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Biergarten Haus Zenner im Treptower Park | Quelle: IMAGO / Joko

Sommer in Berlin

"Endlich" wieder draußen saufen

Die Tage sind lang, die Sommernächte lau, das Bier fließt. Alkohol zu trinken gehört zum Berliner Sommer. Laura Kingston über den Stoff, der alle soziale Schichten und jeden Winkel der Stadt erreicht.

Vielleicht sage ich, dass ich morgen früh raus muss. Oder dass ich Antibiotikum nehme? Bei der Hitze ist mir schwindelig - deswegen trinke ich nur Wasser? Ausreden wie diese wälze ich in meinem Kopf hin und her, während ich Richtung Berlin-Mitte laufe. Berlin feiert Fete de la Musique. Ich auch, will aber keinen Alkohol trinken. Sollte einfach sein, denke ich.

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Der Berliner Sommer ist die Entschädigung für den Berliner Winter. Egal, in welchem Kiez - die Berliner feiern das Leben und damit die Tatsache, einen weiteren Winter überlebt zu haben. Und womit könnte das besser gefeiert werden als mit einem Aperölchen (it's Spritz a'clock), einem kühlen Bier ("Kein Bier vor vier" gilt im Sommer nicht) oder einem Prosecco, der auch gerne zum "Boozy Brunch" (zu Deutsch: beschwippstes Frühstück) gereicht wird. Was im Winter als Erkennungszeichen für Obdachlose gilt, ist im Sommer auch Hobby der Gutbetuchten: Trinken in der Öffentlichkeit.

Alkohol überwindet soziale Schichten

So schlendere ich also entlang der Kastanienallee, an endlosen Tischen mit lachenden Menschen vorbei. Vor ihnen: Bier, Wein, Cocktails - und ich stelle meine Entscheidung, heute Abend keinen Alkohol zu trinken, direkt in Frage. Was kann das schon für schlimme Folgen haben?, denke ich, als ich an den gutgelaunten, trinkenden Menschenpulks vorbeilaufe. Nicht nur die schicken Prenzlberger, auch die Bauarbeiter mit dem Feierabendbier fallen mir ins Auge. Menschen mit Kinderwagen, andere mit Buch und alleine in der Kneipe. Alkohol ist für alle da - ob reich arm, schick, verranzt, Arbeiterklasse oder Bildungsbürgertum.

Schon wenig Alkohol schadet dem Gehirn

Studien zu Alkohol gibt es viele. Die ergeben hin und wieder, dass Rotwein gesund fürs Herz und Bier super für einen ruhigen Schlaf ist. Allerdings ziehen viele Studien, gerade in den letzten Jahren, eher eine andere Bilanz: Alkohol schadet dem Gehirn schon in kleinen Mengen [psych.ox.ac.uk, Studie der Universität Oxford, 2022]. Ernüchternd. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Kater macht selbst den schönsten Sommertag kaputt

Nicht nur weil ich diese Infos habe, möchte ich jetzt mal auf Alkohol verzichten. Ich möchte vor allem darauf verzichten, weil ich merke, dass ich nicht den gleichen Stoffwechsel habe wie noch vor zehn Jahren und jeden Morgen - nach einem der klassischen Berliner Sommerabende - Kopfweh habe und eher die seelische Verfassung, die zum Berliner Winter passt. Die Erinnerung an den letzten Kater krame ich hervor, als ich durch den Weinbergpark laufe, dessen Geräuschkulisse neben Geräuschen von spielenden Kindern und lachenden Trinkern durch das Klirren der Pfandsammler gespickt ist. Hier gibt es kein vornehmes Glas Wein, sondern das ehrliche Späti-Bier - gesoffen wird so oder so.

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Wie viel Alkohol ist normal?

Zurück zu der ernüchternden Erfahrung, dass schon ein bisschen Alkohol dem Körper schädigt. Ab wann wird es kritisch? Ab wann ist man Alkoholiker? Wie viele Späti-Biere im Park und Bio-Weine in der Bar sind "normal"?

