Vorbereitungen bei Bahnunternehmen
Volle Regios sind fast normal, doch das Deutschlandticket hat die Situation wohl verschärft. Warum die Bahnunternehmen während der Hauptreisezeit kaum Verstärkung bieten können - und was Fahrgäste tun können. Von Sylvia Lundschien
Es ist ein gar nicht unübliches Szenario: Ein heißer Sommertag, vielleicht Sonntagnachmittag, man war am See, bei Oma und Opa, die Sonne knallt auf den Bahnsteig, der sich immer mehr füllt. Der Durst ist groß, das Kind neben einem schon ziemlich müde, man will nur eines – nach Hause. Endlich rollt der Regio ein, mit Verspätung, doch hier stapeln sich Menschen und Koffer, Fahrräder, Rollatoren und Kinderwagen in den Gängen, auf den Treppen, jeder Quadratzentimeter ist belegt.
Es ist stickig-warm, manchmal funktioniert die Toilette nicht mehr. Dann hält der Zug auf freier Strecke, vielleicht nur Minuten, die sich jedoch quälend lang anfühlen können. Keine Durchsagen, kein Zugpersonal. Was – zugegeben – hier ein Worst-case-Szenario ist, ist aber keinesfalls unrealistisch, wie das Beispiel des gestrandeten Zuges RE2 am vergangenen Wochenende zeigt.
Kommt eventuell sogar noch ein Streik bei der Bahn dazu, ist das Chaos wohl komplett – sowohl für Pendler als auch Ausflugs-Reisende.
Wie sind die Bahnunternehmen überhaupt auf die Hauptreisezeit vorbereitet oder sind die Regionalzüge nicht jetzt schon viel zu voll? Dem widersprechen zwei der großen Bahnunternehmen in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern nicht gänzlich. So informiert ein Sprecher der Deutschen Bahn, dass man zwar eine "gestiegene Nachfrage" feststelle. Diese sei "jedoch nicht vergleichbar mit dem 9-Euro-Ticket", das vor einem Jahr für teils heillos überfüllte Züge sorgte. Vor allem die Linien zur Ostsee seien stark nachgefragt an schönen Wochenenden, an Feiertagen und in der Urlaubszeit.
Auch die Ostdeutsche Eisenbahn GmbH (ODEG) bestätigt dem rbb, dass es auf den Strecken in Mecklenburg-Vorpommern im Sommer voller sei; ebenso verzeichne man "in Brandenburg oder auf der Berliner Stadtbahn ein erhöhtes Fahrgastaufkommen." Dies werde auch durch das Deutschlandticket begünstigt. Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg schreibt zudem: "Die Züge sind hier in der Tat sehr gut frequentiert, absolute Spitzen sind hier nicht auszuschließen und auch unvermeidbar."
Rollt so eine "Sardinenbüchse" einmal ein, stöhnen viele Fahrgäste schon am Bahnsteig: Könnte man da nicht einfach noch einen Wagen dranhängen? Für genervte Reisende ist es oft nicht nachvollziehbar, warum die Bahnunternehmen nicht auf das hohe Fahrgastaufkommen kurzfristig reagieren.
Doch es handelt sich nicht um eine künstliche Verknappung und die Bahnunternehmen können keine Verstärker-Wagen an die Züge ranhängen. Denn wie viele Züge auf der Schiene sind und wann sie fahren, basiert auf einer komplexen und langfristigen Planung - dem sogenannten Vergabeverfahren [vbb.de].
So erläutert die ODEG: "Wir werden von den Ländern bestellt und fahren im Auftrag der Länder, also Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt und Sachsen", so Sprecherin Dietmute Graf. "Die Vergabe läuft über den Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB). Den Zuschlag für die Lose 1 und 4 für das Netz Elbe-Spree (NES) hat die ODEG in 2019 erhalten." Auch der VBB erklärt in einem Imagevideo: Die Entscheidungen, wann und wie viele Züge wo rollen, kann bis zu fünf Jahre im Voraus gefällt werden. Schaut man auf die aktuelle Urlaubssaison, waren damals eben weder 9-Euro-Ticket noch 49-Euro-Ticket im Gespräch.
