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Quelle: dpa/TNN/Sven Käuler

Interview | Juristischer Umgang mit Klimaprotesten

"Das ist keine Sternstunde des Rechtsstaats"

Beschleunigte Verfahren und verlängerter Unterbindungsgewahrsam: Die Frage, wie mit den Aktivisten der "Letzten Generation" umgegangen werden soll, beschäftigt die deutsche Justiz. Ein Berliner Strafverteidiger sieht die Entwicklung äußerst kritisch.

107 Urteile wurden im Amtsgericht Berlin-Tiergarten inzwischen gegen Klima-Aktivisten gesprochen. Die Urteile erfolgten überwiegend wegen Nötigung von Autofahrern und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, deren Arbeit erschwert worden sein soll, weil sie die festgeklebten Aktivisten vom Straßenbelag lösen mussten.

In den meisten Fällen wurden Geldstrafen verhängt – im April wurde aber auch eine Gefängnisstrafe von vier Monaten ausgesprochen, weil sich eine Klima-Aktivistin in der Gemäldegalerie an den Rahmen eines Cranach-Gemäldes geklebt und in ihrem Prozess angekündigt hatte, weiter an Aktionen teilzunehmen. Eine andere Frau steht am Dienstag wegen der selben Protestaktion vor Gericht.

Über 2.000 Verfahren bei Staatsanwaltschaft Berlin

Gerichtsverfahren gegen Klima-Demonstranten sollen beschleunigt werden

Ist der Sachverhalt einfach und die Beschuldigten geständig, dann kann die Justiz ein beschleunigtes Verfahren durchführen. Die Berliner Staatsanwaltschaft will diese nun deutlich öfter beantragen - dabei geht es ihr auch um Klima-Demonstranten.

Bisher gibt es noch keine Entscheidung des übergeordneten Kammergerichts, wie mit den Klimaaktivisten der "Letzten Generation" strafrechtlich verfahren werden muss.

Die Münchner Generalstaatsanwaltschaft fachte die Debatte um die Klimaproteste im Mai an, indem sie gegen die "Letzte Generation" wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermitteln ließ. Das hatte auch Durchsuchungen in Berlin und Brandenburg zur Folge.

Die Berliner Staatsanwaltschaft als staatliche Anklagebehörde beantragte inzwischen 16 Mal die Durchführung eines "beschleunigten Verfahrens" gegen Mitglieder der Klimaschutzbewegung, 14 davon bezogen sich auf die "Letzte Generation", zwei weitere auf Mitglieder von "Extinction Rebellion". Die Landesregierung unterstützt diesen Kurs.

Stefan Conen, bis 2022 Vorsitzender der Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen e.V., sieht die Entwicklung kitisch. Ein Interview über den schwierigen Umgang mit den Klimaprotesten.

rbb: Herr Conen, die Berliner Staatsanwaltschaft will bei Klimaaktivisten vermehrt das sogenannte beschleunigte Verfahren anwenden – 16 Anträge wurden bisher gestellt. Auch die Berliner Landesregierung drängt darauf, Verfahren gegen Klimademonstranten zu beschleunigen. Wie beurteilen Sie das?

Stefan Conen: Bei solchen Prozessen müssen zig Begleitumstände geklärt werden. Dafür ist das beschleunigte Strafverfahren eindeutig nicht gemacht. Das Berliner Kammergericht hat am 5. Mai eine Verurteilung aufgehoben, die allein auf dem Geständnis eines Angeklagten beruhte.

Zur Person

Bundeskanzler Scholz (SPD) sagte, die Aktionen der "Letzten Generation" seien "völlig bekloppt". Der CSU- Politiker Dobrindt spricht von einer "Klima-RAF", die verhindert werden müsse. Gibt es aus ihrer Sicht die Tendenz der Politik, im Zusammenhang mit der "Letzten Generation" mit solchen Äußerungen auf die Rechtsprechung Einfluss zu nehmen?

Wenn Politiker eine "Klima-RAF" herbeireden, bevor Urteile gesprochen werden und eine höchstrichterliche Klärung da ist, wirkt das wie eine Erwartungshaltung an die Justiz, die natürlich auch Druck ausübt. Aber die Unabhängigkeit der Justiz ist ein Verfassungsgut, und die strafrechtliche Wertung muss deshalb der Justiz überlassen werden.

Wenn ich höre, dass bei der Justizsenatorin noch einmal eigenständig nachgeprüft werden soll, ob die Wertung der Staatsanwaltschaft, dass die "Letzte Generation" wohl nach einem Zwischenstand nicht als kriminelle Vereinigung zu verfolgen sei, Bestand haben kann, ist dies mit Sicherheit keine Sternstunde des Rechtsstaats.

Wie wirken sich aus Sicht eines Strafverteidigers die Meinungsäußerungen von Politiker:innen auf die Justiz aus?

