rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Video: rbb24 Abendschau | 27.06.2023 | O. Sundermeyer/O. Mayer-Rüth | Quelle: dpa/P.Zinken

Einbrüche in Berlin, Rückzug in die Türkei

Exil der Clans

In Deutschland agierende Clans nutzen die Türkei seit Jahren als Rückzugsraum - auch kriminelle Mitglieder der in Berlin stark vertretenen Miri-Familie. Die soll unter anderem für einen spektakulären Einbruch in einem Tresorraum verantwortlich sein. Von O. Mayer-Rüth und O. Sundermeyer

Ein gängiges Muster bei Einbrüchen und Diebstählen von Tätern aus türkisch-arabischen Clans sieht so aus: Die Tatverdächtigen sind gefasst, die Beute ist weg, es bleibt ein Rätsel für die Polizei. Der Gangster-Rapper "AK AusserKontrolle" aus Berlin-Wedding beschreibt dieses Phänomen auch in seinen Texten, etwa in dem Song "Blackout". Dort heißt es: "Immer wenn es Nacht wird, stehe ich mit der Axt im Juwelier, keiner macht es so wie wir."

So wie Bilder von Überwachungskameras den berühmten Raubüberfall von Clan-Kriminellen im Berliner Kaufhaus des Westens (KaDeWe) im Jahr 2014 zeigen, bei dem die Täter Vitrinen mit Äxten zertrümmerten, um daraus Schmuck und Uhren von Edelmarken zu stehlen. Auch das ein gängiges Muster von Einbrechern aus diesem Täterkreis. Und auch in diesem Fall: Täter verurteilt, Beute weg.

Programmtipp

"Der Clan-Boss"

Einbrüche in Tresorräume

Auch der Einbruch in einen Tresorraum in der Fasanenstraße im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf im vergangenen November soll auf das Konto einer aus dem Miri-Clan geführten Bande gehen. Die Beute war rund 44 Millionen Euro wert, darunter Uhren im Wert von 14 Millionen Euro. Das "dabei erlangte Vermögen soll im großen Stil durch eine Scheinfirma in Baden-Württemberg gewaschen worden sein", teilte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nach einer Razzia im Mai mit.

Dabei wurde in Berlin auch der Mann festgenommen, der den Millionencoup als "gemeinschaftlichen Bandendiebstahl" geplant haben soll: Das 41-jährige Clanmitglied Bilal M.. Wegen Fluchtgefahr sitzt er aktuell in Untersuchungshaft, er ist deutscher Staatsbürger.

Bei der Razzia wurde auch ein Geschäft für Luxusuhren in Wilmersdorf durchsucht, das einem weiteren Familienmitglied gehört. Die Ermittlungen führten zu insgesamt 18 Tatverdächtigen. Davon sollen sich nach rbb-Informationen einzelne in die Türkei abgesetzt haben, auch ein Teil der Beute wird dort vermutet. Die Berliner Staatsanwaltschaft machte auf rbb-Anfrage dazu keine Angaben. Man wolle "laufende Ermittlungen nicht gefährden", teilte eine Sprecherin mit.

Festnahme durch türkische Polizei scheiterte dreimal

Bilal M. ist nach rbb-Informationen der Sohn des geistigen Oberhauptes des Miri-Clans in Berlin: Der 73-jährige Mohamad M. wendet sich immer wieder in Youtube-Videos zu zentralen familienpolitischen Angelegenheiten an die Community der türkisch-arabischen Clans aus der Volksgruppe der Mhallami, die sich auf die gemeinsame Herkunft in dem Dorf Ückavak (arabisch: Rajdiye) in der türkischen Provinz Mardin beziehen. Dazu gehören weitere Berliner Clan-Familien, aus denen zahlreiche Mitglieder durch spektakuläre Einbruchsstraftaten oder Drogenhandel auffallen.

Auch einer der über Jahre meistgesuchten Verbrecher Deutschlands stammt aus Ückavak. 17 Staatsanwaltschaften haben nach ihm gefahndet: Heisem Miri, ein Mann mit zahlreichen Aliasnamen. Sein Fall zeigt beispielhaft die Schwierigkeiten auf, die deutsche Behörden im Umgang mit Clankriminellen aus dem Herkunftsland Türkei haben.

Er wird verdächtigt, im Jahr 2009 im Auftrag seiner Familie einen Ehrenmord in Schwanewede bei Bremen begangen zu haben. Nach der Tat verschwand er. Zielfahnder aus Niedersachsen haben ihn vor zehn Jahren in der Türkei ausgemacht, auch weil er sich dort mit Mohamad M. aus Berlin getroffen haben soll. Heisem Miri postete Fotos des Treffens auf seiner Facebook-Seite. Aber seine Festnahme durch die türkische Polizei scheiterte dreimal.

