". Weil es der allererste ESC war, den ich 1982 als kleiner Junge gesehen habe. Da habe ich mich sofort in Nicole und das Lied verliebt – das ja leider bis heute aktuell geblieben ist. Es ist ein Jahrhundert-Lied, das alle Zeiten überdauert.
Sind sie zufrieden mit Lord of the Lost und "Blood & Glitter", dem Song, mit dem die Band in diesem Jahr Deutschland vertritt?
Wenn ich jetzt gerade gesagt habe, dass "Ein bisschen Frieden" mein Lieblingslied ist, ist das natürlich ein komplett anderes Genre. Aber als deutscher Fan bin ich froh, dass wir einen international bekannten Act haben. Das ist eine tolle Band und das sind tolle Repräsentanten für unser Land. Jetzt müssen wir die Daumen drücken, dass sich das am Samstag auch in Punkten widerspiegelt. Aber Finnland, das ja zu Rockmusik tendiert und regelmäßig rockige Beiträge geschickt hat, hat Fans, die mir schon zugesichert haben, dass die finnischen Punkte in diesem Jahr sicherlich an uns gehen. Ansonsten ist der Jahrgang unfassbar stark. Da sind viele tolle Stücke und Sänger dabei. Ich war zwei Mal in der Halle bisher und habe alle Auftritte schon gesehen. Sie sind alle ganz toll inszeniert. Man hat da ja seine 180 Sekunden, in denen sich zeigen kann. Darauf bereiten sich alle monatelang vor. Da hat jedes Land das Maximus rausgeholt. Das wird toll am Samstag.
Warum starten eigentlich selten wirkliche Stars aus Deutschland?
Der ESC soll ja auch für junge Künstler eine Plattform sein. Da müssen nicht die ganz großen Superstars eines Landes nominiert werden. Außerdem muss man auch sagen, dass es Künstler gibt, die mit einem solchen Auftritt auch etwas zu verlieren hat. Wenn eine Patricia Kaas aus Frankreich für ihr Land antritt und nur einen achten oder neunten Platz erreicht, dann denkt keiner, dass sie das gut gemacht hat. Sondern man fragt sich, warum sie denn nicht weiter vorn gelandet ist. Insofern kann ich gut verstehen, dass jemand wie beispielsweise Helene Fischer für Deutschland nicht sagt, sie macht das. Denn alles unter dem Sieg wird dann vielleicht so diskutiert, als sei das nicht gut genug.
Ich persönlich bin aber auch ganz froh, dass es da nicht immer um die Supernamen geht. Denn schließlich geht es um das Lied, den Text, die Komposition und die Inszenierung.
Was müsste sich beim ESC verändern, damit er noch toller wäre?
Der ESC ist die tollste Veranstaltung der Welt. Man merkt, dass sich die Veranstalter wahnsinnig viel Mühe geben und jedes Jahr die Regeln noch einmal überprüfen. Dieses Jahr darf zum ersten Mal der Rest der Welt mit abstimmen. Was für eine tolle Idee! Ich habe seit 1982 jeden ESC geschaut. Die Entwicklung, die dieser Wettbewerb genommen hat – das ihn mittlerweile jeder kennt, ist doch toll. An einem Abend im Jahr ist Europa zusammen, schaut dieselbe Fernsehsendung und diskutiert, was die beste Musik dieses Kontinents ist. Das ist unübertrefflich. Da muss ich an nichts mäkeln. Ich möchte das einfach feiern. Deshalb sagen sicher auch viele Künstler, dass wir ESC-Fans das beste Publikum der Welt sind. Man spricht sicher nicht umsonst davon, dass es den Gedanken der Eurovision-Family gibt.
Sie gehören zum ESC-Stammtisch in Berlin. Wie kann man sich das vorstellen?
Wir feiern nicht nur den einen Tag im Jahr, sondern haben über das Jahr verteilt verschiedene Treffen. Wir veranstalten beispielsweise eine regelmäßige Karaoke einmal im Monat. Dann veranstalten wir einen Wettbewerb, den wir "Spree-Grand-Prix" nennen. Da kann jeder einem Land zugelost ein Lied einreichen und wir stimmen ab. ESC-Fans stimmen einfach gerne ab. Und dann gibt es da noch die Treffen, bei denen wir uns vor allem unterhalten und austauschen. Bei uns ist jeder herzlich willkommen, der an der ESC-Fankultur teilnehmen möchte.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess.
Sendung: Radioeins, 13.05.2023, 08:20 Uhr
Artikel im mobilen Angebot lesen