Einen sogenannten riskanten Alkoholkonsum hatten 2019/20 etwa 5,8 Prozent der Berlinerinnen und gut ein Fünftel (19,6) aller Berliner. Das besagt eine Erhebung der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege [berlin.de]. Riskant bedeutet in dem Fall, "sie trinken umgerechnet mehr als 100 Gramm Reinalkohol pro Woche". 100 Gramm Reinalkohol - das sind circa fünf große Biere oder anderteinhalb Flaschen Wein.

Alkohol als soziales Gleitmittel

30 Minuten und etliche sich Zuprostende und Trinkende später bin ich am Treffpunkt. Ich umarme meine Freundin, die mich mit einem Cocktail in der Hand begrüßt, und entscheide mich, einfach unkommentiert zu lassen, dass ich an dem Abend nicht trinken werde. Ich hole mir ein lauwarmes Wasser und lasse die Musik auf mich wirken. Eine Freundin wird von einem Mann umarmt und stellt ihn mir vor. Seine erste Frage: Willst du einen Drink? Ich zeig auf mein Wasser und sage "Nein, danke!" Sein Blick: enttäuscht.

Ich versuche ein Smalltalk-Thema zu finden, bei dem ich mitreden kann. Die schlechten Drinks, über die die beiden reden, kann ich ja nicht beurteilen. Ich schaue mich um in der Masse an Leuten, alle jung, alle hip, alle mit Sekt in der Hand. Ich fühle mich wie eine Flasche 4711 Kölnisch Wasser in einem Raum voll Chanel. Unwohl, unpassend. Jetzt wechselt der DJ. Meine Freundin lehnt sich zu mir rüber und sagt: Wir brauchen wohl ne Menge Prosecco, um diese Musik zu ertragen. Ich grinse ein steifes Grinsen.

Zahl der Alkoholiker steigt in Berlin

Wer auch mal Wochen mit "riskantem " Konsum hat (Erinnerung: mehr als fünf große Bier in einer Woche), der ist noch nicht gleich Alkoholiker. Alkoholmissbrauch ist nach Definition der Caritas jeder Alkoholkonsum, der zu körperlichen, seelischen und/oder sozialen Schäden führt [www.caritas.de]. Für die Diagnose Alkoholabhängigkeit müssen nach dem Klassifikationssystem ICD-10 mindestens drei der dieser Kriterien erfüllt werden: unbezwingbares Verlangen, Alkohol zu trinken, verminderte Kontrollfähigkeit, Entzugssymptome, Toleranzentwicklung, Einengung auf den Substanzgebrauch, Konsum trotz schädlicher Folgen.

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Eine neue Kinderklinik, schnellere Anerkennung ausländischer Pflegekräfte: CDU und SPD in Berlin haben sich in ihren Koalitionsgesprächen auf wichtige Punkte in der Gesundheitspolitik geeinigt. Auch der Drogenkonsum wurde thematisiert.

Die Zahl der diagnostizierten Alkoholiker in Berlin steigt seit Jahren. Nach einer Studie der Krankenkasse Barmer sind es im vergangenen Jahr sechs Prozent mehr gewesen als noch vor sechs Jahren. 64.000 Menschen haben 2022 in Berlin die Diagnose "Alkoholismus" bekommen. Damit liegt das Land 25 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Mehr Alkoholiker gibt es nur in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Bremen und Hamburg.

Die schwierigen vier Buchstaben: "Nein"

Alkoholiker gab es in meiner Familie, aber das ist schon lange her und wird vehement totgeschwiegen. Zu lecker schmecken die gemeinsamen Drinks an Weihnachten und Geburtstagen, als dass wir uns die Stimmung von alten Kamellen der alkoholkranken Großeltern versauen lassen wollen. Daran denke ich also selten - auch nicht bei der Fete de la Musique, bei der ich seit einer Stunde an einem Wässerchen und einem Lutscher rumgenuckelt habe. Ich gehe auf Toilette, denke, ich gehe gleich - macht doch alles keinen Spaß hier. Musik zu schlecht, Leute zu aufgedreht für meine Stimmung. Als ich zurückkomme, steht da meine Freundin an der Bar und sagt: Ich hab dir einen Sekt bestellt. Ich trinke ihn - ohne Gegenwehr.

Beitrag von Laura Kingston

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