Ich weiß nicht, ob Politiker beabsichtigen, unmittelbar auf die Rechtsprechung Einfluss zu nehmen. Was ich aber glaube ist, dass die Politik zunehmend von der Justiz Antworten auf ihre politischen Werturteile erwartet, die diesen entsprechen. Aber es ist nicht die Aufgabe von Strafjustiz, politisch erwartete Antworten auf gesellschaftliche Phänomene zu liefern. Die Aufgabe von Strafjustiz ist es, streng an den Tatbeständen individuelle Schuld festzustellen - oder eben nicht.

Was bedeutet aus Sicht eines Strafverteidigers das Ermittlungsverfahren wegen einer "Kriminellen Vereinigung" gegen die "Letzte Generation"?

In der Politik wird gerade bei der "Letzten Generation" die "kriminelle Vereinigung" als politisches Werturteil sehr stark in den Raum gestellt und manche Staatsanwaltschaften übernehmen das. Es ist hochumstritten, ob das zutreffend ist oder nicht. Ich finde es besorgniserregend, dass man den Paragraph129 StGB jetzt herausholt, um die "Letzte Generation" fast exemplarisch zu labeln.

Entscheidung für einzelne Aktion

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Die Berliner Justiz ist mit zahlreichen Verfahren zu Blockaden der Letzten Generation beschäftigt. Das Berliner Landgericht hat eine Aktion nun nicht als Nötigung gewertet. Das Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr oder das Einplanen von mehr Zeit sei möglich gewesen.

Man könnte sich umgekehrt ja auch fragen, warum zum Beispiel im sogenannten "Abgasskandal" meines Wissens nach niemand auf die Idee kam, Manager von Mercedes oder VW als kriminelle Vereinigung zu verdächtigen. Die Tatbestandsmerkmale würden genau auf die Voraussetzungen des Paragraph 129 passen: mehr als zwei Konzernmitarbeiter sollen damals dauerhaft den strafrechtlich relevanten Betrug von Kunden mit den Abschaltvorrichtungen geplant haben. Im Gegensatz zu den Klimaaktivisten aber könnten sie sich dabei noch nicht einmal auf ein verfassungskonformes Fernziel berufen, weil sie die Umwelt durch ihren mutmaßlichen Betrug ja nicht schützen wollten, sondern ihre weitere Schädigung in Kauf genommen hätten.

Darf man beispielsweise als Autofahrer:in nicht die Erwartung an die Strafjustiz haben, dass Klimaaktivist:innen verurteilt werden, wenn man vielleicht stundenlang im Stau stand?

Es liegt meines Erachtens gerade in der Verantwortung von Justizpolitikern, die Erwartung von der Justiz fernzuhalten, dass einzelne Angeklagte stellvertretend für die "Letzte Generation" vor Gericht stehen und dieses gesellschaftliche Phänomen gleich mit abzuurteilen ist.

Die Justiz hat unabhängig über individuelle Schuld im Gerichtsverfahren zu urteilen. Es ist die Aufgabe von Politikern, genau das als DNA unseres Rechtsstaats zu transportieren. Wenn sie aber der Versuchung erliegen und sagen, die Justiz solle sich nicht in den Details verlieren, sondern pauschale Antworten finden, dies sogar möglicherweise in "beschleunigten Verfahren", dann sind wir meines Erachtens auf einer rechtsstaatlich abschüssigen Bahn.

Unterbindungsgewahrsam in Berlin

Vor Urteil

Der Unterbindungsgewahrsam soll Menschen davon abhalten, Straftaten zu begehen. Auch inspiriert von den Klima-Demonstranten möchte der Berliner Senat die Höchstdauer von zwei auf fünf Tage verlängern. Bundesweit gibt es große Unterschiede. Von Sebastian Schneider

Hat das Ermittlungsverfahren beispielsweise der Generalstaatsanwaltschaft München wegen des Vorwurfs der "Kriminellen Vereinigung" Ihrer Einschätzung nach auch Auswirkungen auf Unterstützer und Sympathisanten der "Letzten Generation"?

Ich weiß nicht, wie sehr sich diese Leute beeindrucken lassen. Aber in dem Moment, wo die "Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung verfolgt wird, würde der, der sie unterstützt, vermeintlich billigend in Kauf nehmen, dass er eine kriminelle Vereinigung unterstützt. In dem Moment geht man natürlich ein hohes persönliches Risiko ein. Das betrifft ja vor allem junge Menschen: Wenn ich mich zum Beispiel als Jurastudent, der vielleicht auch einmal in die Justiz will, da engagiere, kann ich mir das kaum noch leisten wegen des persönlichen Risikos.

Eine solche Kriminalisierung ist ein Instrument zur gesellschaftlichen Isolierung einer Gruppe. § 129, die "Bildung krimineller Vereinigung", ist natürlich nicht dafür gemacht, aber wenn es so angewandt wird, ist dies das Ergebnis.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte rbb-Gerichtsreporter Ulf Morling.

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