Organisierte Kriminalität

Zwei Männer bei Razzien in Berlin nach Einbruch in Tresorraum verhaftet

Polizei und Staatsanwaltschaft sind am Freitag in Berlin und Baden-Württemberg gegen organisierte Kriminalität vorgegangen. Bei den Ermittlungen geht es um Geldwäsche - und einen Tresorraum-Einbruch mit Millionen-Beute

Millionenschaden durch Telefonbetrüger

Gemeinsam mit anderen Kriminellen aus seinem Clan soll Heisem Miri von der Türkei aus in dieser Zeit ein Netzwerk von Telefonbetrügern aufgebaut haben. Am Telefon geben sie sich als Polizisten aus, überreden ihre Opfer, ihnen Erspartes und Geld zum Schutz anzuvertrauen.

Eine Umfrage bei 16 Landeskriminalämtern des ARD-Politikmagazins "report München" und rbb24 Recherche ergab für diese so genannte Masche der "falschen Polizisten" einen Gesamtschaden von mindestens 120 Millionen Euro seit 2020 in Deutschland bei 150.000 Betrugsversuchen.

13 Jahre nach seiner Flucht wurde Heisem Miri schließlich in der Türkei verhaftet - als Kopf einer Betrügerbande. Die türkischen Behörden beschlagnahmten Vermögen im Wert von 30 Millionen Euro. Nach Informationen aus Justizkreisen soll Miri versucht haben, über Familienmitglieder Firmen zu gründen. Andere Clan-Angehörige kauften für ihn Immobilien.

NRW-Innenminister Reul kritisiert türkische Behörden

Auch der ehemalige Beauftragte für Clankriminalität beim Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen, Thomas Ganz, hatte den Fall Heisem Miri lange Zeit im Blick. Er kritisierte die polizeiliche Zusammenarbeit mit der Türkei scharf: "Dort wird auf unsere Anfragen oftmals nicht geantwortet. Wenn einmal Kontakte oder Verbindungen zustande kommen, werden Ermittlungsansätze häufig verraten, nicht weiterverfolgt, oder auch nicht ernst genommen", sagt der Ex-Ermittler. Ähnlich sieht es der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU). "Die Türkei ist eines der schwierigsten Felder", so Reul im Gespräch mit "report München" und rbb24 Recherche. "Schlimmer als im Moment geht es nicht."

Das zeige sich etwa bei Ermittlungen verdächtiger Finanzströme nach Straftaten von Clankriminellen in Richtung Türkei. Die mangelnde Zusammenarbeit sei "für diese Clanstrukturen sehr hilfreich", sagte der CDU-Politiker. "Die Clanmitglieder kommen von dort und haben dort Partner. Für uns ist es schwer."

Interview | Spektakuläre Kriminalfälle in Berlin

"Es ist wie in dem Film 'Ocean's Eleven'"

Tresore werden geknackt, ins Grüne Gewölbe eingebrochen, eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze weggeschleppt: Immer wieder macht Berlin mit außergewöhnlichen Kriminalfällen Schlagzeilen. Warum trauen sich Täter solche spektakulären Coups zu?

Verbindungen in die türkische Politik

Ein türkischer Justiz-Insider, ein Informant aus dem Clan-Netzwerk in Deutschland, sowie deutsche Polizeikreise vermuten in Interviews und Hintergrundgesprächen, dass es Verbindungen krimineller Clan-Mitglieder in die türkische Politik gebe.

Das Landeskriminalamt Niedersachsen notierte in seinem Lagebild Clan-Kriminalität ein Treffen eines stellvertretenden Vorsitzenden der AKP-Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit zum Teil schwer kriminellen Mitgliedern eines türkisch-arabischen Clans im niedersächsischen Salzgitter - im Jahr 2017.

Clan-Mitglieder suchen immer wieder die Nähe zu Erdogan, wie Fotos belegen, die "report München" und rbb24 Recherche vorliegen. So ist der 73-jährige Berliner Mohamad M. auf einem inszenierten Gruppenfoto neben Erdogan zu sehen. Daneben steht sein Sohn Bilal M., der als Planer für den Diebstahl aus dem Tresorraum in der Fasanenstraße festgenommen worden ist.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes hatten wir "AK AusserKontrolle" als Mitglied des Miri-Clans bezeichnet. Das ist unzutreffend. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Sendung: rbb24, 27.06.2023, 13:00 Uhr

Beitrag von Oliver Mayer-Rüth (BR) und Olaf Sundermeyer (rbb24 Recherche)

Artikel im mobilen Angebot lesen