Einfach Züge aus den Depots fahren zu lassen, ist auch keine Lösung - denn diese stehen dort nicht einfach auf Abruf bereit. Ebenso braucht es Personal, um die Züge zu fahren und die Fahrgäste zu betreuen. Die Deutsche Bahn erklärt hierzu: "Wir setzen grundsätzlich so viele Züge wie möglich ein. Es gelten dabei immer die Rahmenbedingungen wie verfügbares Personal, verfügbare Züge und verfügbare Streckenkapazität."
Die ODEG wird konkreter: "Wir fahren keine Verstärkerzüge", heißt es auf rbb-Nachfrage. "Es sind keine Verstärkerzüge bestellt und es gibt keinen Überbestand an Zügen und Fahrpersonal. Die Infrastruktur und Trassen auf der Stadtbahn sind bereits sehr voll, außerdem gibt es diverse Baumaßnahmen."
Auch der VBB bestätigt diese Ausgangslage. Deutsche Bahn, ODEG und der Fahrgastverband Pro Bahn raten Fahrgästen, starke Verkehrsspitzen zu meiden und nach Möglichkeit in Randzeiten zu fahren.
Die Deutsche Bahn hat jedoch an zwei Stellen bereits nachgebessert. So sind fast zeitgleich mit dem Start des Deutschlandtickets am 6. Mai mehr Züge auf den Strecken des RE3 und RE5 unterwegs - Linien, die an die Ostsee fahren. Diese würden laut Unternehmen "gut angenommen", aber seien "nicht überfüllt". Auch der Fahrgastverband Pro Bahn bestätigt dies – man habe bisher keine Hinweise darauf, dass diese Züge wegen Überfüllung nicht gefahren seien, so der Vorsitzende des Landesverbandes Pro Bahn Berlin-Brandenburg, Martin Pogatzki.
Die Deutsche Bahn verweist zudem darauf, dass es auf ihrer Buchungswebseite, in der App "DB Navigator" und im "DB Streckenagenten", Hinweise auf volle oder stark genutzte Regionalzüge und alternative Fahrrouten gebe. Pro Bahn-Vertreter Pogatzki bestätigt, dass dies derzeit ausreichend sei: "Wir sind froh, dass es mittlerweile die Hinweise gibt."
Auch bei der ODEG gibt es Verbesserungen. So ist seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2022 das Netz Elbe-Spree (NES) in Betrieb, für das die ODEG 2019 den Zuschlag erhielt. Dies beinhalte eine Erhöhung des Taktes und der Kapazitäten, um dem erhöhten Fahrgastaufkommen in Ballungsgebieten Rechnung zu tragen, so Sprecherin Graf. Im Weiteren fahre der RE1 zwischen Frankfurt (Oder) und Brandenburg an der Havel nun einen "sehr hohen Takt" - und zwar drei Mal in der Stunde.
Wer mit Rad oder Kindern unterwegs ist, der sei laut Deutscher Bahn mit weiteren Angeboten gut beraten: Beispielsweise fänden sich auf den Webseiten zugportal.de/fahrrad und bahn.de/fahrrad Alternativen zur Fahrradmitnahme im Zug. Auch über die App Komoot und die DB Ausflugs-App ließen sich DB-Routen für Radtouren finden, die mit weniger stark ausgelasteten Zügen erreichbar sind.
Ist der Regio mindestens 60 Minuten zu spät am Zielbahnhof oder fällt komplett aus, ergibt sich bei der Bahn ein Entschädigungsanspruch von 1,50 Euro. Aber: Auszahlungen werden erst ab 4 Euro getätigt (sogenannte Bagatellgrenze). Die Fälle müssen also gesammelt werden und beim ServiceCenter-Fahrgastrechte oder der Fahrgastrechte-Abteilung des genutzten Verkehrsunternehmens eingereicht werden [bahn.de].
Seit dem 7. Juni gelten zudem neue Fahrgastrechte bei der Deutschen Bahn (DB). Die Überarbeitung folgt neuen EU-Regeln, die die Deutsche Bahn wie auch andere Bahnunternehmen zu berücksichtigen haben. Dabei werden beispielsweise "extreme Witterungsbedingungen" oder "große Naturkatastrophen", die Verspätungen und Ausfälle verursachen, von Entschädigungen ausgenommen. Für normale Gewitter oder Streiks gelten jedoch weiter die bisher üblichen Entschädigungsansprüche.
Beitrag von Sylvia Lundschien
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